Teil - 3
Das Regenwurmlager bei Kainscht

Ein Materialiensammlung von Joachim Schmidt - Abbildungen: Archiv HGr, Matthias Ziefer

Renate Kallweit-Neumann:
Erinnerungen an mein Leben im Regenwurmlager

Von meinem 9. bis 15. Lebensjahr lebte ich im Regenwurmlager – von Anfang des Lagers bis zum Ende 1945. Das Lager war hauptsächlich mit Soldaten der Deutschen Wehrmacht besetzt. Sie wurden für die Front im zwei monatlichem Wechsel ausgebildet. Es gab Zeiten, da war das Lager vorübergehend leer. Es gab auch ausländische Kompanien, wie z.B. Inder, Belgier – sogar der Wallonenführer war anwesend –, die eine kurze Ausbildung erhielten.
Das Lager war unabhängig und mit dem Ostwall nicht direkt verbunden. Der Ostwall war nur im Polenfeldzug besetzt und die Stromanlagen intakt, sodass auch unser Lager von der Aussenwelt abgeschnitten war.
Die Zufahrtstrasse war mit Stacheldraht gesichert. Für uns Schulkinder eine schöne Sache, denn wir fuhren täglich mit dem Militärbus nach Meseritz zur Schule. Es war aber nur eine kurze Zeit. Während des ganzen Krieges wurde der Ostwall unterirdisch stellenweise ausgebaut. Trotz des Krieges waren es die schönsten 6 Jahre meiner Kindheit. Jetzt habe ich erfahren, meine Tochter war 2010 dort, dass das Lager von Polen erhalten wird. Man kann auch als Deutscher ein Haus oder eine Wohnung kaufen oder mieten. Etliche polnische Familien haben sich dort schon niedergelassen. Es ist beruhigend für mich, die vielen Fotos zu betrachten, dass alles so gut erhalten ist. Das ist mir eine grosse Freude, denn es liegt mitten im Wald in einer herrlichen Natur.
Es lebten damals etliche Familien im Lager, deren Väter dort arbeiteten. Nur wenige Kinder in meinem Alter. Einkaufen mussten wir alles in Meseritz. Im Lager selbst gab es eine Poststelle, einen Friseur (mein Vater), einen Zeitungskiosk, drei Kantinen, wo alle Soldaten einkaufen konnten, wie z.B. Tabakwaren, Gebäck, Süssigkeiten, Getränke und Schreibwaren. Erstmals erhielt ich die Weihnachtszeitung von Ihnen und ich habe mich riesig über den Bericht vom Lager und die schönen Bilder gefreut. Als ich aber las, dass Sie nicht allzuviel über das Lager wissen, denn es lag immer unter Geheimhaltung, entschloss ich mich zu diesem Bericht.
Ob ich mit 82 Jahren die einzige Zeitzeugin dieses Lagers noch bin?
Es gab auch ein Lied über das Regenwurmlager, welches die Soldaten beim Marschieren sangen. Es komponierte und textete ein Soldat während seiner Ausbildung dort. Es war auf Postkarten gedruckt und jeder konnte es in der Kantine kaufen und nach Hause schicken. Leider habe ich diese Karte nicht mehr, aber den Inhalt kann ich noch auswendig. Eine Leserin brachte mir den fehlenden Teil in Erinnerung:

Wo der Regenwurm durch Wald und Heide fließt,
wo am Wegesrand du nur
Sand und Steine siehst,
wo Soldaten jammern
ich halt´s nicht mehr aus,
da ist unsere Heimat,
da sind wir jetzt zu Haus.

Refr.: Regenwurmlager
gehst mir nicht aus dem Sinn,
dein will ich gedenken,
wenn ich wieder in der Heimat bin ...

Regenwurmlager Kainscht


Matthias Ziefer:
Das Regenwurmlager – eine Außenstelle der Garnisonsstadt Meseritz
Das Regenwurmlager und das Piesker Lager waren Aussenstellen, die zur Garnisonsstadt Meseritz gehörten.
Auf dem folgenden Foto handelt es sich um Soldaten des Inf. Ers. Btl. 477, das am 6.9.1939 in Rathenow/Havel aufgestellt wurde und am 18.9.1939 ins Regenwurmlager verlegt wurde.

Meseritz Bahnhof 1940 - Soldaten
des Inf. Ers. Btl. 477

Am 30.9.1942 wurde das Btl. geteilt in Ersatz- und Reserve- Btl. – unterstellt der seit 30.9.1939 bestehenden Div. 143, in der sich neben vielen anderen Einheiten auch das Inf. Ers.Rgt. 257 mit den Bataillonen 457, 466, 477, und 479 befanden.
Das Inf. Ers. Rgt. 257 mit den genannten Bataillonen war seit dem 19.9.1939 in Landsberg stationiert, voher in Potsdam im WK III.
Nach der Grundausbildung im Regenwurmlager wurde das Inf.Rgt. 257 als Ersatztruppe für die 257 Inf. Div. mit der Unterstellung beim Armeekorps XXXIV am 4. Juli 1940 nach Stablack in Ostpreussen verlegt.
Die unten angefügte Feldpost der o.g. Einheit 477 zeigt durch den Bahnpoststempel vom 16.7.1943, dass sie bereits umgegliedert in ein Grenadier- Ersatz-Btl 477 ist und der Division 433 unterstellt war.


Feldpost der Einheit 477



Ist Regenwurmlager richtig?
Man könnte auf den ersten Blick sagen, daß bei dieser Fp. aus dem Regenwurmlager alles rechtens ist. Die Fahnenjunker- und die Uffz-. Schule ist auch in der Feldpost- Übersicht mit Standort im Regenwurmlager korrekt eingetragen.
Eigentlich war das Regenwurmlager groß genug um alle Schulungen und Ausbildungen von Soldaten innerhalb des Lagers durchzuführen.
Eines hat man wohl nicht bedacht, daß das Lager auch ein Bereitstellungslager gegen den Osten war. Hier wurden Einheiten gebildet, die nach Abschluß der Ausbildung als feste Kampfgruppen auf Btls-., Rgtsoder Divisionsebene der Wehrmacht zugeführt wurden.
Das beste Beispiel ist hier das SS-Polizei Rgt. 2 (ehemals Heimwehr Danzig) welches auf mehrere Lager im Umfeld vom Regenwurmlager zum Zwecke der Umstrukturierung (in Inf. Rgt. 120 bei 60 Inf. Division) kompanieweise verteilt wurde. Daß dabei die naheliegenden 3 Lager in Hochwalde eine Rolle spielten, ist durchaus möglich, zumal sie alle in nächster Nähe zum Kreis Meseritz gehörten.
Die hier von mir dargestellte Feldpost ist ein Beweis für die enge Zusammenarbeit der genannten Lager. Gut zu erkennen ist der Tagesstempel (8.3.44) vom Regenwurmlager mit dem dazu gehörigen Absender und der dazugehörigen Einheit. Im persönlichen Teil des Briefes wird der eigentliche Standort des Soldaten, Hochwalde, mitgeteilt.


Meseritz Bahnhof 1940 - Soldaten
des Inf. Ers. Btl. 477


Entscheidend für uns Feldpostsammler ist nicht der Tagesstempel, sondern die Ortsangabe des Soldaten. Folgendes könnte sich zugetragen haben: Da es in den Lagern von Hochwalde auf Grund ihrer geringen Größe und spartanischen Einrichtung kein Kino und kein Restaunrant als Freizeitangebot gab, ging man durch den Wald ins 2,5 km entfernte Regenwurmlager mit dem größeren Freizeitangebot. Den geschriebenen Brief nahm man bei dieser Gelegenheit gleich mit zum Fp.-Briefkasten im Regenwurmlager.
Wie gesagt, das ist eine Vermutung. Und genau das ist es, was die Sache so interessant für uns Sammler macht, die sonderbaren Wege der Feldpost.


Feldpost


Hochwalde, den 6.III.44

Liebe Eltern!
jetzt schon soll, da das Mittagessen noch immer nicht fertig ist, mein zweiter Teil der Epistel folgen. Mir fällt gerade ein, daß ich vom Sonnabend mittag wieder aus Berlin starkes Flakfeuer gehört habe, es muß gegen 14.00 gewesen sein. Ich hoffe, daß der Angriff als Tagesangriff nicht so stark war und auch nicht soviel Schaden angerichtet hat.
Wolfgang besonnt in jedem Brief sich und seinen Fähigkeiten in der Menschenführung mehr. Er scheint wenigstens von seinem Können voll und ganz überzeugt zu sein und giebt sich mit der Führung einer Kompanie überhaupt nicht mehr ab, sondern leitet nur noch Übungen im Rahmen eines Btl. Seine Krankheit hat er glücklich allerdings mit einem Gewichtsverlust von angeblich 40 Pfd. überstanden.
Wäre ich schon im Dezember auf Kriegsschule gekommen, wäre ich sicher nach (in) Potsdam und mit Eurer (Wernicker?) zusammen gewesen.
In herzlicher Liebe grüsst Euch
Euer Wolfdieter



Herr Matthias Ziefer ist gern bereit bezüglich der Feldpost des II. WK seine Hilfe anzubieten. Vielleicht können durch die Feldpost letzte Standorte von vermissten Soldaten gefunden und damit Schicksale geklärt werden. Zudem seine Bitte an alle Heimatgruß-Leser: Wer noch etwas besitzen sollte was die Feldpost betrifft, so bin ich gern bereit (auch Kopien) für mein Archiv zu übernehmen.
Des Weiteren bin ich sehr interessiert an Fotos bzw. Ansichtskarten aus allen genannten Lagern rund um Meseritz (natürlich auch als Kopie).

Matthias Ziefer
Gartenstr. 21 i
01156 Dresden OT Gohlis
E-Mail:
knisterkiste@web.de.