Erinnerungen an die Jagd in der alten Heimat
Christian-Conrad v. Dziembowski

Der Kreis Meseritz eignete sich vorzüglich als Jagdrevier für passionierte Jäger. Meines Vaters Revier umfaßte mit Bobelwitz-Solben und Hohenbirken insgesamt 2500 Hektar Fläche. Mein Vater war ein begeisterter Jäger, aber auch Heger.
Als die Nazis sich im Kreise Meseritz die Macht aneigneten, gab er alle seine amtlichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten auf und widmete sich ausschließlich der Jagd. Am 26. Dezember 1939 verstarb er bei einem Pirschgang. Ich selbst hatte mit 16 Jahren bereits den Jagdschein, über den ich heute noch verfüge.
Schon als Kinder wurden wir darauf gedrillt, nur die waidmännisch korrekten Fachausdrücke zu benutzen. Zum Beispiel bei den Hirschen der So- und Soviel-Ender, der Spießer, das Alttier und das Hirschkalb.
Bei den Wildschweinen der Keiler, die Bache und die Frischlinge und bei den Rehen der Bock, die Ricke und das Kitz.Wenn es sich um mehrere Tiere handelte, so sprach man bei Hirschen vom Rudel, bei Wildschweinen von einer Rotte, bei Rehen von einem Sprung und bei Rebhühnern von einem Volk. Zu den Jagdtrophäen, die den Schützen oder Jägern zustanden, gehörten bei den Hirschen das Geweih und die Grandeln (Augenzähne), bei den Rehböcken das Gehörn und bei den Keilern die Hauer.

Die Jägerei hatte sich in diesen Jahren dahingehend verändert, daß erstmals von Seiten des Staates Abschußquoten festgelegt wurden. Es gab Treibjagden und Kesseljagden. Dabei wurden Rotwild, Wildschweine, Rehe, Füchse, Hasen, Kaninchen, Wildenten, Fasane und Rebhühner geschossen.
Bei den Treibjagden wurde ein bestimmtes Wald-oder Niederwaldstück von den Schützen in Abständen von 50 bis 100 Metern umstellt. Nach dem Blasen eines Jagdsignals durch den zuständigen Revierförster gingen die Treiber unter Rufen und Klopfen an Bäume oder Büsche in geringen Abständen durch das von Jägern umstellte Gebiet. Nach jedem Treiben wurde die Strecke gelegt und der Jagdherr rief die einzelnen Schützen namentlich auf; diese gaben dann Art und Zahl ihres Abschusses an.

Jagdschein Mseritz 1940

Bei den Kesseljagden im offenen Gelände wurden immer ein Schütze und zwei Treiber in Abständen von ca. 20 Metern in einer langen Reihe aufgestellt. Auf Kommando setzten sie sich in Bewegung und es ging querfeldein, manches Mal über einige Kilometer bis an eine bestimmte Linie.
An dieser schwenkten, auf Signal, die Flügelmänner ein und bildeten schließlich einen großen Kreis (Kessel).Von dem Moment an durften die Schützen nicht mehr in den Kessel schießen, nur das Wild, das aus dem Kessel ausbrach, durfte geschossen werden. Bei
Kesseljagden wurde ausschließlich Niederwild gejagt.
Meistens wurden die Jagden auf Hochwild zwischen Weihnachten und Neujahr bis in den Januar hinein durchgeführt. Die Treibjagden auf Niederwild waren immer im Oktober, und die Kesseljagden auf Niederwild fanden im Januar statt, da man dafür Frost benötigte.
Zu den Sitten und Gebräuchen gehörte, daß der Aufbruch (Innereien) wie Herz, Lunge und Leber grundsätzlich dem Förster zustanden, egal wer das Wildbret erlegt hatte.



Humorige Erinnerungen an die Jagd

Unter den Jägern gab es einige besonders gute Schützen, z.B. Hermann v. Gersdorff, Alf Graf v. Schulenburg oder Wilhelm Graf zu Dohna, von denen einer in der Regel Schützenkönig wurde. Die nicht so guten Schützen möchte ich hier aus Pietätsgründen nicht namentlich erwähnen. Im Volksmund hießen sie seinerzeit „Schlumpschützen“.
Nach einem der Treiben rief mein Vater die einzelnen Schützen auf. Als Graf zu Dohna an der Reihe war, gab er zur Antwort: „Einen Fuchs, drei Hasen, zwei Kanin und einen Rechtsanwalt!“, denn er hatte mal zu weit nach rechts geschossen und dabei seinem Nachbarschützen, einem Meseritzer Rechtsanwalt, eine Schrotladung verpasst.
An den Jagdtagen gab es immer draußen im Wald ein Mittagessen, das meistens aus einer Erbsensuppe oder einer Kohlsuppe mit Hammelfleisch bestand. Danach wurden Schnaps und Zigarren gereicht. Bei dieser Gelegenheit drückte mein Vater einmal unserem Kutscher Bandur eine Kiste Zigarren in die Hand, die er bei den Schützen herumreichen und anbieten sollte.

Der gute Bandur machte sich die Sache wohl etwas einfach. Er trat an den Tisch der Schützen und fragte laut und vernehmlich: „Will etwa noch ener von die Herren ne Zigarre?“ Was mein Vater wohl im Anschluß zu ihm sagte, soll unerwähnt bleiben.
In Hohenbirken gab es einen weißen Albino-Fasanenhahn, der nicht geschossen werden durfte, worauf bei jeder Jagd ausdrücklich hingewiesen wurde.
Die Zeit der Hirschbrunft war für die Jäger stets der Höhepunkt der Jagdsaison. So war mein Vater abends sowie morgens in aller Frühe im Revier. Die Brunftzeit war so gegen Ende September bis in den Oktober hinein. Einmal erzählte er beim Frühstück, daß er mit der Muschel, mit der er den Brunftschrei der Hirsche nachahmte, einen kapitalen Hirsch anlocken wollte. Dieser hatte sich aber im angrenzenden Gersdorffschen Revier befunden.
Kaum daß er die Geschichte erzählt hatte, klingelte das Telefon und Hermann v. Gersdorff meldete sich mit den Worten: „Du Dziembo, bei Dir im Revier muß ein kapitaler Hirsch sein. Ich habe den ganzen Morgen vergeblich versucht, ihn anzulocken.“ – Also haben die beiden Jagdnachbarn gegenseitig durch Brunftrufe versucht, einen Hirsch anzulocken, den es gar nicht gab!

Im Winter 1937 war in Bauchwitz eine Hochwildjagd und ein Jäger schoß einen Keiler an. Nach der Jagd hat man dann die Fährte im Schnee verfolgt und immer wieder Schweißlachen im Schnee entdeckt, ein Zeichen dafür, daß der wohl kaum überleben würde. Er mußte aufgespürt werden. Nun war der Keiler aber ins Bobelwitzer Revier übergewechselt, und am nächsten Morgen nahmen mein Vater und Förster Kruse die weitere Verfolgung auf.
Den ganzen Tag waren sie auf der Suche nach dem Keiler, bis mein Vater sich entschloß, die weitere Verfolgung aufzugeben. Er saß bereits im Kutschwagen für die Heimfahrt, da ging Förster Kruse noch einmal los, um hinter einem Wacholderbusch nachzusehen. Da sprang doch tatsächlich der verwundete Keiler auf und griff Förster Kruse an. Dieser ergriff die Flucht. Mein Vater konnte den Keiler zum Glück erlegen. Die Sache hätte für Förster Kruse böse enden können, denn ein angeschossener Keiler ist wirklich lebensgefährlich.
Ein besonders guter Schütze auf Wildschweine war der in Meseritz wohnende General Blomeier, der verantwortliche General für gefangene Offiziere. So waren nach dem Polenfeldzug fünf entfernt Verwandte von v. Dziembowskis, die polnische Offiziere waren, in deutscher Gefangenschaft.
Mein Vater sprach mit General Blomeier, ob er denen auf irgendeine Weise warme Wintersachen und etwas Verpflegung übermitteln könnte. Blomeier erklärte sich dazu bereit, und meine Mutter packte fünf Pakete mit den dringend erforderlichen Sachen, die dann auch wirklich die Dziembowskis in den Lagern erreichten. Als besonderen Dank dafür durfte General Blomeier im Bobelwitzer Revier einen kapitalen Hirsch und Wildschweine, soviele er wollte, schießen.

Meine Großmutter Clara Alexandra v. Kalckreuth in Obergörzig war auch eine begeisterte Jägerin. Im Obergörziger Wald war ein unbewohntes älteres Haus, in dem sie sich einen Raum zur Übernachtung während der Hirschbrunft hatte herrichten lassen. Als sie einmal zur Übernachtung dort spät abends die Tür öffnete, sprang ein entlaufener russischer Kriegsgefangener aus dem Fenster und floh. Das irritierte sie in keiner Weise, sie schloß einfach das Fenster und übernachtete dort seelenruhig.
Wie schon erwähnt war für jedes Revier der Abschuß festgelegt und auch klassifiziert, so z.B. bei den Hirschen oder Rehböcken in die Klassen 1A und 2A, sowie 1B und 2B. Als meine Großmutter wieder einmal auf Jagd war um einen 1A Hirsch zu erlegen, saß sie auf einer Kanzel/Hochsitz und zwei kapitale Hirsche erschienen unweit des Hochsitzes und kämpften gegeneinander.
Da kam meine Großmutter zum Schuß und erlegte erst den einen und dann auch noch im Jagdeifer den anderen Hirsch. Genehmigt war aber nur ein 1A Hirsch.Was nun? Meine Großmutter stellte die Behauptung auf, daß es eine Doublette gewesen wäre und sie dabei zwei Hirsche mit einem Schuß erlegt hätte. Das nahm ihr die Jagdbehörde aber nicht ab und entzog ihr für ein Jahr den Jagdschein.
Um 1930 hatten wir bei Niederwildjagden Abschüsse von ca. 50 Hasen, 60 Kaninchen, 8 Füchsen und einer Anzahl von Fasanen.

Jagd in Meseritz

Ein besonderes Jagderlebnis
Es war im Spätsommer 1943 und ich war in Bobelwitz in Genesungsurlaub, den es immer nach einer Verwundung gab.
Nun war es ein Sonntag, an dem auf Grund des Krieges wirklich nichts geboten wurde. So kam ich auf den Gedanken, auf Wildentenjagd zu gehen. Ich holte mir aus dem Waffenschrank meines verstorbenen Vaters zwei Schrotflinten mit einer Anzahl von Schrotpatronen, nahm unseren Jagdhund – Biene – an die Leine und ging zum Lager unserer gefangenen Franzosen.
Dort ließ ich mir den Lagerältesten Chef Albert (war sein Vorname) kommen. Ihm erklärte ich, daß er mit mir gehen soll, was er auch gerne bereitwillig tat. Als wir den Gutshof und die Landstraße hinter uns hatten, gab ich ihm eine Schrotflinte mit genügend Munition und erklärte ihm, daß wir nun gemeinsam auf Entenjagd gehen. So liefen wir am Mittelsee vorbei in Richtung Hintersee/Hoherrand, wo einige Luge waren. Das sind Sumpf- oder Wasserlöcher, in denen immer Wildenten brüteten und lebten.
Wir pirschten uns, ein jeder von einer anderen Seite, an die Luge heran und ich ließ den Hund seine Stöberarbeit tun. Da stiegen etliche Wildenten auf und wir schossen gemeinsam an dem Nachmittag sechs Wildenten.
Dann kam bei mir die Frage auf, was tun mit den sechs Wildenten? Ich entschloß mich dazu, fünf Wildenten den Franzosen zu geben und eine Ente sollte mir der Koch der Franzosen, ein Restaurantbesitzer aus der Gegend von Bordeaux, richten.
Er tat es auch mit Begeisterung, nachdem ich ihm die nötigen Zutaten aus dem Schloß besorgte. Der Koch bereitete mir einen vorzüglichen Entenschmaus, den ich mit Genuß in der Lagerküche der Franzosen verzehrte.

Heute bin ich fest davon überzeugt, daß dem Albert und seinen Kameraden nach der Heimkehr nach Frankreich niemand diese wahrheitsgemäße Geschichte abgenommen hat. – Für mich ist es auf jeden Fall eine schöne und völkerverbindende Erinnerung an die Jagd in unserer alten, unvergessenen Heimat!

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