|
|
Der Meseritzer Landrat Paul v. Roëll (1850-1917)
Ein Text von Dr. Martin Sprungala
Die moderne Verwaltung im Posener Land entstand erst
im 19. Jahrhundert. Noch in der Zeit des Großherzogtums
Posen, der später Provinz Posen genannten preußischen
Verwaltungseinheit, waren die ersten Landräte
kaum mehr als adelige Vertreter der Kreise, die einige
Verwaltungsaufgaben erledigten. Die Landräte wurden
dabei aus den eigenen Reihen der Honoratioren des
Landkreises gewählt und nicht vom Staat bestimmt.
Die ersten Landkreise im eigentlichen Sinne entstanden
in Preußen 1753 in der Grafschaft Mark mit
der Gründung der Kreise Altena und Hamm. Dies wurde
seit 1816 bis 1818 in den meisten preußischen Provinzen
als untere staatliche Verwaltung nach einer Idee
des preußischen Staatsmanns Freiherr vom Stein eingerichtet.
In den meisten anderen deutschen Staaten
entstanden sie jedoch erst Mitte des 19. Jahrhunderts
bis 1886.
Nach dem Modell der Städteordnung von 1808
sollte auch im ländlichen Raum die Selbstverwaltung
der Bürger eingeführt werden. Eine eigene Kreisordnung
für das Großherzogtum Posen wird jedoch erst am
20.12.1828 eingeführt.
Realisiert wurde Steins Vorschlag in Preußen erst in
den 1880er Jahren, als die ersten Kreisordnungen erlassen
wurden. Als Gesetz traten die Kreisordnungen
nach langen Verhandlungen bereits am 13.12.1872 in
Kraft; für die Provinz Posen galt eine Sonderregelung,
es bedurfte hierzu erst der Genehmigung durch den
König.
Diese Einschränkung richtete sich bereits gegen
die polnische Bevölkerung, denn man wollte ihr nicht
das Recht zur Selbstverwaltung zugestehen. Die Einführung
der Kreisordnung für die Provinzen Preußen,
Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen
fand am 1.4.1874 statt.
Man sprach damals übrigens nur vom „Kreis“,
die Bezeichnung „Landkreis“ wurde erst zum 1.1.1939
durch die 3. Verordnung über den Neuaufbau des Reiches
vom 28.11.1938 eingeführt.
In den „Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte
1815-1945“ von Walter Hubatsch und Dieter
Stüttingen zur Provinz (Großherzogtum) Posen aus dem
Jahre 1975 findet man nur rudimentäre Angaben zu den
Landräten, die zumeist nur mit Nachnamen genannt
werden. Dank des Adelskalenders, des Gotha, lassen
sich viele Personen so noch finden, dies reduziert sich
leider auf die adeligen Landräte, so daß Name und biographische
Angaben bürgerlicher Landräte kaum zu finden
sind. Aber selbst bei den adeligen stößt man immer
wieder auf Probleme, wenn man keine Literatur zu diesen
Familien findet.
Ein solches Desiderat konnte nun dank
Brunfriede Fischer von Mollard geklärt werden. Um 1892
war ein v. Roëll kommissarisch Landrat im Kreis
Meseritz. Da ihre Mutter eine v. Roëll ist, wandte sie
sich an den Familienhistoriker und so ist es nun möglich,
ein Lebensbild dieses kurzfristigen Meseritzer
Landrats zu geben.
Am 2.2.1850 wurde Paul Richard Dagobert Hermann
v. Roëll in Berlin als Sohn des Königlich-Preußischen
Oberstleutnants Ernst v. Roëll und der Pauline
Wendlandt geboren. Der Vater wurde mehrfach dienstlich versetzt, so wuchs Paul mit seinen drei älteren Geschwistern in Berlin, Frankfurt/O. und Stettin auf. Die Familie v. Roëll stammte aus dem burgundischem Uradel und war seit dem Dreißigjährigen Krieg in Westfalen ansässig. Häufig stellte sie preußische Beamte und Offiziere berühmt ist die Darstellung eines solchen alten Offiziers durch den Schauspieler Wichard v. Roëll (*1937 im pommerschen Kolberg/ Kolobrzeg) aus der Comedy- Serie „Klimbim“.
Die Zeit als preußischer Offizier Auch für Paul hatte der Vater die Offizierslaufbahn bestimmt.
Seit 1861 besuchte er die Kadettenanstalt in
Potsdam und Berlin. Am 13.6.1866 wurde er Fähnrich
im 14. Infanterie-Regiment in Stettin (Szczecin) und
nahm kurz darauf in diesem Regiment am Preußisch Österreichischen Krieg teil. Der Krieg beförderte die
Karriere.
Am 15.1.1867 erfolgte seine Ernennung zum
Seconde-Leutnant und er wurde in das Füsilier-Regiment
Prinz Heinrich von Preußen (Brandenburgisches)
Nr. 35 versetzt. Drei Jahre später nahm er mit dieser
Einheit am Deutsch-Französischen Krieg teil, der seinen
weiteren Lebensweg entscheidend bestimmen sollte.
In der Schlacht bei Vionville (16.8.1870), in der
Nähe von Mars-la-Tour, wurde er am 16.8.1870 am rechten
Oberarm schwer verwundet. Die Kugel richtete großen
Schaden an, so daß das Schulter- und Ellbogengelenk
entfernt werden mußten, wodurch er zeitlebens
als „verkrüppelt“ galt, wie das damals genannt wurde.
Wegen besonderer Tapferkeit erhielt er das Eiserne
Kreuz II. Klasse verliehen.
Dies bedeutete gleichzeitig das Ende seiner
Offizierslaufbahn, denn fortan wäre eine angemessene
Beförderung unwahrscheinlich gewesen, weshalb er
das Militär verließ.
Er suchte nach einem neuen Lebenserwerb und
bewarb sich 1870 um das 6.000 Reichstaler schwere
Erbe des Gutes Dölberg (Nordlünern, OT von Unna,
Westfalen), das aber seinem Onkel Arthur v. Roëll zustand
und ihm vom Königlich Preußischen Appellationsgericht
in Hamm am 13.12.1871 auch zugesprochen
wurde.
Studium und journalistische Tätigkeit Paul war erst 25 Jahre alt, aber galt schon als Invalide.
Er begann nun 1875-84 ein Studium der Volkswirtschaft
und des Staats- und Verwaltungsrechts. Um dies zu finanzieren
arbeitete er journalistisch und übernahm die
Redaktion der „Deutschen Börsen- und Handelszeitung“.
Sein Berufswunsch war es, einst beim Pressebüro
des Auswärtigen Amtes zu arbeiten.
Zugleich widmete er sich der Adelsforschung und
begründete 1880 die Adelsgenossenschaft und 1883
das „Deutsche Adelsblatt“, dessen drei erste Jahrgänge
er 1883-86 als Hauptschriftführer herausgab. Das
Adelsverständnis jener Zeit, der Wilhelminischen Ära,
gilt uns heute als total überzogen. Dies zeigt schon der
Wahlspruch der oben genannten Zeitschrift: „Übers Leben
noch geht die Ehre“.
Doch diese Ehre hatte Risse. In jungen Jahren
hatte der Offizier v. Roëll über seine Verhältnisse gelebt
und Schulden gemacht. Er bemühte sich nun um
die Wiederherstellung seiner Ehre und um ein gutes
Führungszeugnis, denn dank seiner journalistischen
Tätigkeit war es ihm gelungen, die Schulden zu begleichen.
Auch seine Bemühungen um Anerkennung des
Freiherrentitels für seine Familie, d. h. für sich selbst,
fallen in diesen Bereich und mehrfach konnte ihm nachgewiesen
werden, daß er unrichtige bzw. geschönte
Angaben gemacht hatte, um sich und seine Familie gut
darzustellen. Das endgültige Urteil fällte das Preußische
Heroldsamt in Berlin am 11.4.1903, das ihm die Führung
des Freiherrentitels untersagte.
Zeitlebens war Paul v. Roëll an Familienforschung
interessiert, sammelte Urkunden und hoffte zeitlebens
vergeblich noch eine Familiengeschichte zustande
zu bringen. Auch sein eigener Familienzweig starb aus.
1887 heiratete seine Nichte, Ernina Pauline v. Kessler
(1864-1942), Tochter seines Schwagers Friedrich
Wilhelm v. Kessler und seiner älteren Schwester Erna
v. Roëll. Die Ehe blieb kinderlos.
Auch nach seiner Verwaltungslaufbahn blieb Paul
der journalistischen Arbeit treu. Er begründet die „Neue
Politische Korrespondenz“ und die „Deutsche Volkswirtschaftliche
Korrespondenz“. Er war Vorsitzender des
Aufsichtsrats der Deutschen Ordens-Almanach-Gesellschaft
und gab dreimal (1904/05, 1906/07 und 1908/
09) den Deutschen Ordensalmanach heraus.
Im Jahr 1886 veröffentlichte er in der Voss’schen
Buchhandlung in Berlin einen Lieder- und Gedichtsband
mit dem Titel „Schwert und Rose“, dem weitere vaterländische
Gedichte folgten, weshalb man ihn auch den
„Hohenzollerndichter“ nannte. Er war konservativ, patriotisch
und deutsch-national geprägt.
Die Verwaltungslaufbahn Nach dem Abschluß seines Studiums trat er in den preußischen Verwaltungsdienst ein. Seine erste Stelle war 1884-86 die des kommissarischen Amtmanns in Dietz a. d. Lahn in der preußischen Provinz Hessen-Nassau.
Bis 1887 gehörte er dem litauischen Büro im preußischen
Innenministerium an, womit er den ersten Kontakt
zu den preußischen Ostgebieten bekam. 1887-92
übte er das Amt des Grenzkommissars im ostpreußischen
Eydtkuhnen (seit 1938 Eydtkau, heute
Tschernyschewskoje, Oblast Kaliningrad) aus.
Von hier wurde er im Dezember 1892 in die Provinz
Posen als kommissarischer Landrat des Kreises
Meseritz (Miêdzyrzecz) versetzt. Über seine Tätigkeit
hier und seine Amtsführung ist nichts bekannt, dafür
blieb er auch viel zu kurz. Bereits im April 1894 wurde er in den südöstlichen Posener Kreis Pleschen (Pleszew) versetzt. Dieser Kreis war im Gegensatz zum Kreis Meseritz kaum deutsch besiedelt und als polnische Hochburg in jener Zeit bereits durch den Nationalitätenkonflikt geprägt. Auch hier ist über seine Amtsführung nichts überliefert, aber seine konservative, patriotische Gesinnung sagen sicherlich schon genug über die Ausprägung derselben. Am 9.4.1902 wurde der erst 52-jährige zur Disposition gestellt und verließ letztlich den Staatsdienst, was dafür sprechen mag, daß es hierfür einen Grund gab.
Paul übersiedelte nach Berlin und gab sich die
letzten 15 Jahre seines Lebens vor allem seiner journalistischen
Tätigkeit hin. 1902 wurde er, wenn auch
nur bis 1903, Fürstlich Lippescher Kammerherr des
Fürsten Leopold zur Lippe. Dank seiner zahlreichen
Verbindungen zu deutschen und ausländischen Diplomaten
hatte er zahlreiche Orden und Auszeichnungen
verliehen bekommen.
Paul v. Roëll starb während des 1. Weltkriegs am 2.9.1917 im hessischen Bad Wildungen. Seine Frau, die ihn lange überlebte, bewahrte seine gesammelten Familienpapiere für den Neffen Ernst (gestorben1942), dann dessen Sohn Ernst jr., der aber 1944 im Krieg fiel. Über dessen Witwe, Marga v. Roëll in Wiesbaden, gingen die Dokumente an Burkhard v. Roëll, der sie für seine hier zitierte Familiengeschichte verwandte.
|
|