Paul Fuß
ein mutiger Kämpfer gegen den nationalistischen Strom der Zeit

Ein Text von Dr. Martin Sprungala

Denkschrift: Die Zustände in der provinz PosenEs sind oft die negativen Erscheinungen in der Geschichte, die der Welt nachhaltig in Erinnerung bleiben. Dazu zählt auch der Nationalitätenkampf in der preußischen Provinz Posen. Hauptvertreter dieses Kampfes, die sog. „Hardliner“, waren auf deutscher Seite die im Ostmarkenverein organisierten sog. Hakatisten. Sie rekrutierten sich größtenteils aus den Reihen der Beamten, Lehrer, Militärs und der konservativen Gutsbesitzer.
Daß nicht alle so wie sie dachten, ist kaum bekannt. Das wichtigste Schriftstück, das davon Zeugnis ablegt, ist eine von 63 deutschen Gutsbesitzern unterzeichnete Protestschrift gegen den Gesetzentwurf zur Enteignungsvorlage (Enteignungsgesetz von 1908). Aber selbst einzelne Gutsherren äußerten ihren Protest deutlich, so der Fideikommißherr und Rittergutsbesitzer auf Wituchowo im Kreis Birnbaum, Paul Fuß. Erstaunlicherweise beteiligte er sich nicht mit seiner Unterschrift an der Protestschrift gegen den Gesetzentwurf, sondern gab eine kleine Denkschrift mit dem Titel „Die Zustände in der Provinz Posen“ (1907) heraus. Vielleicht war den Unterzeichnern der Protestschrift seine Stellungnahme für die Polen zu deutlich und klar.

Die Familie Fuß

Der königlich-preußische Oberamtmann Paul Fuß gibt in seiner Denkschrift an, daß er 56 Jahre alt ist, evangelisch und seit 30 Jahren Domänenpächter und Rittergutsbesitzer. Die Familie Fuß gehörte zu den alteingesessenen Familien aus preußischer Zeit im Posener Land. Der Ahnherr war Generalpächter der königlichen Domäne Paradies (Paradyz, Kr. Meseritz), dem 1797 säkularisierten Gutsbesitz des dortigen Zisterzienserklosters.
Auch er galt als ein mutiger Mann, denn er weigerte sich nach der Besetzung des Posener Landes durch napoleonische Truppen, seine Pacht an das neu gegründete Herzogtum Warschau zu zahlen, sondern überwies das Geld – trotz Bedrohung durch französisches Militär – weiterhin nach Berlin.
Paul gibt an, daß er Deutschland, auch den Westen, in dem das Wissen über die Provinz Posen nur sehr gering und durch die Propaganda der Hakatisten verfälscht ist, durch seine zahlreichen Reisen sehr gut kennt. Aus diesem Grunde sah er sich veranlaßt, seine Denkschrift zu verfassen, damit sich der Leser ein unbefangenes Urteil über das von ihm geliebte und gut gekannte Posener Land bilden kann.

Die Denkschrift
„Die Zustände in der Provinz Posen“

Die Denkschrift wurde im Jahr 1907 bei der Firma J. Fr. Tomaszewski, Inhaber B. Winiewicz und J. Teska, in Posen gedruckt. In seinem Vorwort betont er, daß er zu einer der allerältesten Familien der Provinz angehört, Deutscher ist und sich als treuen Anhänger seines Kaisers und Vaterlandes betrachtet.
Danach beginnt er mit einer Beschreibung der Provinz Posen, zu seiner Geographie, Wirtschaft und Bevölkerung. Er betont auch, daß die Provinz landwirtschaftlich geprägt und vielfach unterentwickelt sei, doch die Schuld daran gibt er nicht der – zumeist polnischen – Bevölkerung, sondern den Maßnahmen früherer Jahrzehnte, in denen wenig für den Fortschritt der Provinz getan wurde.
Es mangelt der Provinz nach wie vor an den „Hauptträgern der Kultur“, dem guten Verkehrswegenetz und gemeinnützlichen Anlagen. In den letzten Jahren (die sog. Hebungspolitik zugunsten der deutschen Kultur) wurde zwar einiges getan, gibt er zu, doch im Vergleich zu den Westprovinzen noch viel zu wenig. Stattdessen verbreitet man das Bild vom unterentwickelten Osten und daß der Staat hierfür so viel Geld aufbringen müsse, nämlich 450 Millionen Reichsmark.
Darauf entgegnet Fuß in seiner Schrift im Fettdruck: „Diese Millionen hätte man einer productiv so schönen Provinz längst schenken sollen. Die Schuld der Polen ist dies nicht!“ (S. 6) Und um die Provinz für die Deutschen aufkaufen zu können „Dazu gehören nicht hunderte von Millionen, sondern Milliarden“. (S. 7) Fuß prangert an, daß man Angst vor den Polen als Gefahr mache und den Rückzug der Deutschen in den Ostprovinzen thematisiere, dabei sei dies nicht der Fall, sondern die Westprovinzen würden eine Vielzahl an Arbeitern anziehen und benötigen. Es sei lediglich festzustellen, daß die Geburtenrate bei den Polen höher sei, als bei den Deutschen „und es ist dies gegenüber dem ständig vorhandenen Arbeitermangel in ganz Deutschland geradezu als ein Segen und nicht, wie man es darzustellen beliebt, als eine Gefahr anzusehen.“ (S. 6 f.)
Der Versuch Güter aufzukaufen und nur mit deutschen Bauern neu zu besiedeln sieht er aus vielen Gründen als falsch an:
Denn es geht um die Zurückdrängung des polnischen Elements, die Polen stehen also in ihrem eigenen Land unter dem Druck der „Vernichtung ihrer Nationalität“ und Fuß prangert die Hakatisten und die „mit Macht vorschreitende Idee der völligen Germanisierung“ an. Er verteidigt das Verhalten der Polen, die „nicht die Verräter ihrer eigenen Schollen“ werden wollen. (S. 7) Zudem wird den Polen die eigene Ansiedlung verwehrt, „dem polnischen Arbeiter, einem preußischen Staatsbürger“ wird „das Recht, eine preußische Ansiedelung zu erwerben“ versagt, damit hat „kein Pole mehr in den östlichen deutschen Provinzen das Recht…, sich je wieder anzusiedeln, sich je wieder ein Haus zu bauen, und einen eigenen Heerd, ein eigenes Heim zu gründen.“
Und Fuß fordert „die ganze gesittete Welt auf, hierüber ihren Rechtsspruch zu fällen.“ (S. 9) „Die Verkürzung aber des Staatsbürgerrechts ist völlig gleichbedeutend mit einem Verstoß gegen Artikel 4 der Verfassung.“ Und er resümiert: „Der preußische Staatsbürger polnischer Herkunft ist hiermit degradirt, seine Rechte sind ihm verkürzt und er ist damit in eine minderwertige Klasse von Staatsbürgern zurückgedrängt worden.“ (S. 9)
Auch den Bürgern aus Kongreßpolen, aus Galizien, Rußland und Ruthenien wird aus Gründen der Angst vor der Polengefahr die Ansiedlung versagt und können nur als Wanderarbeiter in Deutschland tätig sein. Fuß warnt davor, daß der Landwirtschaft so die notwendigen guten Arbeitskräfte entzogen werden, und er preist den Großgrundbesitz als die fortschrittsfördernde Kraft in der Provinz Posen.

Zudem warnt er vor der antipolnischen Politik, denn mit dem Entzug der polnischen Sprache im Religionsunterricht entzieht man den Menschen auch diesen und er warnt vor der sozialen Entwurzlung, auf die die Sozialdemokratie nur wartet. „Ist es nicht genug Arbeit für die Staatsregierung, die 3 Millionen Sozialdemokraten im Schach zu halten, sondern dazu noch 4 Millionen Polen mit Gewalt getrieben werden?“ (S. 15) „Aus dem bis dahin gutmütigen, bewundernswert duldsamen Polen würde ein Sozialdemokrat bester Form werden, voll des Hasses, voll der Rache für das ihn gebrachte Unheil, für das Vertreiben von der heimatlichen Scholle, für alle schon erfahrenen Verkürzungen seiner früheren Staatsbürgerrechte!“ Er wendet sich auch gegen den Entzug von landwirtschaftlicher Existenz als eine Form der Enteignung und mahnt: „Enteignen heißt: Jemandem mit Gewalt sein Gut nehmen“, was seiner christlichen Überzeugung widerspricht. (S. 14) Fuß wendet sich gegen jede Form von Ausnahmegesetzen, da man den Polen keinen Hochverrat nachweisen kann. (S. 16) „Den Darstellungen der Hakatisten nach müßten andere unkundige Menschen aber glauben, daß die Provinz Posen von Hochverrätern starrt.
Sie müßten glauben, daß unsere Zuchthäuser und Gefängnisse von polnischen politischen Verbrechern überfüllt sind.“
(S. 17) Und er spricht von Märchen, Lügen und Gespenstergeschichten, dabei ist das Leben der Polen nicht leicht und der preußische Staat bietet ihnen viel zu wenig Möglichkeiten an, sowohl im Offizierskorps als auch in der Verwaltung, dabei sind sie ihren Staatsbürgerpflichten immer nachgekommen. (S. 19 f.)
Als kaisertreuer Posener richtet Paul Fuß seine Hoffnung „in die Einsicht und Weisheit unseres Kaisers“, in den „die Polen unausgesetzt ihre Hoffnungen“ setzen. Und seine Denkschrift endet mit den Worten: Die Polen „…hoffen, daß der Kaiser, wie schon so manchen Feind, auch den Feind der Polen dereinst richtig erkennen und von sich verbannen wird. Hoffen wir Insassen der Provinz dies Alle, hoffen wir, daß in unserer Heimat endlich Ruhe und Frieden wird!“ (S. 23) So ganz hat sich Paul Fuß der Germanisierungspolitik jedoch wohl nicht entziehen können, denn sein Gut Wituchowo wurde am 23.8.1912 in Steineck umbenannt..