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Meseritz im ZDF Dr. Martin Sprungala
In der Sommerzeit füllen die Fernsehsender ihre Programme mit Wiederholungen, aber auch mit interessanten Reiseberichten und Dokumentationen. Eher durch Zufall stieß der Autor dieses Beitrags auf den zweiten Teil der Reihe „Schwarzes Meer und weiße Nächte“, der am 28.7.2015, 21:00 bis 21:45 Uhr im ZDF ausgestrahlt wurde.
Es ist seit vielen Jahren üblich, daß Journalisten
und Fernsehmoderatoren von Nachrichtensendungen
auch Reiseberichte erstellen. Diesen
Zweiteiler hat der 1963 in Mainz geborene Matthias
Fornoff, seit 2014 Leiter der Hauptredaktion „Politik
und Zeitgeschehen“ und Moderator des Politbarometers,
erstellt. Er hat Geschichte, Politikwissenschaft
und Slawistik studiert und ist daher für die
Berichterstattung aus dem Osten bestens prädestiniert.
Als Nachfolger von Steffen Seibert moderierte
er seit 2010 die „heute“-Nachrichten im ZDF.
Die Reise durch Ostmitteleuropa führte ihn
vom Schwarzen Meer, von Moldawien bis nach
Polen. Er traf Bauern und Ingenieure, Schüler und
Lehrer, Touristen, Internet-Blogger, Putin-Fans und
Rußland-Gegner. Und die Menschen schilderten
ihm ihre Hoffnungen, Sorgen und Wünsche.
In der Vorankündigung schrieb das ZDF:
„Das ist eine Zeitreise, aber auch eine Reise in die Instabilität.“

Ein solches Element befürchteter Instabilität
zeigt auch der Berichtsteil, der sich mit
Miedzyrzecz (Meseritz) beschäftigte. Nach einer
Ansicht des Rathauses wurden Soldaten an der
Obrabrücke bei einer sonntäglichen Übung gezeigt.
Es waren keine regulären Truppen, sondern Mitglieder
einer Bürgerwehr, einer Miliz, die mit etwa
100 Personen Männer und Frauen im Einsatz
waren.
Die Aussagen der Passanten waren eindeutig.
Keiner war besorgt, alle fanden die Übung gut
und richtig und schilderten ihre Ängste vor dem
wieder erstarkten und als bedrohlich empfundenen
Nachbarn Rußland.
Eine Passantin sagte: „Die Lage ist angespannt“,
„es geht hier um die Verteidigung unseres Vaterlandes“
und „wir freuen uns dies zu sehen.“
Der Moderator erläuterte, daß paramilitärische
Freiwilligenorganisationen in Polen seit dem
2. Weltkrieg Tradition haben. Genaugenommen
muß man ergänzen, daß diese Tradition schon viel
älter ist, bis in die Zeit des Großpolnischen Aufstands
(1918/19) zurückreicht, ja bis in die Zeit
der polnische Aufstände 1794, 1806, 1830, 1846,
1848 oder 1863.
Es wird ein Appell in der Meseritzer Kaserne
gezeigt und der Moderator erwähnt, daß auch
der Kommandeur dieser Einheit weiß, daß Polen
nicht das erste Mal von seinen Verbündeten im
Stich gelassen wurde. Und es hieß, der Pole verläßt
sich lieber auf sich selbst. Natürlich fehlte auch
nicht der Hinweis darauf, daß die polnischen Verbände
im 2. Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft
haben.
Diese Reportage zeigte nur die polnische
Sicht, das war ihre Intention. Den deutschen Betrachter,
vor allem diejenigen mit Heimaterinnerungen
an diese Region, überrascht natürlich diese
Bildung von paramilitärischen Einheiten, zumal
diejenigen, die nach 1945 mit ihnen sehr schlechte
Erfahrungen gemacht haben.
Die Übungen fanden in den benachbarten
Wäldern, aber auch nahe der alten deutschen Bunkern
des Ostwalls statt. Erstaunt nahm man wahr,
daß diese Übungen im Westen Polens stattfanden
und nicht im Norden oder Osten, wo Polen mit Rußland
eine gemeinsame Grenze hat.
Ein viel gehörter Satz in Polen, so der Moderator,
ist: „Wir sind als nächste an der Reihe“,
womit nach der Ukraine mit der Krim und ihrem
östlichen Bürgerkriegsgebiet Polen gemeint ist.
In ganz Polen soll diese Miliz bereits 45.000 Freiwillige
umfassen und es wird erwogen,
diese Verbände in die Nationalgarde
aufzunehmen. Der
Moderator, der noch einen jungen
Milizionär zuhause bei seinen Eltern
in Meseritz besuchte, betonte,
daß Rußland als potentieller
Gegner immer spürbar war, aber
nie namentlich genannt wurde.
Das Militär hat seit einhundert
Jahren in Meseritz Tradition
und ist zu einem Wirtschaftsfaktor
geworden. Bereits nach 1793 wurde
die uralte polnische Grenzstadt
zum Militärstandort. Die Preußen
stationierten hier Teile des 12. Dragoner-
Regiments.
In der jüngeren preußischen Zeit,
nach der Ära Napoleons, lag in Meseritz kein Militär
mehr, das kehrte erst nach dem 1. Weltkrieg
zurück und dafür mit großer Belegschaft.
Meseritz hatte im 19. Jahrhundert seine alte
Bedeutung verloren. Das Tuchmacherhandwerk
war durch die Zollgrenze nach Russisch-Polen abgewandert.
Meseritz war eine Kleinstadt mit lokaler
Verwaltung, dem Landratsamt, dem Oberlandesgericht,
der Eisenbahn usw.. Auch die Landwirtschaft
spielte hier keine große Rolle.
Einen Aufschwung brachte da das Militär.
Nach dem 1. Weltkrieg war Deutschland durch den
Versailler Vertrag auf ein 100.000-Mann-Heer reduziert
worden, während Polen mehr als das Doppelte
an Truppen unter Waffen stehen hatte.
Angesichts der Nähe von Meseritz zu Berlin
entschied die Reichsregierung hier eine Festungsanlage,
den Ostwall, zum Schutz vor einem Angriff
zu errichten. Das nun hier stationierte Militär
wurde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor, denn
die Soldaten kauften hier ein, erhielten Besuch und
gingen aus.
Auch nach 1945 blieb Meseritz, nun
Miêdzyrzecz, Militärstandort. Die Rote Armee zog
nun in die Gebäude der Wehrmacht ein. Nach der
Wende 1989/90 übernahm das polnische Militär
die Kasernen, in denen nun auch die Milizen ihre
Heimstatt finden.
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