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Gedenkfeier auf der Kriegsgräberstätte
Neumark / Stare Czarnowo am 22. Okt. 2016
Albrecht Fischer v. Mollard
Einen seit langem geplanten Besuch meines Sohnes
in Berlin hatte ich so terminiert, daß wir von
dort aus gemeinsam am Samstag, dem 22. Oktober,
in etwa 2 Sunden nach Neumark/Stare
Czarnowo fahren konnten.
Meine Absicht war,
an der Gedenkveranstaltung
des Volksbundes
Deutsche
KriegsgraÅNberfürsorge
e.V. (VdK) anläßlich
des 10. Jahrestages
der Einweihung der
großen deutschen
Kriegsgräberstätte
südlich von Stettin/
Szczecin teilzunehmen,
in deren Verlauf
die sterblichen Überreste
von rd. 300 in
den vergangenen Monaten
exhumierten
Kriegsopfern zur letzten
Ruhe gebettet
werden sollten.
Unser Freund Tomasz
Czabanski hatte bereits im Mai auf dem Großen
Heimatkreistreffen in Paderborn auf diesen Termin
aufmerksam gemacht und zur Teilnahme eingeladen.
Ich wollte wenigstens einmal bei einer solchen
Zeremonie anwesend sein, um auf diese
Weise ihm und seinem Verein POMOST gegenüber
meine persönliche Hochachtung und tief empfundene
Dankbarkeit für sein ehrenvolles, völkerverbindendes
Engagement und seine körperlich
wie emotional sicherlich beschwerliche Arbeit zum
Ausdruck zu bringen.
Da die Autobahn im Vergleich zu nordrheinwestfälischen
Verhältnissen ungewohnt leer und
zudem trocken war, erreichten wir zügig unser Ziel.
Bis zum Beginn der Veranstaltung blieb uns noch genügend Zeit, die Volksbund-Ausstellung im Eingangsbereich der Anlage zu besuchen. Unter dem Thema „Flucht und Vertreibung“ erinnert sie mit einer Reihe von Hintergrundberichten, Fotos und anderen Informationen an das Schicksal von Millionen Flüchtlingen des Zweiten Weltkrieges.
Auch konnte ich in der Nähe der offenen
Grabstelle Tomasz begrüssen, der bereits seit
Wochenbeginn vor Ort in die vorbereitenden Arbeiten
zur Beisetzung der Särge eingebunden war.
Er erzählte, daß POMOST in diesem Jahr bereits
1.240 Kriegsopfer geborgen habe, u.a. in Groß
Dammer/Dobrówka und Lagowitz/Lagowiec.
An diesem Tage sollten die Gebeine von
insgesamt 292 Kriegsopfern eingebettet werden.
202 von ihnen stammten aus dem ehemaligen sowjetischen
Internierungslager Kaltwasser bei
Bromberg/Bydgoszcz. Eine weitere Gruppe von
etwa 20 Zivilisten hatte sich nahe Waldtal/Wêgielnia
bei Kupferhammer/Miedzichowo auf der Flucht vor
der heranrückenden Roten Armee selbst beziehungsweise
gegenseitig das Leben genommen.
Die ca. 3,5 ha große Kriegsgräberstätte in
Neumark/Stare Czarnowo bietet Platz für etwa
32.500 Gräber. In den vergangenen 10 Jahren sind
hier bereits weit mehr als 23 000 Kriegsopfer beigesetzt
worden.
Wenige Minuten vor Beginn der Feierstunde
um 12 Uhr setzte leichter Nieselregen ein, der sich
während der nächsten 90 Minuten zeitweise zu
einem ausgewachsenen pommerschen Landregen
entwickelte.
Während die Redner der Gedenkveranstaltung
durch die Lautsprecheranlage ihre Zuhörer
jederzeit erreichten, hatten die musikalischen
Intermezzi des Jugendorchesters gegen das laute
Prasseln der Regentropfen auf die straff gespannten
Zeltdächer akustisch bisweilen keine
Chance, was den würdigen Rahmen und den reibungslosen
Ablauf der Feierstunde jedoch nicht wirklich beeinträchtigte - im Gegenteil, das Wetter
entsprach eigentlich genau ihrem ernsten Anlaß.
Nach Intonierung der polnischen und der
deutschen Nationalhymnen durch das deutsch-polnische
Jugendorchester aus Frankfurt/Oder zur
Eröffnung ergriff zunächst Hauke Homeier, der für
die Veranstaltung verantwortliche Mitarbeiter des
VdK, das Wort. Er bedauerte, daß eine für den frühen
Vormittag auf dem Zentralfriedhof Stettin vorgesehene
gemeinsame Kranzniederlegung auf
dem dortigen polnischen und russischen Kriegsgräberfeld
nicht zustande gekommen sei und daß
der als Redner vorgesehene stellvertretende Woiwode
der Woiwodschaft Westpommern aus Termingründen
seine Teilnahme an der Gedenkfeier in
Neumark/Stare Czarnowo abgesagt habe.
Sodann trat Wolfgang Wieland, Mitglied im
Bundesvorstand des VdK, an das Mikrofon und
begrüsste die rd. 400 mit Bussen oder PKW angereisten
Teilnehmer, überwiegend Familienangehörige
von hier bereits bestatteten oder jetzt einzubettenden
Kriegsopfern. Er wies daraufhin, daß der
Volksbund seit Fall des Eisernen Vorhangs allein
in Polen 13 zentrale Sammelfriedhöfe für die Toten
des Zweiten Weltkriegs angelegt habe.
Sie seien allen Menschen eindringliche Mahnung
zum Frieden. Da sie jedoch nicht nur für Soldaten,
sondern auch für Tausende von zivilen
Kriegsopfern die letzte Ruhestätte sind, seien die
Kriegsgräberstätten darüber hinaus auch ein sichtbares
Zeichen gegen Flucht und Vertreibung. Wieland
erinnerte: „Es war der von Deutschland ausgehende
Angriffs- und Vernichtungskrieg, der grausam
in sein Ursprungsland, nach Deutschland, zurückgekehrt
war. Zuvor waren ca. 6 Millionen polnische
Ziviltote zu beklagen, darunter 3 Millionen
ermordete Juden.“
Zwar laute das Motto des VdK „Versöhnung
über den Gräbern“, jedoch könne diese weder eingefordert
noch eingeklagt werden; umso wohltuender
sei es aber, wenn sie gewährt würde. Dafür
sei die Kriegsgräberstätte Neumark/Stare Czarnowo ein herausragendes Symbol, denn sie
sei durch den erstmalig gemeinsamen Einsatz von
polnischen und deutschen Soldaten vor mehr als
zehn Jahren entstanden.
Möglicherweise hatte der Redner den derzeitigen
Zustand der offiziellen polnisch-deutschen
Beziehungen vor Augen, als er am Ende seiner
Ausführungen feststellte: „Es liegt an uns zu verhindern,
daß aus dem Miteinander wieder ein
Gegeneinander wird. Auch dazu mahnen uns die
hier liegenden Toten!“
Anschließend hätte das dem Terminkalender
zum Opfer gefallene Grußwort des Stv. Woiwoden
der Woiwodschaft Westpommern die Anwesenden
erreichen sollen; nunmehr gab es keine
offizielle Begrüssung von polnischer Seite, sondern
nach dem Verklingen eines musikalischen Zwischenspiels
trat eine deutsch-polnische Jugendgruppe
auf, die sich in den Tagen zuvor in der
Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte des Volksbundes
am Golm, auf Usedom unmittelbar an der
polnischen Grenze gelegen, künstlerisch mit dem
Thema Flucht und Migration auseinandergesetzt
hatte.
In bewegenden Schilderungen berichtete sie
von ihren Erlebnissen und Erfahrungen sowie von
der intensiven Beschäftigung vor allem mit dem
Schicksal der zivilen Opfer von Kriegen.
Daran anschließend ergriff Dr. Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen e.V. (BdV), das Wort. In seiner Gedenkrede betonte er, die Würdigung der Toten dürfe nie wieder durch nationale Grenzen behindert werden, denn „Versöhnung über den Gräbern“ sei keine hohle Phrase, sondern gelebte Menschlichkeit. Erst mit dem demokratischen Wandel und der Auflösung des Blockdenkens sei es auch in Polen möglich, der Kriegstoten beider Seiten gemeinsam zu gedenken.
Er erwähnte den Naziterror und das unvorstellbare
Grauen, das der Zweite Weltkrieg über
die Menschheit gebracht habe und fuhr fort:
„Zutiefst und aufrichtig bedauern wir alle im deutschen
Namen verursachten Opfer und Leiden, so
wie auch wir um Pietät bitten und sie erwarten für
die Opfer und Leiden, die wir Deutsche unter dem
Dogma der kollektiven Schuldzuweisung erlebten.“
Mit Blick auf die Gegenwart stellte der BdVPräsident
fest: „In Zeiten wie diesen, in denen zu
unser aller Grauen vielerorts erneut Massengräber
entstehen etwa in Aleppo oder anderen
Bombenkratern Syriens , ist es ein Gebot der
Menschlichkeit, den Toten zumindest ihre Namen
und damit ihre Identität wiederzugeben“.
Er lobte die Arbeit des Volksbundes, die seit über
60 Jahren im Auftrag der Bundesregierung geschehe
und sich bei Weitem nicht in der KriegsgraÅNberfürsorge
erschöpfe, sondern insbesondere
auch das akribische Bemühen umfasse, anonyme
Tote der beiden Weltkriege zu identifizieren und
endlich zur letzten Ruhe zu betten und betonte:
„Heute werden viele hundert Opfer dem Vergessen
entrissen und, wie es Bundespräsident
Joachim Gauck formuliert hat, das Schicksal dieser
Menschen aus dem Erinnerungsschatten geholt“.
Dr. Fabritius beendete seine Ausführungen
mit dem Appell: „Je weiter die Gräuel der Weltkriege
zurückliegen, je weniger Menschen der Erlebnisgeneration
aus erster Hand berichten können
umso eindringlicher und mahnender müssen wir
alle die Stimme gegen das Vergessen erheben. Die
Erinnerung darf nicht enden!“.
Mit dem bekannten Musikstück „Air“ aus der
3. Orchestersuite von Bach wurde die Zeremonie
der Einbettung der Gebeine eingeleitet. Pfarrer Jan
Zalewski als Vertreter des Erzbischofs von Stettin
und Pfarrer Dr. Justus Werdin aus Greiffenberg/
Uckermark sprachen in ihren Kurzpredigten über
Joh. 14,6 „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben“.
Dabei überbrachte der Erstgenannte die Grüsse von Erzbischof Andrzej Dziega und erinnerte auch an den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder aus dem Jahre 1965, in dem es hieß: „Wir vergeben und wir bitten um Vergebung“.
Nach einem Gebet und dem gemeinsamen Vaterunser
aller Besucher schritten die Geistlichen bei
strömendem Regen an die offene Grabstelle und
segneten die mit Tannengrün geschmückten Särge
mit den sterblichen Überresten der Zivilopfer.
Sodann wurde durch ein Kommando des in
Stettin stationierten Multinationalen Korps Nordost
in einer feierlichen Zeremonie eine Reihe von Kränzen
des BdV und des VdK sowie verschiedener
seiner Landesverbände am zentralen Granitkreuz
der Kriegsgräberstätte niedergelegt.
Ein Solotrompeter blies das Lied vom guten
Kameraden und zum Abschluß der Gedenkfeier
spielte das deutsch-polnische Jugendorchester die
Europahymne, Beethovens „Ode an die Freude“,
die ja zugleich auch eine Hymne auf die Freundschaft
unter der Menschheit ist.
Nach Ende der offiziellen Veranstaltung hatten
alle Teilnehmer die Möglichkeit, an die offene
Grabstelle zu treten. Zuvor verteilte kleine Holzkreuze,
jeweils geschmückt mit einem stilisierten
Vergißmeinnicht, der Symbolblume für das Gedenken
an Kriegstote, wurden von vielen Besuchern
in das Tannengrün am Rande der riesigen Grabstelle
gesteckt, und zusätzlich lagen rote Nelken
bereit, die die Anwesenden als letzten Gruß auf
die kleinen Särge warfen ein ebenso würdiger
wie bewegender Abschied. Als Schlußpunkt der gesamten Gedenkfeier hatte der VdK zu einem Empfang mit Imbiß in das nahe Schloß Glien/Glinna, einem Ortsteil der Gemeinde Neumark/Stare Czarnowo, eingeladen. Nahezu alle Teilnehmer waren dieser Einladung in das stattliche, auf den Fundamenten des ehemaligen Gutshauses errichtete Gebäude gefolgt und konnten sich mit einem köstlichen Eintopf samt Kaffee und Kuchen aufwärmen. Meine Hoffnung, auch Tomasz Czabanski hier noch einmal zu treffen, erfüllte sich nicht; er war bereits wieder unterwegs nach Stettin.
Meinen Bericht möchte ich mit einem Zitat beenden,
das mir im Zusammenhang mit der Kriegsgräberstätte
Neumark/Stare Czarnowo begegnet ist und
mir angesichts der vielen Millionen Kriegstoten
geeignet erscheint, mehr als siebzig Jahre nach
Ende des Naziterrors und des von ihm über Europa
gebrachten Weltkrieges Denkanstöße zu geben
auf beiden Seiten der Oder:
Klage führen wir, nicht Anklage.
Wahrheit fordern wir, nicht Urteil.
Gedenken wollen wir,
nicht Aufrechnung.
Frieden ersehnen wir, nicht Streit.
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