|
|
Aus polnischen Zeitungen: „Posener Stimmen 5/2017“
„Zwischen Ratlosigkeit und Misstrauen -
5 Fragen an Prof. Dr. J. Mackow“
Professor Dr. Jerzy Mackow, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft (Mittel- und Osteuropa) an der Universität Regensburg, analysiert die aktuellen Spannungen in den deutsch-polnischen Beziehungen und innerhalb der politischen Landschaft Polens. Dabei zeigt er Defizite des politischen Diskurses auf allen Seiten auf.
Die Fragen stellte Tilman Asmus Fischer, stellvertretender Bundessprecher der Landsmannschaft Westpreußen.
Tilman Asmus Fischer: 2016 stand unter dem Vorzeichen des 25jährigen Bestehens des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. In welchem Zustand sehen Sie heute diese Nachbarschaft?
Dr. J. Mackow: In einer seltsamen Krise. Ökonomisch, menschlich, kulturell entwickeln sich die Beziehungen zwar nicht überragend das war übrigens im letzten Vierteljahrhundert zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen aber doch kontinuierlich zum Besseren.
Politisch haben wir es dagegen mit einer Weigerung beider Seiten zu tun, nach gemeinsamen Interessen zu suchen. Diese irgendwie wehleidige Haltung hat sich auch in der Öffentlichkeit beider Länder breitgemacht.
Tilman Asmus Fischer: Welchen Anteil hat die gegenwärtige polnische Regierungspolitik an diesem Zustand welche womöglich auch deutsche Reaktionen auf diese?
Dr. J. Mackow: Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
2015 brachten in Polen die überwältigenden
Siege des großen politischen Lagers, das von
der Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) geführt
wird.
Dieses Lager mißtraut Deutschland und will
enger mit den Visegrad-Staaten zusammenarbeiten.
Da die deutschen Medien und die deutsche
Diplomatie die Bundesrepublik auf eine solche
Wende im Nachbarland nicht vorbereitet sind,
ignoriert Deutschland nun etwas ratlos die Kritik
der polnischen Regierung an den deutschen Geschäften
mit GAZPROM, an der „nicht nachvollziehbaren“
deutschen Flüchtlingspolitik oder daran,
daß sich die Bundesrepublik stets gegen die NATO-Basen
in Polen und im Baltikum aussprach; Präsident
Obama setzte diesem Widerstand beim Warschauer
NATO-Gipfel 2016 ein Ende.
Umgekehrt bestätigt das deutsche Anprangern
des rabiaten Umgangs der Parlamentsmehrheit
mit dem Verfassungsgericht in Polen die polnische
Regierung in ihrer Wahrnehmung, die Bundesrepublik finde sich damit nicht ab, daß das
ihr gefügige polnische Establishment wegen seines
Opportunismus und seiner Arroganz abgewählt
wurde.
Tilman Asmus Fischer: Die Opposition gegen den Kurs der Regierung formiert sich im „Komitet Obrony Demokracji“ (Komitee zur Verteidigung der Demokratie). Welchen Einfluß hat diese Organisation auf den innerpolnischen und grenzübergreifenden politischen Diskurs?
Dr. J. Mackow: Die Opposition in Polen ist geteilt, personell
miserabel aufgestellt und unfähig, parlamentarische
Arbeit zu betreiben.
So rächt sich der Umstand, daß das Establishment
im vergangenen Vierteljahrhundert keine
richtigen politischen Parteien, sondern reine Machtvereine
gebildet hat. Sowohl die bis 2015 regierende
„Bürgerplattform (PO) als auch die nach
postsowjetischem Muster eigens für Wahlkampfzwecke
gegründete „Nowoczesna“ (Moderne)
entbehren des Parteigeistes „party spirit“.
Gemäß der Parteienforschung bildet sich
dieser in einer langen ideellen Auseinandersetzung
aus, die beiden Gruppierungen ganz unbekannt ist.
Auch die PiS wird übrigens stramm geführt, sie ist
aber durch konsequente Rhetorik der sozialen Fürsorge,
des Patriotismus und der Modernisierung
ihren Hauptgegnern im Parlament ideell weit überlegen.
Unter diesen Umständen wurde die Protestbewegung
KOD, die von einem Teil der Mittelklasse
unterstützt wird, zum dynamischsten Teil der
Opposition. Die PO und die „Moderne“ haben sich
in ihrer Schwäche entschieden, zu dieser außerparlamentarischen
Opposition hinzuzustoßen.
Deshalb führt die Opposition ihren politischen
Kampf vor allem in den eigenen Massenmedien
und auf der Straße. Diese Vorgehensweise
gegen die nach wie vor populäre Regierung könnte
in Gewalt umschlagen.
Die PiS agiert zwar oft schier hoffnungslos
tolpatschig und selbstherrlich, sie hat dennoch an
einer solchen Eskalation kein Interesse. Auch die
Übertragung des polnischen Konfliktes auf die EU-Ebene
erhöht die Eskalationsgefahr.
Tilman Asmus Fischer: Welche Bedeutung kommt in der jetzigen Situation der Erfahrung mit der sowjetischen Gewaltherrschaft und ihrer Überwindung zu? Dienen sie eher der historischen Legitimation des national-konservativen Lagers oder der Bürgerrechtsbewegung?
Dr. J. Mackow: Aus der Sicht der Regierung hat das bisherige
Establishment die Werte, für die die Gegner
des Kommunismus kämpften, nach 1989 verraten
und eigene Interessen auf Kosten der einfachen
Menschen und der polnischen Unabhängigkeit verfolgt.
Sie blendet dabei aus, daß die Solidarnosc-
Bewegung auch für stabile, unabhängige Institutionen
gekämpft hat.
Die Opposition hat wiederum kein Problem
damit, in ihren angeblichen Kampf für Demokratie
und gegen den Totalitarismus Offiziere des kommunistischen
Sicherheitsdienstes sowie der
„Volksarmee“, deren Rentenprivilegien die PiS abgeschafft
hat, einzuspannen. Diese großartige
polnische Tradition wird also von den Konfliktparteien
regelrecht ruiniert.
Tilman Asmus Fischer: Was können die deutschen Vertriebenenverbände zu einer Entspannung der aktuellen Situation beitragen?
Dr. J. Mackow: Sie sollen nicht den Eindruck erwecken, daß sie in dem in Polen so genannten „polnisch-polnischen Krieg“ Partei ergreifen. Vielmehr könnten sie mit Polen aller politischen Lager, die nach wie vor europabegeistert sind, europäische Interessen verfolgen.
Es bietet sich in diesem Zusammenhang an,
zusammen an der Unterstützung der für die Zukunft
Europas augenblicklich zentralen Staaten
der Ukraine und des vom Kreml zunehmend bedrohten
Belarus (Weissrussland) zu arbeiten.
Dabei könnten die deutschen Vertriebenen
besonders in den von Versäumnissen der letzten
Jahrzehnte gekennzeichneten Prozess der polnisch-
ukrainischen Aussöhnung ihre wertvollen
Erfahrungen einbringen.
|
|