Traurige Entwürdigung der Gedenkstätte in Tirschtiegel / Trzciel
Text und Fotos von Albrecht Fischer von Mollard

Iev. Friedhof in Tirschtiegel / Trzciel: Traurige Entwürdigung der Gedenkstätte m Rahmen der Trauerfeierlichkeiten (13./14.10.2017) in Polen für den verstorbenen Vorsitzenden des Heimatkreis Meseritz und der Heimatkreisgemeinschaft Birnbaum waren Thea Schmidt, meine Frau Ursula und ich nach Tirschtiegel/Trzciel gefahren, um dem Städtchen, in dem ich die ersten drei Jahre meines Lebens verbracht hatte, wieder einmal einen Besuch abzustatten.

Nach einem etwa einstündigen Bummel durch die ehemalige Neustadt bis zur Obra gingen wir zum Abschluß noch auf den früheren ev. Friedhof, von dem alle ehemaligen Bewohner wissen, daß man dort als Besucher keinerlei Erwartungen hinsichtlich Pietät und Takt gegenüber einem Gottesacker haben darf.
Was wir jedoch an diesem 13. Oktober sahen, verschlug uns den Atem. Der gekreuzigte Christus am Kreuz war gewaltsam entfernt worden, lediglich Teile der beiden Arme hingen senkrecht nach unten – ein schrecklicher, trostloser Anblick.

Mich hat dieses schauerliche Bild nicht mehr losgelassen, und nachdem ich wieder zu Hause in Wuppertal war, habe ich folgenden Brief verfaßt und, von unserer polnischen Freundin Dr. Malgorzata Czabanska-Rosada dankenswerterweise umgehend übersetzt, an den Bürgermeister und den Probst in Tirschtiegel per e-mail übermittelt.



Wuppertal, den 26.10.2017

„Sehr geehrter Herr Bürgermeister Kaczmarek!
Sehr geehrter Herr Pfarrer Bednarek!
Der Heimatkreis Meseritz e.V., die Vereinigung ehemaliger Bewohner des früheren Kreises Meseritz hat ihren Vorsitzenden, Leonhard v. Kalckreuth, verloren, der am 14. Juli in Bonn verstarb.
Nach Gretel Lehmann, die am 27. Januar dieses Jahres hoch betagt von uns ging, und Joachim Schmidt, dem Redakteur unserer Vereinszeitung „Heimatgruß“, der am 21. April die Augen für immer schloß, hat der Heimatkreis damit innerhalb eines halben Jahres seine drei tragenden Säulen hergeben müssen – ein Verlust, der nicht ersetzt werden kann.

Auf einer außerordentlichen Versammlung von Vorstand und Beirat des Vereins wurde ich am 23. September als Nachfolger Leonhard v. Kalckreuths zum neuen Vorsitzenden gewählt und darf mich Ihnen zunächst kurz vorstellen. Im September 1941 in Meseritz geboren habe ich als siebtes Kind meiner Eltern Gerd und Erika Fischer von Mollard bis zum 23. Januar 1945 auf Schloss Tirschtiegel gelebt. Allerdings habe ich an diese Zeit keinerlei persönliche Erinnerungen, so daß die älteren Heimatfreunde in unserem Verein sicherlich eine stärkere emotionale Bindung an die Heimatregion Meseritz haben als ich selbst.
Die Triebfeder meines Engagements ist die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen, die Verständigung zwischen unseren Völkern zum Wohle der Menschen beiderseits der Oder.

Diesem Ziel hatte sich bereits Herr v. Kalckreuth während seiner nahezu 17-jährigen Führung des Heimatkreises verpflichtet gefühlt, und daran wird sich unter meinem Vorsitz sicherlich nichts ändern. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir bei meinem nächsten Besuch in Trzciel die Gelegenheit zu einem persönlichen Kennenlernen geben würden.

Gestatten Sie mir bitte, daß ich Ihnen ein Anliegen vortrage, das mir buchstäblich auf der Seele brennt. Am 14. Oktober wurde die Urne mit der Asche von L. v. Kalckreuth auf dem Friedhof in Pszczew beigesetzt, nachdem zuvor eine Andacht in der ehemaligen Evangelischen Kirche in Birnbaum stattgefunden hatte.

Als neuer Vorsitzender des Heimatkreises hatte ich an der Trauerfeier teilgenommen und war deshalb bereits am Donnerstag, den 12. Oktober angereist, um am Freitagvormittag meiner alten Heimatstadt Tirschtiegel einen Besuch abstatten zu können.
Unser Bummel durch die Stadt führte meine Frau und mich schließlich auch zu der für alle ehemaligen deutschen Bewohner der Stadt „offenen Wunde“ Trzciels, zum einstigen Evangelischen Friedhof. Von früheren Besuchen dieses Ortes weiß ich, daß es dort keinen Respekt vor der Ruhe der Verstorbenen gibt und der Haß auf alles Deutsche stärker war als die Gebote der Bibel oder die Gedanken der Bergpredigt.

Die 150 Jahre alte Familiengruft meiner Vorfahren macht in dieser Beziehung keine Ausnahme, im Gegenteil, sie zieht Alkohol trinkende Jugendliche und deren Hinterlassenschaft in Form von Müll oder leeren Flaschen offenbar besonders an.
Das unsägliche Leid, das Ihrem Land und seiner Bevölkerung vom Nazi-Regime, also von Deutschen angetan wurde, mag den Umgang der heutigen Bewohner mit ehemals deutschen Evangelischen Friedhöfen verständlich machen oder zumindest begründen, denn deutsche Soldaten und die deutsche Zivilverwaltung hatten zuvor während des Krieges die Maßstäbe für den gegenseitigen Umgang gesetzt.
Aber was ich am 13. Oktober gesehen habe, ließ mir fast das Blut in den Adern erstarren. Die beigefügten Aufnahmen werden auch Sie, verehrte Herren, nicht unberührt lassen.

72 Jahre nach Ende des unsäglichen Krieges haben Barbaren das Kruzifix auf dem ehemaligen Evangelischen Friedhof in Trzciel entweiht und den gekreuzigten Christus zerstört, so daß nur noch Teile der beiden Arme vom Kreuz herab hängen. Ich weiß mich mit Ihnen absolut einig, daß ein derartiger Frevel nichts mehr mit Ressentiments gegenüber dem Nachbarn jenseits der Oder zu tun hat, er ist vielmehr ein unglaublicher Anschlag auf unsere gemeinsame christliche Weltanschauung. Ihre Gefühle werden in gleicher Weise verletzt wie meine und die aller Besucher der Gedenkstätte – gleichgültig, welcher Nation sie angehören. Ich erinnere mich noch gut an die Tirschtiegel Tage im Jahr 2003, als der damalige Pfarrer Wierzcholowski nach einem ökumenischen Gottesdienst in der St. Adalbert Kirche in Trzciel im Beisein vieler ehemaliger und jetziger Bewohner der Stadt das Kreuz weihte und darauf hinwies, daß es auch dem Gedenken an die hinter dem Bug zurückgelassenen Gräber dienen solle.

Hoch verehrter Herr Pfarrer, sehr geehrter Herr Bürgermeister, Trzciel liegt heute in dem Land, aus dem der große Karol Wojtyla stammt, der mehr als 26 Jahre Stellvertreter Gottes auf Erden war, Papst, Pontifex, im ursprünglichen Sinne des Wortes ein Brückenbauer, dem letztendlich nicht nur Ihr Land seine Freiheit verdankt, sondern ebenso mein Land die Wiedervereinigung. Ihm würde das Herz bluten, wenn er heute die Gedenkstätte besuchen würde.
Ich appelliere aus tiefstem Herzen an Sie: setzen Sie ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens, sorgen Sie bitte dafür, daß die Gedenkstätte auf dem ehemaligen Evangelischen Friedhof wieder ein würdiger Ort des Erinnerns wird, den die ehemaligen Bewohner Tirschtiegels und andere Heimatfreunde aus Deutschland ebenso gern aufsuchen können wie Ihre vom Bug vertriebenen oder zwangsweise umgesiedelten Mitbürger, um ihrer verstorbenen Vorfahren zu gedenken.

Heute ist dieser „Ort des Erinnerns“ lediglich ein „Ort des Grauens“, der Ihrer Stadt einen Ruf einbringt, den sie sicherlich nicht verdient. Wenn geplant ist, das Kruzifix nach seiner Wiederherstellung erneut zu weihen, dann informieren Sie mich bitte. Ich würde 700 km bis nach Trzciel fahren, um dabei zu sein – und um Sie persönlich kennenzulernen.

Herzliche, freundschaftliche Grüsse an Sie
und meine alte Heimatstadt
gez. Albrecht Fischer von Mollard“


Unser Freund Tomasz Czabanski hat, nachdem er von meinem Brief erfahren hatte, nicht nur in Meseritz Anzeige erstattet, sondern sich auch mit dem Bürgermeister in Verbindung gesetzt und ihn dazu bewegt, das gleiche zu tun.
Bis Dezember 2017 lag zwar noch keine offizielle Antwort aus Tirschtiegel vor. Tomasz, der dankenswerterweise die Kommunikation mit der Gemeinde Trzciel wahrnimmt, hat jedoch inzwischen mitgeteilt, daß im nächsten Frühjahr das Kreuz auf Kosten der Stadt restauriert und mit einem neuen Korpus versehen werden soll.

Man plant sogar, im Rahmen des Tirschtiegeler Spargelfestes am Sonntag, dem 10. Juni 2018 das dann wieder hergestellte Kruzifix der Gedenkstätte neu zu weihen.

Der Heimatkreis dankt seinen polnischen Freunden herzlich für ihre Unterstützung und dem Bürgermeister sowie dem Probst von Tirschtiegel für ihre durchaus nicht selbstverständliche Entscheidung, die Gedenkstätte wieder in einen würdigen Zustand zu versetzen, neu zu weihen und auf diese Weise den Heimatfreunden einen Ort des Erinnerns zurückzugeben.

Die ehemaligen Tirschtiegeler Bewohner und darüber hinaus alle Meseritzer Heimatfreunde werden gebeten, sich den Termin vorzumerken und – wenn irgend möglich – zum Spargelfest nach Tirschtiegel und zu einem ökumenischen Versöhnungsgottesdienst mit anschließender Weihe der Gedenkstätte zu kommen. Es wäre schön, wenn wir wieder eine ähnlich stattliche Anzahl wären wie bei der Einweihung in den Jahren 2002 und 2003.