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Von einem klugen und weitsichtigen Menschen - Max Bahr (1848-1930)
von Prof. Dr. Malgorzata Czabanska-Rosada
Das deutsche Kulturerbe begleitet auf Schritt und
Tritt die Bewohner des heutigen Westpolens.
Überall findet man heute noch materielle Zeugen
der deutschen Vergangenheit der Städte und Dörfer.
Viele von ihnen befinden sich, tief verstaut, in
Archiven und haben kaum eine Chance, an das
Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Um dieses
Kulturerbe zu bewahren und auch den heutigen
Bewohnern bekannt zu machen, hat sich in
Gorzow Wielkopolski (Landsberg an der Warthe)
eine Gruppe von Wissenschaftlern die Wiederbelebung
der Erinnerung an die deutschen Bürger
zum Ziel gesetzt.
Im Rahmen eines polnisch-deutschen Projektes,
finanziert aus Mitteln der Europaregion
Viadrina, wurde die Initiative zur Übersetzung und
Veröffentlichung der Lebenserinnerungen eines
berühmten Sohnes dieser Stadt, Max Bahr, ergriffen.
Max Bahr (1848-1930)
war Gründer und Inhaber der europaweit bekannten
Jutefabrik in Landsberg. Er war zugleich auch
Stifter der Wohnsiedlungen und verschiedener
Sozialeinrichtungen für seine Arbeiter, aber auch
für die Landsberger.
Er war ein schöpferischer und aktiver Mensch,
ausgerichtet auf die Tätigkeit, nicht nur zum eigenen
Wohl und dem seiner Nächsten, sondern auch
und vielleicht vor allem zum Nutzen seiner
kleinen Heimat, des heutigen Gorzow
Wielkopolski, bis 1945 Landsberg an der Warthe.
Als wohlhabender Bürger, der hauptsächlich dank seiner Begabung zu Reichtum und hoher gesellschaftlicher Anerkennung gelangt war, bemühte er sich auf verschiedenen Gebieten um die Verbesserung der menschlichen Existenz. Max Bahr Homo Faber also der Schaffende, ein Mensch der Arbeit, ist im Rahmen seiner Epoche des gewaltsamen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geopolitischen Wandels und des Untergangs bisheriger Axiome im Leben des Individuums und der Nationen, eine durchaus inspirierende Gestalt.
Er ist ein Vertreter seiner Zeit, der jedoch auf
vielen Gebieten die üblichen Grenzen und Muster
seiner Nation wie auch der gesellschaftlichen Klasse, die er vertrat, überschritt. Er kam zur Welt
im Jahr der Märzrevolution und der Bestrebungen
deutscher Liberaler, denen er von seiner
Jugendzeit an verbunden war.
Sein Leben verlief im territorialen Rahmen des
Königreichs Preußen und nach gesellschaftlichen
und politischen Reformen im in viele staatliche
Organe geteilten Deutschland, dessen Ausdruck
die Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung
in den Jahren 1848-1849 waren. Der größte
Teil seines Lebens fiel auf die Zeit des Deutschen
Kaiserreichs der Jahre 1871-1918, als Preußen
eine führende Rolle einnahm.
Er war 78 Jahre alt, als 1926 sein Buch „Eines
deutschen Bürgers Arbeit in Wirtschaft und
Politik: Lebens-Erinnerungen und -Erfahrungen
aus den Jahren 1848 bis 1926“ erschien. Erst jetzt
wurde es von mir ins Polnische übersetzt und im
Januar 2020 in Gorzow Wielkopolski veröffentlicht.
Das vor nahezu einhundert Jahren in einer anderen
politischen Wirklichkeit und für einen anderen
Leserkreis geschriebene Werk bedurfte tiefgründiger
Kommentare, die dem heutigen Leser
die Reise in die Welt Max Bahrs und seiner Epoche
ermöglichen sollen.
Es ist kein einfaches Buch, es ist kein Buch
zum amüsanten Lesen, obgleich viele seiner Passagen
bei jedem Interesse wecken können. Es ist
auf alle Fälle ein Dokument, das bestätigt, welch
ein kluger und weitsichtiger Mensch Max Bahr war.
Er war der Erste, der nach vorherigen Beratungen
in seiner Jutefabrik Betriebsräte gründete,
wobei diese erst 1920 in ganz Deutschland
eingeführt wurden. Max Bahr war der Erste, der
ein Kinderheim für Kinder seiner Arbeiterinnen errichtete
und den Tagesablauf so organisieren ließ,
dass die Säuglinge alle drei Stunden ihre Muttermilch
bekommen konnten.
Er war derjenige, der betonte, daß jede Wohnung, die für seine Arbeiter gebaut wurde, einen kleinen Garten haben muß. Er war jener, der die körperliche Kraft durch Gymnastik hoch schätzte und deswegen eine Schwimmhalle für alle Bürger seiner Heimatstadt errichtete.
Mit allen seinen Entscheidungen war er seiner Zeit voraus. Max Bahr war hoch angesehen bei seinen Mitbürgern. Als 1945 in die Stadt Polen kamen, wußte niemand, wer Max Bahr war, obwohl alle gern in der von ihm errichteten Schwimmhalle gebadet haben. Deswegen war es so wichtig, die Erinnerung an diesen aufgeklärten und der Stadt ergebenen Menschen wieder zu beleben.
Die Übersetzung der Erinnerungen von Max Bahr wurde in der Stadt sehr enthusiastisch begrüsst. Zur Premiere der Veröffentlichung ist die Familie Max Bahrs aus Deutschland angereist sein Urenkel und Urururenkel. Die erste Auflage war innerhalb von 6 Tagen vergriffen und es müssen neue Exemplare bestellt werden.
„Max Bahr. Spolecznik, polityk i przedsiebiorca. Wspomnienia z lat 1848-1926“,
Übers. Malgorzata Czabanska-Rosada, Gorzow Wielkopolski 2020, 296 Seiten
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