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Ausflug nach Blesen
Text und Fotos: Joachim Gladisch
Seit vielen Jahren fahren wir immer Anfang Juli zu Besuch zu unseren Verwandten, der Familie Zeh, nach Solben/Slowin. Von Solben aus unternehmen wir dann zahlreiche Verwandtenbesuche in der Heimat.
So sollte es auch in diesem Jahr sein. Nur in
diesem Jahr ist alles anders. Aufgrund der Corona-
Pandemie haben wir keinen einzigen Verwandtenbesuch
unternommen. Wir wollten nicht das Risiko
eingehen, unter Umständen jemanden oder
uns selbst anzustecken. Wie alle Dinge im Leben hat auch diese Situation zwei Seiten. Das Positive war, daß wir mehr Zeit zur Erkundung unserer Heimat hatten. Mir fiel ein, daß meine Eltern des Öfteren von dem Ort Blesen/Bledzew sprachen. Ich war noch nie in Blesen und wollte schon immer mal den Ort besichtigen. Also Karte raus und erst einmal gucken, wo genau denn Blesen liegt. Als die Route festgelegt war, fuhren meine Frau
und ich mit dem Auto an einem sonnigen späten
Sonnabendnachmittag los. Der Weg führte uns
über Meseritz/Miêdzyrzecz in Richtung Schwerin/
Skwierzyna. Nach Schwerin und weiter in Richtung
Stettin/Szczecin führt inzwischen eine neu
gebaute zweispurige Schnellstraße, die S 3.
Wir wählten jedoch bewußt die „alte Strecke“,
die am Glembuchsee/Jezioro Glêbokie vorbeiführt.
Bei nur wenig Verkehr fuhren, man muß
schon fast sagen, glitten wir über die herrlich durch
Wälder führende Straße entlang.
Kurz vor Schwerin bogen wir nach links Richtung
Poppe/Popowo ab. Vor Poppe hielten wir vor
dem Bahnübergang und genossen den Blick aus
der Ferne auf das Dorf. Bei herrlicher Sommeratmosphäre
konnten wir sogar die Feldlerche singen
hören. Erinnerungen an meine Kindheit in
Scharzig/Szarcz wurden wach.
Am Ortseingang von Poppe liegt rechter Hand
ein im Dreieck angelegter, von alten Bäumen
umsäumter „Platz“. Den Mittelpunkt des Platzes
bildet eine in weiß und blau gehaltene Marienstatue.
Am Ortseingang gabelt sich die Straße.
In der Mitte zwischen den beiden Straßen liegt,
wie in vielen Orten dieser Gegend, die Kirche mit
dem umgebenden Kirchhof. Gegenüber dem
Haupteingang der Kirche befindet sich ein großer
Dorfteich, der bei einem Brand auch als Löschteich
dient.
Wir fahren weiter über Semmritz/Zemsko und erreichen nach Überquerung der Obra, das Ziel unseres Ausflugs, Blesen. In Blesen fahren wir zunächst zum Friedhof, der auf einem langgezogenen Hügel liegt. Am Friedhofseingang befindet sich das Grab von Leo Hertel, der vor dem 2. Weltkrieg Professor an einem Gymnasium in Posen war und dem die Stiftung für polnisch-deutsche Zusammenarbeit einen Gedenkstein in polnischer und deutscher Sprache gewidmet hat.
Der Weg über den Friedhof ist als Mittelachse
angelegt. An den alten Baumstümpfen erkennt
man, daß er in der Vergangenheit von großen Bäumen
gesäumt war. Leider wurden anstelle der alten
Bäume keine jungen Bäume angepflanzt, die
dem Friedhof seine alte Charakteristik wiedergegeben
hätten. Wir finden auch noch einige wenige
Gräber mit deutschen Inschriften. Im Hintergrund
des Friedhofs sehen wir eine Friedhofskapelle,
die dem Baustil nach zu urteilen aus der
Nachkriegszeit stammt.
Danach fahren wir zum Ortszentrum, dem
Marktplatz. Dieser ist rechteckig angelegt, modern
gepflastert und macht einen ordentlichen Eindruck.
Die Mehrheit der umliegenden Häuser ist
renoviert und hat einen frischen Anstrich. Auf dem
Marktplatz herrscht eine ruhige Samstagabendatmosphäre.
An einer der vier Ecken des Marktplatzes gehen
wir in eine Seitenstraße, an deren Beginn der
Eingang zur Katharinenkirche liegt. Die Kirche ist
aus rotem Backstein gebaut. Das Dach ist neu
mit roten Biberschwanzdachziegeln gedeckt. Obwohl
der Kirchturm einen intakten Eindruck macht,
sind an zwei Ecken in mittlerer Höhe, zahlreiche
Ziegel herausgebrochen. Ob das wohl noch Zeugnisse
vom Ende des 2. Weltkrieges sind? Wir wissen
es nicht.
Eigentlich wollten wir auch noch das Wasserkraftwerk,
das einen guten Kilometer vom Ort
entfernt liegt, besichtigen, aber die Zeit ist schon fortgeschritten und vermutlich ist an einem
Samstagabend keine Besichtigung möglich. Das
Wasserkraftwerk wurde in den Jahren 1906 bis
1910 erbaut und ist nun eines der ältesten Wasserkraftwerke
in Polen. Es erzeugt mit dem aufgestauten
Wasser der Obra elektrischen Strom.
Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, wir beschließen
es bei einer unserer nächsten Besuchsfahrten zu besichtigen. Wir verlassen den Marktplatz und fahren nach
Solben zurück.
Unterwegs machen wir noch einen
Abstecher nach Obergörzig/Gorzyca. Wir
schauen uns die schöne alte Fachwerkkirche an.
Ein Modell dieser Kirche hat unser bereits verstorbene
Heimatfreund Alfons Latzke erstellt. Der Heimatkreis Meseritz hat das Modell dem Museum
Miedzyrzecz vor zwei Jahren als Dauerleihgabe
zur Verfügung gestellt.
In der Abenddämmerung sind wir wieder in Solben
angekommen und stellen fest, Blesen war den
Ausflug wert.
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