Martin Meißner – eine Brücke zwischen
Meseritz und Miedzyrzecz

Text: Katarzyna Sztuba-Frakowiak, Fotos: Foto: Dariusz Brozek


Die Verleihung des Titels im Rathaus
Der 22.06.2021 war ein warmer, aber bewölkter Tag. Um 9 Uhr fand im Rathaus eine außerordentliche Sitzung des Stadtrates statt. Bei diesem Treffen fand die Vergabe von zwei Ehrentiteln „Verdienstvoll für die Stadt Miedzyrzecz“ statt.
Der Saal im Rathaus war voll. Hier versammelten sich alle 21 Stadträte der Stadt Miedzyrzecz, der Bürgermeister und seine Mitarbeiter sowie die Einwohner der Stadt. Den ersten Preis erhielt Frau Hanna Augustyniak, eine langjährige Aktivistin der Meseritzer „Solidarität“, eine Freiheitskämpferin, die während der kommunistischen Ära unterdrückt wurde.
Den zweiten Preis erhielt der in Meseritz geborene Deutsche Martin Meißner, der jetzt in Werder/ Havel in Brandenburg lebt.
Eine feierliche Laudatio zu Ehren der Ausgezeichneten wurde verlesen. Danach sprach Bürgermeister Remigiusz Lorenz, gratulierte beiden zu ihrer Auszeichnung und überreichte Blumensträuße. Nach der Zeremonie legte Martin Meißner seine vom Bürgermeister erhaltenen Blumen am Gedenkstein auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Miedzyrzecz nieder, wo seine Vorfahren begraben sind.




Der Weg zu einem ehrenvollen Titel
Warum hat Martin Meißner diesen ehrenvollen Titel von den Bürgern seiner Heimatstadt erhalten? Man kann sagen, daß es ein Gemeinschaftswerk vieler Menschen war, die ihm wohlgesonnen waren.
Initiator von Martins Bewerbung um diesen Titel war sein Freund Josef Kruk aus Cochem (Rheinland-Pfalz), der vor einem Jahr einen Brief mit seinem Vorschlag an den Stadtrat schickte.
Dann übernahm der Stadtrat Andrzej Chmielewski die Initiative, der einen förmlichen Antrag auf Verleihung des Ehrentitels an den Ausschuss stellte und dafür sorgte, daß das gesamte Verfahren zu einem glücklichen Ende geführt wurde.






Der Stadtrat von Miedzyrzecz mit 21 Ratsmitgliedern verlieh Herrn Martin Meißner einstimmig den Titel „Verdienstvoll für die Stadt Miedzyrzecz“. Niemand war dagegen, niemand enthielt sich! Am 22. Juni 2021 wurde dem ersten Deutschen nach 1945 dieser Titel offiziell verliehen.

Wer ist Martin Meißner?
Martin Meißner wurde am 20. April 1935 in Meseritz geboren. Seine Mutter Johanna, geborene Hoffman war die Sekretärin von Schuldirektor Dr. Vincents. Sein Vater, Adolf Meißner, war Bankangestellter.
Seit 1637 lebten seine Vorfahren zunächst im Dorf Pachy. Später wohnte die Familie im Kreis Meseritz, insbesondere in Liebenau (Lubrza) und in der Stadt Meseritz. Martin ist mit den bedeutendsten Familien des Meseritzer Landes verwandt: Bronikowski, Unrug, Kalckreuth. Die Porträts seiner Vorfahren betrachten uns von den Wänden des Museums im Schloss Meseritz.
Martins Kindheit in Meseritz war glücklich und unbeschwert. Er hat viele schöne Erinnerungen daran, mit Freunden auf der Straße zu spielen, in der Obra zu schwimmen, den Schanzenberg hinunter zu schlitteln. Er besuchte die Volksschule in der Bismarckstraße (Gebäude des heutigen Gymnasiums und Grundschule Nr. 1).
Leider wurde das friedliche Dasein seiner Familie in Meseritz durch den Krieg unterbrochen. Am 29. Januar 1945 mussten er und seine Schwester zusammen mit der Mutter um 22 Uhr in einem der letzten Züge die Stadt verlassen. Die Familie erreichte am nächsten Tag Kyritz in der nordwestlich von Berlin gelegenen Prignitz und wurde schließlich im Dorf Boddin bei Pritzwalk einquartiert.

Dort besuchte Martin wieder die Schule und erlernte ab 1949 in Kyritz bei der Raiffeisen-Warengenossenschaft den Beruf eines Großhandelskaufmanns – „nicht immer zur Freude meiner Eltern“ wie er sagt. Nach Schulabschluss und Berufseinstieg gründet er eine Familie. Allerdings vermisste er die Stadt seiner Kindheit.
1972, während des Kalten Krieges, wagt er es zum ersten Mal, nach Miedzyrzecz zu fahren. 1976 kommt er mit seiner Familie, um ihr die Orte seiner Kindheit zu zeigen. Er freundet sich mit der Familie von Józef und Roman Bozek an, die in seinem ehemaligen Elternhaus leben.
Seitdem besucht er regelmäßig Miedzyrzecz und freut sich, daß die Stadt immer schöner wird. Damals begann er auch, in Staats- und Privatarchiven, in Pfarreien und Bibliotheken Materialien über die Stadt und das Umland zu sammeln.
Im Laufe der Jahre ist eine große Sammlung von Fotos, alten Postkarten und historischen Dokumenten zusammengekommen.


Warum lieben ihn die Einwohner von Miedzyrzecz?
Martin eroberte mit seiner bedingungslosen Liebe zur Stadt die Herzen der Meseritzer. Er ist eine wahre Fundgrube an Wissen für Liebhaber der lokalen Geschichte. Seine Berichte wurden verwendet, um mehrere Bücher über die Geschichte von Miedzyrzecz zu schreiben (z.B. Bücher von Andrzej Chmielewski wie „1944 Prittisch Luftschlacht“).
Er gehört auch zur beliebten Gruppe auf Facebook: „Powiat Miedzyrzecki. Historia i wspóB´czesnosc“ („Kreis Meseritz. Geschichte und Gegenwart“), gegründet von Dariusz Brozek, einem Journalisten aus Miedzyrzecz. Hier posten viele Heimatkunde-Enthusiasten Fotos und Beiträge zur Geschichte der Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg. Martin teilt seine Postkarten, Fotos, Scans von Dokumenten und Zeitungen im Gruppenforum.

Betsche, ehemalige evangelische KircheManche sind so unbekannt und originell, daß sie selbst Lokalhistoriker mit akademischen Titeln überraschen. Er erklärt unermüdlich die Vorkriegsgeschichte der Stadt, ergänzt historische Diskussionen mit Informationen, Fotos und Kommentaren. Er ist wie ein guter Lehrer, der sich seinen Schülern nicht mit seinem Wissen aufdrängt, sondern sanft vorschlägt.
Die Bürger sind auch dankbar für die Schenkung Martin Meißners an das Museum. Einen Teil seiner stattlichen Sammlung übergab er dem Meseritzer Museum. Der Direktor des Museums, Andrzej Kirmiel, ist stolz, daß Martin Meißner ihm einige seiner „Schätze“ anvertraut hat. Dabei handelt es sich nicht nur um die Originalzeichnungen Friedrich Bierbachs aus dem Jahr 1946, eine Sammlung von fast 600 Postkarten von Meseritz und Umgebung, sondern auch um ein Album mit 250 Fotos der Vorkriegsstadt.

Er überließ ihm auch das Tagebuch seines Urgroßvaters, das dieser 1910-1931 geführt hatte: „Mein Lebenslauf gewidmet meinen Kindern“ und ein einzigartiges Buch „Geschichte der Stadt Meseritz“ von Becker, mit einer Widmung von Bürgermeister Hart an Landrat von Meibom. Martin übergab auch Originalexemplare des „Öffentlichen Anzeigers der Königlichen Regierung zu Posen“ und Archivausgaben des Heimatgruss 1969-2019 und viele, viele andere wichtige Dokumente.


Betsche, Gedenksteinevangelischer FriedhofMartin wiederholt immer wieder: „Miedzyrzecz ist die Stadt meiner Kindheit, meine kleine Heimat, die ich liebe, egal wo ich heute lebe!“. Die Städter sehen und schätzen diese Liebe voll und ganz.

Der Empfang in Obergörzig
Während seines diesjährigen Besuchs in Miedzyrzecz übernachtete Martin in Obergörzig / Gorzyca. Er wohnte im schönen Schloss Kalckreuth an der Obra, zwischen Wäldern und Wiesen, auf denen die Pferde des Schlossgestüts weiden (heute Gästehaus „Maya“).
Katarzyna Budych, die Vorsitzende des Stadtrates, beschloß, hier in dieser wunderschönen Naturlandschaft eine Feier zu Ehren der Geehrten zu organisieren. An dem Empfang nahmen Bürgermeister Remigiusz Lorenz mit seinen engsten Mitarbeitern, Dariusz Brozek, Stadträte und Freunde von Frau Hanna Augustyniak und Martin Meißner teil.
Im wunderschönen Park, der das Schloss in Gorzyca umgibt, versammelten sich die Gäste in einem geräumigen Pavillon. Auf diejenigen, die die Ehre verdienten, wurde mit Champagner angestoßen und alle setzten sich an die prächtig gedeckten Tische. Es war ein heißer Tag und alle genossen das Abendessen und ein Pint kaltes Bier.
Es gab Gespräche über Geschichte, über alte Freunde aus Miedzyrzecz, inzwischen gab es Unterstützung für das Fußballspiel Polen-Schweden. Gespräche und Witze nahmen kein Ende. Der Abschied fiel schwer, am Ende erklärte der Bürgermeister, Martin müsse sich nach einem anstrengenden Tag wohl ausruhen.

Am Ende verteilte Martin an die Schützlinge des DPS Szarcz (Sozialhilfeheim Scharzig), das von den felicianischen Schwestern geführt wird, Geschenke (während seines Aufenthalts im vergangenen Jahr hatte er den Schwestern auch Geschenke übergeben und sie trugen ihn in die Liste der Spender ein, für die sie jeden Tag beten). Freunde überreichten Martin Geschenke und begleiteten ihn zum Schloss. Sie wünschten ihm Ruhe und eine gute Heimreise nach Werder.
Wir freuen uns auf seinen nächsten Besuch!


Die HGr-Redaktion gratuliert Martin Meißner im Namen von Vorstand, Beirat und allen Mitgliedern des Heimatkreis Meseritz e.V. von Herzen für die hohe Auszeichnung der Stadt Miedzyrzecz, die ihm als ersten deutschen Staatsbürger verliehen wurde. Sie ist ein hoffnungsvolles Zeichen für die Normalisierung des Verhältnisses zu unserem Nachbarn jenseits der Oder, dessen beispielgebende Strahlkraft alle politischen Ebenen erreichen möge.
Albrecht Fischer von Mollard