Auswanderung nachgespielt
von Leonhard v. Kalckreuth (alle Fotos: gazetalubuska.pl)

Anfang Juni 2008 besuchte ich wieder einmal meinen Freund Olgierd Banas, katholischer Pfarrer in Langheinersdorf bei Züllichau und damit auch zuständig für die schöne Fachwerkkirche im Nachbarort Klemzig, der sich meine Familie besonders verbunden fühlt und der sie für Unterhaltungsarbeiten jedes Jahr einen bescheidenen Betrag zuwendet.

Pfarrer Banas nutzte die Gelegenheit, mich zur Teilnahme an einem Ereignis der besonderen Art einzuladen: 170 Jahre nach dem tatsächlichen Geschehen sollte unter seiner Regie die Auswanderung von 200 Lutheranern aus Klemzig nach Südaustralien originalgetreu in Szene gesetzt werden. Gäste dieser Aufführung sollten auch der deutsche und der australische Botschafter aus Warschau sein, die aber leider nicht erschienen.

Der Hintergrund für das Begehren, Preußen zu verlassen, war, daß es in der ersten Hälfte des 19. Jhs. zwischen zwei Ausprägungen des Protestantismus – den Lutheranern und den Reformierten – zu schwerwiegenden Konflikten gekommen war, die König Friedrich Wilhelm III. dadurch zu entschärfen suchte, daß er durch Verordnung v. 27.9.1817 die Unierte Kirche ins Leben rief, die beide Richtungen zusammenführen sollte. Diesem von der Obrigkeit verfügten Zusammenschluß widersetzten sich große Teile der Lutheraner, deren einer Wortführer der Klemziger Pfarrer August Ludwig Kavel (1798-1860) war.
Dank seiner Initiative verließen 1838 200 Klemziger und weitere 600 Bewohner der Gegend um Züllichau ihre Heimat mit Ziel Australien. Insgesamt wanderten um diese Zeit mehrere tausend preußische Lutheraner nach Australien aus.

Der 5. Juli 2008 war ein schöner Tag. Pfarrer Banas war es gelungen, viele seiner Schäfchen zu animieren, sich anzuziehen, wie Landbewohner der ersten Hälfte des 19. Jhs. bekleidet waren und sich mit altertümlichen Gepäckstücken zu versehen. Das polnische Ortsschild von Klemzig war durch ein deutsches in gotischer Schrift ersetzt worden. Als ich zu den an der Kirche Versammelten – zu denen auch unsere Freunde Henryk und Wanda Strózczynski aus Betsche zählten – stieß, wurde auch ich entsprechend verkleidet und wie auch die anderen „Auswanderer“ mit einem „Unentgeldlichen Reise-Pass“ der „Königlich Preußischen Staaten“ versehen, der mein Signalement beinhaltete und mir, einem „mit Feldarbeiten und Ackerbau beschäftigten Tagelöhner namens Johann Chrystian Eisen vom Bauernstande Klemzig“, „das Recht verlieh, zwischen 1. Juli und Ende Dezember 1838 die Grenze zu passiren und sich in den Königlich Preußischen Staaten aufzuhalten“.

Pfarrer Banas hatte den Habit eines evangelischen Pastors (mit Beffchen!) angelegt und hielt einen „Abschiedsgottesdienst“ in seiner Kirche ab, bevor alle Mitwirkenden 12 bis 15 gummibereifte Pferdewagen bestiegen um sich – genau wie 1838 – zum Oderhafen Tschicherzig zu begeben. Das Wetter war herrlich, die Bevölkerung – halb Züllichau war auf den Beinen – säumte beifallspendend die ganze 14 km lange Wegstrecke. Schließlich erreichte der merkwürdige Zug die Verladeanlagen von Tschicherzig, an denen ein Schild „Hamburg“ suggerierte, daß man schon da angekommen war, von wo es auf die lange Seereise gehen sollte.

Ein in „Prince George“ umgetauftes Oder-Personenschiff stand bereit, uns aufzunehmen und stach auch in See.

Die „Seereise“ war nur eine kurze, sie beendete das Ereignis, über das das Grünberger Fernsehen und die Gazeta Lubuska ausführlich berichteten. Anschließend gab es von Klemziger Frauen vorbereitetes Bigos, das polnische Nationalgericht, und bei Kaffee und Kuchen klang ein denkwürdiger Tag aus.

Im HGr-Archiv befindet sich eine Dokumentation „Um des Glaubens willen nach Australien“ von W. Iwan, Pastor in Nicolstadt. Sie enthält u.a. die Namen und Berufe der1839 bis 1841 aus den Kreisen Meseritz und Birnbaum ausgewanderten Lutheraner. Sie wird im nächsten HGr Nr. 187 veröffentlich!