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Rokitten / Rokitno Text und Fotos: Wanda Gladisch
Rokitten/Rokitno ist Teil der Gemeinde Prittisch/
Przytoczna im ehemaligen Kreis Schwerin a.d.
Warthe/Skwierzyna, heute zum Kreis Meseritz/
Miêdzyrzecz gehörend.
Eingebettet in die sanften wellenartigen Hügel
der Moränenlandschaft liegt die Ortschaft auf
ungefähr halber Strecke, ca. 3 km südlich der Straße,
zwischen Schwerin und Birnbaum/Miêdzychód,
Der Name des Ortes geht auf das Wort „Rokita“
zurück. Das ist eine uralte slawische Bezeichnung
für eine Gattung der Weide, die ihren Ursprung
im 12./13. Jh. hatte.
Bereits im Jahre 1333 wurde in Rokitten, auf
Verfassung des Posener Bischofs,
eine Holzkirche erbaut. Die über die
Jahrhunderte mehrfach zerstörte Kirche
wurde stets in Holzbauweise
wieder aufgebaut.
Im Jahre 1661 ging die Kirche in die Obhut des Zisterzienserklosters in Blesen/Bledzew über. Acht Jahre später wurde das durch Wunder berühmte Muttergottesbild aus Blesen in die Kirche nach Rokitten überführt. Im Jahre 1670 wurde das Bild nach sorgfältiger Prüfung durch die bischöfliche Kommission zum Gnadenbild erklärt. Der polnische König nahm daraufhin das Marienbildnis mit nach Warschau und fuhr später mit ihr nach Lublin, um einen Aufstand des Adels niederzuschlagen.
Die Gebete um einen erfolgreichen
Ausgang der Schlacht und den Sieg mit dem
Schwert haben jedoch einen anderen Ausgang
gefunden. Es kam zu keinem Kampf, sondern zur
Unterzeichnung eines Friedensvertrages.
Nach dem „Sieg Gottes über die Gewalt des
Krieges“ verlieh der König der Madonna die Königskrone.
Das Bild der nun gekrönten Maria kehrte
im November 1671 nach Rokitten zurück. Schon damals pilgerten viele Gläubige hierhin, um den
Segen und die Gnade der „Rokittener Mutter Gottes“
zu erbitten und so wurde Rokitten zum Wallfahrtsort.
Der Bau einer gemauerten Kirche geht auf den
Anfang des 18. Jh. zurück. Zuerst von den Zisterziensern
auf einem kleinen Hügel am Ortsrand
an der Straße nach Meseritz begonnen, jedoch
nicht vollendet und später abgetragen, wurde der
Bau im Jahre 1746 zentraler im Ort platziert und
im Jahre 1762 vollendet. Den Bauplan entwarf im
Auftrag des Zisterzienserklosters Blesen der in
Schlesien und im südlichen Großpolen tätige Architekt
Karl Martin Franz (1712-1755)
Die „kleine Basilika“ (Basilica minor), wie sie
heute bezeichnet wird, ist eine dreischiffige Hallenbasilika
im Spätbarockstil mit reichen Verzierungen
und Deckenmalereien ausgestattet, wobei die
Seitenaltäre im Rokoko-Stil gehalten sind.
Der Eingang wird von zwei mit Helmen bedeckten
quadratischen Türmen flankiert, die dem
österreichisch-böhmischen Barock nachempfunden
sind. Die farbige Ausmalung der Gewölbe
stammt ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert. Die
reiche Kirchenausstattung ist von Barock und Rokoko
geprägt.
Als Objekt der Verehrung und gleichzeitig der
größte Schatz der Kirche, ist hier das Gnadenbild
zu erwähnen, das heute als „Mutter Gottes, die
geduldig Zuhörende“ bezeichnet wird.
Das Bild wurde in der ersten Hälfte des 16. Jh.
von einem unbekannten Künstler, wahrscheinlich
aus der niederländischen Malerschule, auf Lindenholz
gemalt.
Vielleicht ist es nur das Fragment eines größeren
Gemäldes, das die Madonna mit Kind darstellte,
wie Fachleute mutmaßen. Als besonderes
Kennzeichen des Bildes gilt das gut sichtbare rechte
Ohr, das für die Namensgebung des Gemäldes
steht.
Der Hauptaltar wurde eigens für das Gnadenbild
konzipiert und ist in Holz mit vielen Säulen
und kunstvoll vergoldeten Skulpturen ausgeführt.
Die Skulpturen stammen von Christian Grünewald
aus Liegnitz/Legnica und die Deckengemälde von Georg Wilhelm Neunhertz.
Das Madonnenbildnis ist zentral im Alter platziert,
leicht zurückgesetzt mit einem beweglichen
Heiligenbild als Schutz davor, der das Gnadenbild
verdeckt und nur zu den Gottesdiensten langsam
hochgefahren wird. So ist das kostbare und
hochverehrte Madonnenbild nur zu besonderen
Anlässen sichtbar. Der Besucher, der die Kirche
außerhalb der Gottesdienste besucht, bekommt
es daher nicht zu sehen.
Wie in den vergangenen Jahrhunderten ist
Rokitten auch heute ein Wallfahrtsort. Papst
Johannes Paul II. hat wurde die Kirche zur „kleinen
Basilika“ erhoben. Der Hochaltar und das
Gnadenbild wurden aufwendig restauriert. Die
prunkvollen Verzierungen, die nur das Gesicht der
Madonna freiließen, wurden entfernt und nun ist
das gesamte Portrait frei sichtbar. Die Mutter
Gottes erhielt eine neue vom Papst geweihte Krone,
die in einer feierlichen Zeremonie verehrt
wurde.
Das Gelände um die Kirche wurde stetig weiter
ausgebaut und umgestaltet. Nordöstlich des
Gotteshauses entstand ein parkähnlich gestalteter
Kreuzweg. Weiterhin kamen bauliche Erweiterungen sowie Neubauten in der Umgebung hinzu. So entstanden für Pilger ein Hotel und eine Herberge mit angeschlossener Gastronomie, ein Café/Restaurant, Tagungsräume sowie ein kleines Museum. Laut polnischen kirchlichen Quellen wird Rokitten jährlich von ca. 250.000 Pilgern besucht. Die 1999 herausgegebene Briefmarke mit dem Abbild der berühmten Rokittener Madonna unterstreicht eindrucksvoll die Bedeutung des Gnadenbildes in Polen.
Bis 1945 befand sich an der Straße gegenüber der Kirche ein Kloster, in dem sich u.a. eine „Haushaltungsschule“ für junge Frauen befand. Dieser Bau wurde zum Kriegsende durch Brand und Vandalismus stark beschädigt. Das Gebäude wurde daher einige Jahre später teilweise abgetragen und in veränderter Architektur wieder aufgebaut. Der Bau erinnert in keiner Weise mehr an das ehemalige Kloster. Hier ist nun seit Jahrzenten eine Pflegeeinrichtung mit Wohnheim für körperlich und geistig behinderte Kinder untergebracht.
Am Rand von Rokitten westlich der Straße Richtung Schwerin befindet sich ein Pflegeheim für geistig behinderte Männer und östlich der Straße direkt am Ortsausgang ein in den 2000-er Jahren neu erbautes Senioren- und Pflegeheim. Diese drei Pflegeeinrichtungen sind somit bedeutende Arbeitgeber in dieser ländlichen Region und erfüllen gleichzeitig eine wichtige soziale Aufgabe.
Der Ort Rokitten gehört seit 1815 zu Preußen
bzw. zum Deutschen Reich. Im Jahr 1939 zählte
Rokitten 596 Einwohner. Ein Teil der Rokittener
Bevölkerung flüchtete im Januar 1945 vor der herannahenden
Front.
Der verbliebene Teil der Deutschen wurde im
Juni 1945 vertrieben. Im Anschluss daran erfolgte
die Besiedlung des Ortes mit Menschen aus
Zentralpolen und aus den östlichen Gebieten Polens,
die nun an die UdSSR fielen.
Im Ort bestand bis zum Kriegsende ein Gut,
welches Hermann Viebig gehörte. Nach 1945 ist
daraus die staatliche landwirtschaftliche Genossenschaft
„PGR“ entstanden, die ebenfalls ein
bedeutender Arbeitgeber für das Dorf bis zum
politischen Umbruch 1989/1990 war. Heute gibt es keine Genossenschaft mehr und das Ackerland wird nur noch von wenigen Vollerwerbslandwirten bewirtschaftet. Die Erwerbstätigen, die nicht in Rokitten beschäftigt sind, pendeln nach Prittisch, Schwerin oder Meseritz zur Arbeit. Im Ort gibt es außer der Gastronomie und der Pfarrei einen kleinen „Tante-Emma-Laden“, eine Schule und einen Kindergarten. Rokitten ist gut über asphaltierte Straßen, sowohl von Birnbaum über Prittisch, von Schwerin über Gollmütz/Chelmsko und von Meseritz über Kalzig/Kalsko erreichbar. Im Jahr 2002 wurden in Rokitten 152 Haushalte gezählt, davon allerdings 37 Single-/Einpersonenhaushalte. Im Jahr 2005 wird die Einwohnerzahl mit 470 und im Jahr 2011, nach der Eröffnung des Seniorenheims, mit 782 Personen angegeben. Der Liebucher See und der Rokittener See liegen in ca. 2,5 km Luftlinie vom
Dorf entfernt und tragen touristisch zur Aufwertung
des Dorfes bei.
Rokitten präsentiert sich insgesamt als ein gepflegter
Wallfahrtsort. Die zwei großen kirchlichen
Feste, die zu den Marien-Feiertagen am 15. August
und am 08. September stattfinden und als
Ablässe bezeichnet werden, sind etwas Besonderes.
Sie ziehen sehr große Menschenmassen
an und bieten sowohl etwas für die Ertüchtigung
des Geistes, als auch weltliche Attraktionen in
Form eines Großtrödelmarktes und einer Kirmes.
Für Touristen, die den Trubel mögen, ist der
Besuch zu den genannten Terminen sehr empfehlenswert.
Wer es allerdings ruhiger mag, sollte eine andere
Zeit wählen und Rokitten so kennenlernen,
wie es sich die allermeiste Zeit des Jahres präsentiert
ruhig und ländlich verträumt.
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