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Vor 65 Jahren wurde Birnbaum „befreit“
von Prof. Dr. Malgorzata Czabanska-Rosada
Vor 65 Jahren, im Januar 1945, kam es an der nordöstlichen Stadtgrenze zu einem Geplänkel, bei dem die Deutschen zwei Sowjetpanzer vernichteten. Auf ihrem Rückzug setzten sie einige Gebäude in Brand. Die Brände wurden von Einwohnern gelöscht. Bei den Kämpfen um Birnbaum gefallene Rotarmisten wurden zunächst bei der Lindenstraße beerdigt, später wurden sie exhumiert und auf dem Soldatenfriedhof in Schwerin beigesetzt. Der Plan für die Eroberung Berlins wurde vor 65 Jahren im Birnbaumer Rathaus entworfen. „Für die Dauer einiger Wochen war der Stab der Ersten Weißrussischen Front mit Marschall Schukow an seiner Spitze in Birnbaum stationiert“, erinnert sich Boleslaw. Cenkier, Augenzeuge des Einmarschs der Sowjets in Birnbaum.
„Die Planung für den Angriff auf die Oder und die Eroberung
Berlins entstand in diesem Gebäude. Zwei Monate
lang residierte dort der Stab Marschall Schukows“,
erzählen Boleslaw Cenkier und Lucjan Sobkowski aus
Birnbaum. Erste Panzer mit roten Sternen an den Türmen
erschienen am 26. Januar 1945 an der Stadtgrenze.
Sie kamen aus Richtung des Vorwerks Steinshof.
„Die Deutschen vernichteten einen Panzer mit einer Pak,
ein zweiter fuhr auf eine Mine. Es gab jedoch keine größeren
Kämpfe um Birnbaum. Die Wehrmacht zog sich
über die Warthe in den Netzeurwald zurück“, erzählt
der 81jährige Cenkier.
Vorher hatten die Russen einige Erhebungen im
Bereich des Ostbahnhofs erobert, als eine aus Panzern,
Panzertiefladern und LKWs bestehende deutsche Kolonne
sich aus Richtung Zirke näherte.
Die Russen beschossen sie mit Kanonen kleineren
Kalibers und zerstörten einen LKW. Durch die verschneiten
Straßen entkam die Kolonne nach Westen.
Aus dem Osten ertönte lautes „Hurra“. In der
Nacht vom 26. auf den 27. Januar wurde Cenkier durch
lautes Pochen gegen seine Tür aufgeweckt. Er war überzeugt,
daß es deutsche Soldaten aus einer nahen Stellung
waren junge Kerle, höchstens 2 Jahre älter als
er. Deswegen frug er auf Deutsch, wer da ist. Da hörte
er auf einmal „Otkrywaj!“ (Öffnen).
„Vor der Tür standen zwei Russen. Der erste
steckte sein Gewehr durch die Tür und fragte mich, wer
ich sei. Ich sagte, daß ich Pole bin. Er kam in die Wohnung
und schaute in alle Räume.
Er fand eine Milchkanne und löffelte in der Sahne.
Dann rief er den zweiten Soldaten. Dann bemerkte
er, daß ich barfuß auf dem Beton stehe, sagte „Durak“
(Dummkopf) und hieß mich Schuhe anziehen. Ich spürte
jedoch keine Kälte, so erschrocken war ich“, erzählt der
alte Mann. In der Zwischenkriegszeit war Birnbaum die
westlichste Stadt Polens.
Die Grenze war nur ein paar Kilometer entfernt.
Da wohnten viele Deutsche, weitere wurden während
des Krieges neu angesiedelt. Sie besetzten Häuser und
Höfe von Polen, die nach Osten vertrieben, in KZs oder
Gefängnissen saßen oder ermordet worden waren.
Ende Januar 1945 fuhren die meisten mit der Bahn ins
Reich. Cenkier war damals 16 und Knecht auf dem Hof
von Richard Richter in Radusch. Er kümmerte sich um
Vieh und Geflügel.
„Wir hatten keine Ahnung, daß die Front sich nähert.
Am 19. Januar kam der Bürgermeister zu uns und
sagte, daß wir uns auf eine Evakuierung vorbereiten
sollten. Wir sollten in geschlossener Gruppe fahren“,
erzählt er.
Cenkier legte den Pferdewagen mit Strohsäcken
aus. Der Bauer kämpfte damals an der Westfront. Seine
Frau sagte dem Knecht, daß er auf Hab und Gut
achten soll, weil sie in zwei Wochen wiederkommt und
falls ein Ei oder ein Huhn verlorengeht, wird er bestraft.
Am frühen Morgen verließ eine aus Wagen und
Schlitten bestehende Kolonne das Dorf. Die Deutschen
fuhren Richtung Mokritz und kehrten nie mehr zurück.
Ein halbes Jahr später kam aber Czeslaw, der
ältere Bruder von Boleslaw, den Frau Richter als Hilfe
auf ihrem Weg mitgenommen hatte, zurück. Er war mit
der Familie bis hinter die Elbe gezogen. Boleslaw, der
Bolek genannt wurde, hatte aber nicht auf die Familie
Richter warten wollen. Er nahm das Fahrrad, belud es
mit 2 Kannen Milch und begab sich nach Birnbaum,
wobei er die zugefrorene Warthe überquerte. In der
Stadt waren ca. 2.000 Polen geblieben.
Der 83-jährige Lucjan Sobkowski, Birnbaumer
Regionalforscher und Autor zahlreicher Veröffentlichungen
über die Stadtgeschichte, Boleslaw Cenkier und
ein Reporter der „Gazeta Lubuska“ stehen auf dem
schneebedeckten Parkplatz vor dem früheren Landratsamt
(heute Rathaus).
Nur wenige wissen, daß dies in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs eines der am stärksten bewachten Gebäude der Welt war. Von Anfang Februar bis April 1945 residierte hier der Stab der Ersten Weißrussischen Front unter Marschall Schukow, dem Vizechef der Roten Armee, also dem ersten Stellvertreter Josef Stalins. In der Stadt waren ein paar Tausend Soldaten stationiert. Außer den Stabssoldaten waren es auch Hilfseinheiten und Flak-Mannschaften, die die Sowjets um Birnbaum herum postiert hatten. Den „polnischen“ vom „russischen“ Teil der Stadt trennte der Kanal zwischen Küchensee und Warthe. „Die Russen hielten auch Häuser in der Stadtmitte besetzt, bei uns wohnte ein Oberst“, erzählt Cenkier. Die Birnbaumer betonen mit Stolz, daß in ihrem Rathaus die Planung für den Angriff auf Berlin, das Herz des Dritten Reiches, erfolgte. Woher weiß man dies so sicher?
„Dies ist kein Geheimnis. Auch in der sowjetischen
Serie „17 Augenblicke im Frühling“ wurde Birnbaum
als der Ort erwähnt, wo man die Eroberung Berlins
vorbereitete“, erzählt Sobkowski. Polen brauchten
spezielle Passierscheine, um in den militärischen Bereich
zu gelangen. Frei durfte sich dort nur der Starost
Andrzej Gorniak bewegen, der in der Lindenstadt wohnte.
Über eine Woche hatte er Marschall Schukow und
2 andere Generäle als Gäste in seiner Wohnung.
Sobkowski weiß dies von der Tochter des Starosten,
Aleksandra. Sie erzählte, daß die Russen abends Tee
tranken und einer von ihnen schön Klavier spielte. „Es
waren kultivierte Menschen, Saufereien und Plünderungen
kamen nicht vor“, sagt der Regionalforscher. Nach Überschreiten der ehemaligen polnisch-deutschen
Grenze nahe Betsche benahmen die sowjetischen Soldaten
sich wie die Hunnen.
Sie raubten und ermordeten deutsche Zivilisten.
Augenzeuge dieser Ereignisse war der heute 91jährige
Stanislaw Kaczor aus Birnbaum, der bis Kriegsende als
Zwangsarbeiter bei Rokitten war. Dort erlebte er Grauenhaftes,
wie Sodom und Gomorrha. Mit brüchiger Stimme
erzählt er von stockbesoffenen Rotarmisten, die
hordenweise Frauen, auch kleine Mädchen, bei Tag und
Nacht vergewaltigten.
Die Opfer wurden an den Haaren aus Klosterkellern
geschleppt, in denen sie sich vor der siegreichen
Roten Armee versteckt hatten. Auf der polnischen
Seite der Grenze verhielten die Russen sich maßvoll.
Cenkier und Sobkowski versichern, daß es in Birnbaum
zu keinerlei Gewalttaten, Morden oder Plünderungen
kam, vielleicht deswegen, weil Schukows Stab sich hier
aufhielt. „Russische Soldaten taten Polen nichts an, es waren Deutsche, die sich mit schwarzen Buchstaben in die Stadtgeschichte einschrieben. Gleich nach dem Einmarsch in Birnbaum vergewaltigten sie zwei junge Mädchen“, beendet Cenkier seinen Bericht.
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