NACHRUF
Zum Tod von Prof. Dr. iur. Georg-Christoph v. Unruh
Edzard Schmidt-Jortzig und Leonhard v. Kalckreuth

Am 21.6.09, dem Tag des längsten Lichts im Jahr, ist Georg-Christoph v. Unruh im 96. Lebensjahr in seinem Haus in Heikendorf bei Kiel friedlich verstorben. Mit ihm ist ein Mann von uns gegangen, dessen publizistische Leistung mit Bezug auf das Bewahren der Erinnerung an das deutsch-polnische Miteinander in der Provinz Posen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Einer Familie entstammend, die neben einem deutschen auch einen polnischen Zweig (Unrug) hat, wurde Unruh am 28.9.1913 in Posen geboren und verbrachte die ersten Kinderjahre unter der Pflege einer Tante auf dem Unruh’schen Familiengut Kl. Münche Kr. Birnbaum. Später zog er nach Oldenburg i.O. und anschließend nach Goslar, wo er das Abitur ablegte. Seine Beziehungen zum Posener Land blieben lebendig, weil er seine Ferien immer entweder in Kl. Münche oder bei einem anderen Vetter im Kr. Schroda verbrachte. Von der reichen Tradition seiner Vorfahren als Eigentümer der Herrschaft Birnbaum und (durch Erteilung des sog. Indigenats) Angehörigen der polnischen Szlachta fasziniert, widmete er sich neben seinem Jurastudium dem Erforschen der Geschichte seiner Familie, die vom 16. bis zum 19. Jh. eine überragende Rolle in Großpolen spielte. In den 1930er Jahren verbrachte er große Teile seiner Semesterferien bei seinen Verwandten v. Kalckreuth und v. Dziembowski im Kr. Meseritz. Während dieser Aufenthalte durchforstete er viele Kirchenbücher des Meseritzer Landes.

Als Jurastudent in Bonn war er in den Abwehrkampf gegen die nationalsozialistische Universitätsokkupation verwickelt. Als Rechtskandidat arbeitete er im Sommer 1936 am Land- und Amtsgericht Meseritz. Nach den Staatsexamina promovierte er 1941 in Königsberg mit einer Arbeit über „Studien zum Gottesgnadentum der katholischen Majestäten und preußischen Monarchen“. Im Anschluß daran arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Juristischen Lehrstuhl bei H.U. Scupin in Posen, wurde aber schon bald zur Wehrmacht eingezogen.

Nach dem Krieg aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, faßte Unruh beruflich in der kommunalen Selbstverwaltung Fuß. Beim Landkreis Leer war er zunächst wissenschaftliche Hilfskraft und wurde später zum Kreissyndikus gewählt. Zuletzt war er dort allgemeiner Vertreter des Oberkreisdirektors, als er sich – neben dem Hauptberuf und einem Lehrauftrag an der legendären Hochschule Wilhelmshaven – an der Juristischen Fakultät der Universität Münster mit der Arbeit „Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft“ für Öffentliches Recht habilitierte. 1967 folgte er einem Ruf an den Lehrstuhl für Öffentliches und Kirchenrecht an der Universität Kiel und war bis 1978 Richter am OVG Lüneburg.

Nach seiner einfühlsamen Studie „Das Dorf einst und jetzt“ (1956) sowie seiner Habilitationsschrift etablierte Unruh sich rasch als vielgefragter Fachmann der Kommunalwissenschaften. 1966 erschien die Monographie „Der Landrat“, die als Fazit in ihrem Untertitel „Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung“ die auch nach der verstärkten Kommunalisierung noch gültige Formel dieser Institution prägte. Wenige Jahre später folgte das Kapitel „Gemeinderecht“ – später „Kommunalrecht“ – im Sammelband „Besonderes Verwaltungsrecht“ sowie 1983 die entwicklungsgeschichtliche Bilanzierung „Kommunale Selbstverwaltung 1833 und 1983“.

Auch zu anderen Fragen des Besonderen Verwaltungsrechts bzw. des Staatsrechts allgemein hat sich Unruh vielfach geäußert. Stellvertretend seien genannt das Referat auf der Staatsrechtslehrertagung 1967 „Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratisch-parlamentarischen Staat“ und der zuletzt erschienene „Grundkurs Öffentliches Recht“, der heute von jüngeren Kollegen fortgeführt wird. Außerdem war Unruh von 1976 bis 1985 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Verwaltung“.

Die dritte Säule, die Unruhs wissenschaftliches Werk trug, war sein verfassungsgeschichtliches Interesse. Aus einer Familie stammend, deren Schicksal vielfältig mit den staatlichen Verwicklungen des osteuropäischen Raums verknüpft ist und früh sein historisches Gespür weckte, wurde er auch für diesen Zweig der Rechtswissenschaften gewonnen. Die Krönung der vielfältigen Arbeiten auf diesem Gebiet stellte die maßgebliche Mitgestaltung und Herausgeberschaft des großen, sechsbändigen Werkes „Deutsche Verwaltungsgeschichte“ (1983-1988 besorgt im Auftrag der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft zusammen mit Kurt Jeserich und Hans Pohl) dar. Bis zuletzt erschienen regelmäßig historische Betrachtungen von ihm in einer Ausbildungszeitschrift. Seinen Lehrstuhl versah Unruh aktiv bis ins 69. Lebensjahr, war von 1975 bis 1981 geschäftsführender Direktor des Juristischen Seminars der Universität Kiel, hat unzählige Kandidaten durchs Examen geführt und Doktoranden zur Promotion gebracht. Er war Mitbegründer des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaft an der Universität und geschätzter Redner auf vielen Fachkongressen.

Georg-Christoph v. Unruh hat überdies die wechselvolle Geschichte unserer Posener Heimat zum Gegenstand unzähliger Veröffentlichungen gemacht. Einige davon fanden Abdruck in den „Birnbaumer Heften“, dem „Heimatbuch Meseritz II“ sowie dem Meseritzer „Heimatgruß“. Sein wissenschaftlicher Ruf drang schon lange vor dem Ende des Kommunismus bis nach Polen, wo er an der Kath. Universität Lublin mehrmals Gastvorlesungen hielt. Während vieler Jahrzehnte war er Mitglied der „Historisch-Landeskundlichen Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen“ (jetzt: „Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen“).

Unruh war Träger des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Rechtsritter des Johanniterordens und Träger der Goldenen Treuenadel der vereinigten HKr Meseritz & HKG Birnbaum.

Ein großer Trauerzug folgte seinem Sarg zu seiner letzten Ruhestätte in Heikendorf an der Kieler Förde. Mit ihm ging ein Leuchtturm der Erinnerung an deutsches Wirken in Großpolen von uns.