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Wieder-Weihung des Friedhofs in Bialokosch, Kr. Birnbaum,
und Gedenken an den frühen „Europäer“ Christian Freiherr von und zu Massenbach“
Text und Fotos: Dr. Martin Sprungala
In der polnischen Historiographie werden die in preußischer Zeit zugezogenen Deutschen oft als Okkupanten bezeichnet. Dies gilt im besonderen Maße für Militärs und Gutsbesitzer, die einst polnisches Land erhielten. Zumindest einen unter ihnen haben die Polen aber in ihr Herz geschlossen: Christian Freiherr von und zu Massenbach (1758-1827), Rittergutsbesitzer in Bialokosch (Provinz Posen).
Was ist nun an diesem Mann so besonderes?
Leben und Werk eines Erhöhten und Erniedrigten
Seine Familie stammte aus Massenbach im württembergischen Kreis Heilbronn, das heute zur Stadt Schwaigern gehört. Christian Karl August Ludwig Freiherr von und zu Massenbach selbst wurde am 17.4.1758 in Schmalkalden in Thüringen, damals Hessen- Kassel, geboren. Sein Vater war dort Offizier und Forstmeister beim Landgrafen von Hessen, einem Verbündeten Friedrichs des Großen. Mit fünf Jahren kam er nach Massenbach, dem Stammsitz der Familie, wo seine Eltern 1756/57 mit dem Bau des heutigen Barockschlosses begannen.
Christian besuchte die Hohe Karlsschule des
Herzogs Carl Eugen v. Württemberg in Stuttgart und
wurde mit seinem Freund Friedrich Schiller auch militärisch
erzogen. Er absolvierte die Schule mit einem glänzenden
Examen und war schon mit 24 Jahren als Lehrer
für Mathematik, Taktik und Strategie anerkannt.
Wie viele Zeitgenossen war Christian ein Bewunderer
Friedrichs des Großen. Ihm war die Welt in
Württemberg zu eng und er ging nach Preußen. Als
persönlicher Schüler von Friedrich II. begann Massenbach
am 2.2.1783 als Leutnant seine Laufbahn im preußischen
Generalstab. Der Tod seines verehrten Gönners
am 17.8.1786 erschütterte den 28jährigen tief.
Seine militärische Karriere hat das nicht behindert. Er
wurde Erzieher der preußischen Prinzen und einer der
Chefs und Organisatoren des preußischen Generalstabs.
Seine Analysen der Niederlage der preußischösterreichischen
Armee im Ersten Koalitionskrieg gegen
Frankreich gelten als zutreffend, schonungslos und
brillant. Seine Suche nach den Gründen des Erfolgs
der Franzosen brachte ihm das Gedankengut der Französischen
Revolution näher und er wurde von der Erklärung
der Menschenrechte am 26.8.1789 fasziniert.
Laufend reichte er Reformvorschläge ein, die
aber wenig Gehör fanden. In ihm wuchs die Erkenntnis,
daß nicht nur die Armee erneuert werden mußte, sondern
auch die gesellschaftspolitische Ordnung des preußischen
Staates, weshalb man ihn zur sog. „Französischen
Partei“ zählte, die die Bedrohung Preußens nicht
so sehr in Frankreich sah, sondern in Rußland.
Geradezu prophetisch sagte er die Teilung
Deutschlands zwischen Ost und West voraus und
sprach von der „Wüste Europas“, wenn einmal die Kultur
nach Amerika ausgewandert sein wird auch England
sah er als große Gefahr für Preußen an. Und er
urteilte: „Preußen trägt die unvertilgbare Schuld, am
meisten dazu beigetragen zu haben, daß das Gleichgewicht
Europas zerstört worden ist.“ Schon früh vertrat
er die These, daß die Wiederherstellung des polnischen
Staates als Pufferstaat gegen Rußland notwendig
sei. Er sah Frankreich unter Napoleon mit der Verbreitung
der Ideen der Französischen Revolution als
Erfolgsmodell der Zukunft Europas.
Mit dieser Auffassung stand er aber fundamental
gegen die Haltung des preußischen Königshauses
und großer Teile des Militärs. Die „Kriegspartei“ setzte
auf Rußland, das aber das Bündnis verweigerte; Preußen
stolperte in die vernichtende Niederlage von Jena
und Auerstedt (1806) und verlor im Frieden von Tilsit
(1807) die Hälfte seines Staatsgebietes.
Nach der Niederlage Preußens zog sich Massenbach
auf sein Gut im Posener Land zurück, um dann in
seiner Urheimat politisch aktiv zu werden. Er unterstützte
den Kampf um eine demokratische Verfassung für
Württemberg. Er nahm Kontakt mit der Opposition auf
und ging als Vertreter der Opposition in die Ständeversammlung
in Stuttgart, die 1817 eine neue Verfassung
realisieren wollte. Doch die Fürsten hatten unter
Metternichs Führung das Rad der Geschichte bereits
zurückgedreht. Die demokratischen Reformer scheiterten
deutlich. Massenbach galt dem württembergischen
König Wilhelm I. seither als Staatsfeind und mußte aus
Stuttgart fliehen. Die Stadt Frankfurt am Main lieferte
ihn am 18.8.1817 an Preußen aus.
1819 wurde er zu 14 Jahren Festungshaft verurteilt,
die er in Küstrin und in Glatz in steigender Depression
abzusitzen begann. Die Familie geriet dadurch in
größte finanzielle Schwierigkeiten, denn die Einkünfte
aus Massenbach in Württemberg wurden eingezogen
und seine preußische Pension einbehalten. Die Erträge
des Gutes Bialokosch, die der Familie einzig noch
blieben, waren sehr gering.
Ende 1826 wandte sich Massenbach der Religion zu, der er als Kind der Aufklärung und Wissenschaft stets kritisch gegenübergestanden hatte. Schon todkrank amnestierte ihn König Friedrich Wilhelm III. mit der Auflage, sich „auf seine polnischen Güter“ zurückzuziehen. Massenbach starb am 21.11.1827 in Bialokosch. Auf seinem Grabstein steht zu lesen: „Herr du hast ihn erhöhet und erniedrigt vor der Welt, auf dass er erkennete, daß Christum lieb haben besser ist, denn alles Wissen.“ v Sein Urururenkel Dr. Heiko Freiherr von und zu Massenbach bezeichnet ihn als einen ganz frühen Europäer, einen sehr mutigen Gesellschaftspolitiker und auch bestechenden Strategen seiner Zeit, der für eine friedliche Balance zwischen den Staaten Frankreich, Preußen und Polen auf dem europäischen Kontinent eintrat.
Das Gut Bialokosz und die Familie v. Massenbach
Christian v. Massenbach schätzte die Polen. Obwohl sich der Aufstand von Tadeusz Kosciuszko (1794) auch gegen Preußen richtete, äußerte er persönliche Sympathie und nannte ihn einen „edlen und tapferen Sarmaten“ [= Eigenbezeichnung des polnischen Adels]. Im Jahr 1793 kam das Posener Land infolge der 2. Teilung Polens unter preußische Herrschaft. Im späteren Kreis Birnbaum/Miedzychód befand sich das 3.800 Morgen (= 950 ha, davon 1.600 Morgen Wald, 1.400 Morgen Acker, 200 Morgen Wiese und 600 Morgen Seefläche) große Klostergut Bialokosch, das dem Orden der Katharinen gehörte. 1796 wurde deren Besitz säkularisiert und am 17.3.1798 als Dotation an Christian v. Massenbach begeben, der am 8.8.1798 die südpreussische Staatsbürgerschaft erhielt. Bis 1945 war seine Familie im Besitz von Bialokosch mit den Vorwerken in Pinne/Pniewy, Jakubowo und Konin. 1919 optierte die Familie gemäß Maßgabe des Versailler Vertrages für die polnische Staatsbürgerschaft.
Im Jahr 1802 hatte Massenbach mit dem Bau des
Schlosses direkt oberhalb des Sees in Bialokosch begonnen.
Als Vorbild wurde das Haus des Herrn von
Treskow in Owinsk gewählt, das von dem berühmten
Architekten Karl Friedrich Schinkel gebaut worden war.
Massenbach ließ Obstgärten anlegen, deren Bepflanzung
aus der Königlichen Landesbaumschule in
Charlottenburg herbeigeschafft wurde. Das Obst versorgte
bis etwa 1860 die gesamte Nachbarschaft, die
Massenbach nacheiferte. Es entstand eine eigenes
Sägewerk und eine Ziegelei. 1806 quittierte Massenbach, dem man als Stabschef der preußischen Hauptarmee heftige Vorwürfe machte, den preußischen Militärdienst und zog nach Bialokosch. Seither lebte die Familie hier. Ihm folgte sein Sohn Georg Sylvius (1799-1885) als Gutsherr. Er lebte anfangs in Pinne. 1871 übergab er das Gut Pinne an seinen Sohn Georg (1842-1893) und das Gut Bialokosz an seinen Sohn Karl (1844-1911); im selben Jahr zog er auf das Familienstammgut nach Massenbach, wo er am 1.2.1885 starb und beigesetzt wurde. Seither gab es mehrere Zweige der Familie im Posener Land.
Im Januar 1945 mußte auch die Familie v. Massenbach fliehen, sie kehrte an ihren Ursprungsort in Württemberg zurück, doch Bialokosch hat sie nie vergessen. 1945 übernahm der polnische Staat das geplünderte Gut Bialokosch und errichtete hier eine sozialistische landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Das volkseigene Gut unterstand dem Kombinat PGR Kwilcz. Im Jahr 1974 wurden das verfallene klassizistische Herrenhaus und der verwilderte Park von Bialokosch unter Denkmalschutz gestellt. 1977 beschloß man deshalb die Restaurierung des Herrenhauses, die 1980 abgeschlossen wurde. Heute befindet sich das Herrenhaus im Privatbesitz und wird als Hotel unter dem Namen „Palac Bialokosz“ genutzt. Die ehemaligen Gutswälder unterstehen der staatlichen Forstverwaltung in Zirke/Sieraków.
Der ehemalige evang. Friedhof von Bialokosch und seine Neu-Weihung
Auf dem Friedhof im nahe gelegenen Wald von Bialokosch, mit 0,13 ha und ca. 300 m vom Herrenhaus entfernt, wurde Christian Freiherr v. u. zu Massenbach, als erster beerdigt. Massenbachs Freund und profilierter polnischer Patriot, der Pfarrer aus Orzeszkowo, Johann Wilhelm Cassius (1787-1848), hielt die Trauerpredigt.
Weitere vierzehn Angehörige der Familie
Massenbach wurden hier beigesetzt ebenso wie eine
größere Anzahl von Mitarbeitern und evangelischen
Bewohnern der Umgebung.
Seit den 1990er Jahren kümmert sich die Familie um
die Gräber der Vorfahren, aber erst vor wenigen Jahren
kam Bewegung in die Bemühungen. Durch Recherchen
von Historikern wurde die hiesige Bevölkerung darauf
aufmerksam gemacht, welch bedeutende Persönlichkeit
in ihrer Gemeinde gewirkt hatte und bestattet
worden war.
Das Regionalmuseum von Miêdzychód/
Birnbaum unter der Leitung von Antoni
Taczanowski plante eine Ausstellung für Christian
Freiherr von und zu Massenbach, die am
12.5.2006 eröffnet wurde. Zahlreiche Familienmitglieder
der Freiherren von Massenbach waren zur
Eröffnung der Ausstellung nach Polen gekommen.
Dank der Hilfe des Posener Denkmalamtes
unter Leitung von Dr. Aleksander Starzyñski konnten
zahlreiche Grabsteine restauriert und am
15.5.2007 unter Denkmalschutz gestellt werden.
Hilfreich zur Seite stand der Heimatkreis Meseritz
und Birnbaum, der die Germanistin Dr. Malgorzata
Czabañska-Rosada, Posen, um Hilfe bat.
Sie stellte den Kontakt zum Denkmalsamt
in Posen und zum Forstamt in Zirke her, auf dessen
Gebiet der Friedhof heute liegt. Sie vermittelte die
anerkannte Steinmetzfirma Witold Wozniak in
Neutomischel/Nowy Tomysl für die fachlich erforderlichen
Arbeiten an den Grabsteinen aus Sandstein und
Marmor.
Nach der Restaurierung der Grabsteine konnte am 1.6.2013 auch der Friedhof wieder neu geweiht werden. Bereits am Fronleichnamstag (30.5.2013) reisten die meisten Gäste aus Deutschland an, Angehörige der Familie v. Massenbach, ebenso der Vorsitzende der Heimatkreise Meseritz und Birnbaum, Leonhard v. Kalckreuth, in Begleitung von Sylvia Gräfin Galen und des Bundessprechers der Landsmannschaft Weichsel-Warthe, Dr. Martin Sprungala.
Am 31.5.2013 wurde das
Ursulinenkloster in Pinne/Pniewy, Kr.
Samter/Szamotuly besichtigt. Die Führung
durch Schwester Teresa OSU, die
in München Deutsch gelernt hatte, war sehr informativ.
Sie berichtete über das Leben der Gründerin ihres Klosters,
Julia Maria Gräfin Halka-Ledóchowska herbu
Szalawa (1865-1939, seit 1887 Ordensname Ursula).
Ihre Familie entstammte dem ruthenischen Bojarenadel
der Halka aus Wolhynien ihr Onkel war Kardinal
Mieczyslaw Halka Ledóchowski, der Erzbischof von
Gnesen und Posen, und ihr Bruder Wladimir
Ledóchowski war Ordensgeneral der Jesuiten. In Pinne
gründete sie 1920 mit 40 St. Petersburger Ursulinen
ein Kloster, das sich der Erziehung von Waisenkindern
widmete. Papst Benedikt XV. gestattete ihr die Gründung
einer eigenen Ordensgemeinschaft, der „Ursulinen
vom Herzen Jesu im Todeskampf“. Wegen des grauen
Habitus werden sie auch „Graue Ursulinen“ genannt.
1983 sprach Papst Johannes Paul II. die Gründerin selig,
1989 wurde ihr Leichnam von Rom nach Pinne überführt
und am 18.5.2003 sprach sie der Papst heilig.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen führten die
Organisatoren, Dr. Heiko und Wolfgang Freiherr v.
Massenbach die Gäste zu den Gutsbesitzen der Familie
in Jakubowo, Pinne und Konin, wo man zufällig den heutigen Besitzer, Andrzej Papis, traf, der auf seinem
Grundstück ein weiteres, sehr verwittertes Massenbach-Grab gefunden hatte.
Am 1.6.2013 begann der Festakt mit einem ökumenischen
Gottesdienst in der ehemaligen evangelischen
Kirche in Pinne, der heutigen katholischen
Johannes-Kirche, unter der gemeinsamen Leitung von
Pfarrer Piotr Piec und Altbischof Dr. Johannes
Launhardt, dem ehemaligen Vorsitzenden der Gemeinschaft
Evangelischer Posener e.V.. Übersetzt wurden
die Texte von Dr. Malgorzata Czabañska-Rosada und
dem Lektor der Hochschule Landsberg/Gorzów, Mag.
Dariusz Lêzak.
Auf die Bitte der Familie v. Massenbach hatte die Rektorin
der Hochschule Gorzów, Frau Prof. Dr. habil.
Elzbieta Skorupska-Raczyñska, die Schirmherrschaft
über die Feierlichkeiten übernommen. Die Delegation
der Hochschule mit dem Vizerektor Dr. Przemyslaw
Slowinski, Mag. Hanna Sajkowska und Mag. Dariusz
Lêzak nahm am Gottesdienst und der Neu-Weihe des
Friedhofs teil.
In seiner Predigt beschrieb Dr. Launhardt das
Leben von Christian v. Massenbach unter christlicher
Betrachtung und schilderte seine Wendung in tiefster
Not hin zum Glauben.
Für die Familie sprach Dr. Heiko v. Massenbach bewegende
Worte: „Wir sind… dankbar für die Begegnungen
und Gespräche zwischen Polen und Deutschen
zwischen Alt und Jung in diesen Tagen. Wir nehmen
diese Tage, nach dem vielen Leid, auch als Auftrag und
als ein Zeichen der Hoffnung für uns Deutsche und Polen,
- wir nehmen diese Tage als ein Wunder letztlich
dankbar aus Gottes gütiger Hand.“ „Sie werden daher
verstehen, wie sehr diese Tage in Pinne und in
Bialokosch und heute diese Stunden der Andachten in
Pinne und in Bialokosch unsere Familie von Massenbach
zu tiefst bewegen.“
Die Familie verlas zum Abschluß Fürbitten, auf Polnisch
von einem Familienmitglied vorgetragen.
Im Anschluß an den Gottesdienst fuhr der Großteil der
etwa 70 Gäste zum Waldfriedhof nach Bialokosch, wo
der katholische Pfarrer die Ruhestätte neu weihte, und
weitere Ansprachen erfolgten.
In Vertretung des Wojwoden von Wielkopolska,
Piotr Florek, war sein Mitarbeiter, Herr Kaczmarek, gekommen.
Die Familie v. Massenbach bat die Teilnehmer
danach zu einem Empfang ins Schloßhotel. Dr. Heiko v.
Massenbach dankte explizit allen angereisten Gästen
und den mitwirkenden polnischen Offiziellen, so dem
Ersten und Zweiten Bürgermeister von Pinne, Jaroslaw
Przewozny und Józef Cwiertnia, dem Gemeindevorsteher
von Chrzypsko Wielkie (dt. Seeberg), Edmund
Ziólek, dem Ortsvorsteher von Bialokosch, Andrzej
Frackowiak und den Vertretern der Forstverwaltung aus
Zirke.
Weiterhin den Schulvertretern Przemyslaw
Slowiñski, Direktor der Hochschule Landsberg und den
örtlichen Direktoren Izabela Ratajczak, Waldemar Janelt
sowie Karolina Malyszko, der Deutschlehrerin aus Pinne;
ebenso dem Organisator des Empfangs, Hoteldirektor
Krzysztof Witczak. Allen voran galt der Dank
der Familie Massenbach Dr. Malgorzata Czabañska-
Rosada, ohne deren Arbeit der heutige Tag nicht hätte
stattfinden können.
Mit einem gemeinsamen Buffet und guten Gesprächen
endete die so überaus gelungene Veranstaltung.
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