|
 |

Polen und Deutsche gemeinsam über Vertreibungen
Artikel der Deutschen Welle im polnischsprachigen Internet
Das gemeinsame Schicksal von Polen, Deutschen, Juden
und Lemken zeigt die ab 1.3. 2012 laufende Dauerausstellung:
„Deutsche und andere Bewohner von
Meseritz“ im Museum Meseritz.
Es ist die erste solche Ausstellung in einem polnischen
Museum. In einem der Säle des Museums in
Meseritz dem Kulturdenkmal des Polnischen Staatsmillenniums
wurden Exponate gesammelt, die die
Geschichte der Bewohner von Stadt und Land Meseritz
der Polen, Deutschen, Juden und Lemken zeigen.
Vor allem aber der Deutschen, die bis 1945 90% der
Bevölkerung ausmachten.
„Wir haben getan, was man tun sollte“, sagt
Andrzej Kirmiel, Museumsdirektor. Nach dem 2. Weltkrieg,
als das Museum gegründet wurde, galt der damals
selbstverständliche polenzentrische Blick auf die Geschichte.
Es wurden effektiv alle mit der deutschen Geschichte
der Stadt verbundenen Elemente außer Acht
gelassen. „Es mangelte an diesen Elementen, an dem,
was die Besonderheit dieses Gebietes im Verlauf seiner
Geschichte ausmachte - seiner nationalen und konfessionellen
Vielfalt“, räumt er ein.
Heute ist ein guter Tag
Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit des Museums
in Meseritz mit dem Heimatkreis Meseritz e.V.
„Die Zusammenarbeit zwischen dem Museum und den
Mitgliedern des Heimatkreises, die durch ein gemeinsames
Schicksal verbunden sind, ragt weit über das
Datum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags
von 1991 hinaus“, betont der Heimatkreisvorsitzende
Leonhard v. Kalckreuth im Gespräch mit der DW Deutsche
Welle.
„Die Ausstellung ist für mich ein Beweis dafür,
daß das normale, freundschaftliche Zusammenleben
der Polen und Deutschen, so wie es hier während vieler
Jahrhunderte gegeben war, endlich wieder möglich
ist“. Leonhard v. Kalckreuth, Jahrgang 1930, geboren
im Meseritzer Ortsteil Obrawalde, lebt heute in Bonn
und fühlt sich mit beiden Nationen verbunden. Die Ausstellung
in Meseritz knüpft, wie er sagt, in gewissem
Sinne an die Ausstellung „Tür an Tür. Polen - Deutschland.
1000 Jahre Kunst und Geschichte“ an, die vor
kurzem im Berliner Gropiusbau stattfand.
So wie die Ausstellung in Berlin ist sie ein weiterer
Schritt zur Vertiefung freundschaftlicher Kontakte
zwischen unseren Völkern. Für Leonhard v. Kalckreuth
ist sie auch ein sehr persönliches Erlebnis: „Ich habe
polnische Vorfahren, zum Beispiel Alexander
Bronikowski aus Kurzig (1672-1724), dessen Bild auch
in der Berliner Ausstellung gezeigt wurde. Ab 1936
wir wohnten in Muchocin bei Birnbaum wurde ich als
deutsches Kind mit polnischer Staatsbürgerschaft auf
die Deutsche Privatschule in Birnbaum geschickt, wo
ich Polnisch lernte. Daher habe ich noch heute das
Gefühl für die Melodie dieser Sprache“. Im Jahr 1945
mußte er gemeinsam mit der Familie die Heimat verlassen.
Heute ist ein guter Tag, sagt er bei der Eröffnung
der Ausstellung in Meseritz.
Für das Publikum wird die Ausstellung am 1. März
eröffnet. Ein paar Tage vorher trafen ihre Gestalter sich
im Museum. Neben dem kleinen Team der Museumsmitarbeiter
verdankt die Ausstellung ihr Entstehen auch
dem Engagement und der Unterstützung einer Reihe
verschiedener Personen und Institutionen aus Polen und
Deutschland. Aus dem Heimatkreis Meseritz stammt ein kleiner Teil der Gelder für die Veranstaltung der Ausstellung und Modernisierung des Museums, in dem alle Exponate, auch in den bisher schon bestehenden Abteilungen, in Polnisch und Deutsch beschrieben werden. Den Löwenanteil der insgesamt etwa 20.000 Euro bildeten Mittel des Landes Nordrhein-Westfalen und des Fördervereins des Museums Wewelsburg. Aus dem Museum Wewelsburg stammt die Mehrheit der Exponate. Die dort bis vor kurzem existierende Heimatstube mit der Ausstellung „Deutsche im Osten Mitteleuropas Kultur, Vertreibung, Integration“ war immer weniger besucht und paßte nicht mehr in die neue Konzeption des Museums.
„Es ist schwierig, einen besseren Ort für die Präsentation
der Sammlung zu finden als hier, im Schatten
der Meseritzer Burg, wo das Zusammenleben verschiedener
ethnischer Gruppen über Jahrhunderte selbstverständlich
war“, meint der Paderborner Kreisdirektor
Heinz Köhler.

„Am besten gefällt mir an dieser Ausstellung, daß sie
eine Entmythisierung unserer gemeinsamen polnischdeutschen
Geschichte ist“, sagte Senatorin Helena
Hatka, die ehemalige Wojewodin des „Lebuser Landes“
im Gespräch mit der DW. Helena Hatka trägt die Patenschaft
über die Ausstellung, ähnlich wie die Ministerpräsidentin
des Landes Nordrhein-Westfalen, der Generalkonsul
der Bundesrepublik aus Breslau, das Westinstitut
aus Posen und die Starostei. Die achtzehntausend
Einwohner zählende Stadt Meseritz geriet auf
einmal ins Zentrum der kleinen und großen Politik.
Die Europäische Union in der Nußschale
Meseritz gehörte mal zu Polen mal zu Deutschland. Es
ist einer der wichtigsten mit der Geschichte des Christentums
und der Reformation in Großpolen verbundenen
Orte. Seit dem Mittelalter lebten Deutsche, Polen
und Juden in der Stadt. In den Anfängen des 19. Jhs.
bildeten die Juden ein Drittel der Gesamtbevölkerung.
Die Ausstellung ehrt auch ihre Anwesenheit, indem die
aus dem 19. Jh. stammende Thora gezeigt wird. In der
Neuzeit kamen Holländer und Schotten hinzu.
„Diese Menschen arbeiteten in diesem Land,
funktionierten ohne größere Konflikte. Ihre kleine Heimat
war aus der historischen Perspektive die Europäische
Union in der Nußschale. Was ihnen damals gelang,
muß auch diesmal gelingen. Ich hoffe es sehr“,
sagt Museumsdirektor Andrzej Kirmiel.
Nach 1947 kamen die Lemken ins Meseritzer
Land, eine ukrainische Minderheit, die im Rahmen der
Aktion Weichsel zwangsweise aus ihrer Heimat ausgesiedelt
und in den Wiedergewonnenen Gebiete angesiedelt
wurde. Ein Lemken-Akzent der Ausstellung ist
unter anderen eine Ikone aus der orthodoxen Kirche in
Leszczawa Gorna, von Lemken 1947 nach Meseritz
mitgebracht. „Wir beschlossen, diese Parallele zu den vertriebenen Deutschen oder den Polen zu zeigen, die zum Beispiel aus Wolhynien fliehen mußten. Es lag uns am Herzen zu zeigen, daß Leid unabhängig von der Nationalität erfahren wird. Es kann uns betreffen, ganz gleich, wer wir sind“, erklärt Andrzej Kirmiel. Seine Vorfahren stammen aus dem heutigen Weißrussland: „Als ich mit meinem Vater dorthin reiste und wir Museen besichtigten, war für mich beeindruckend, daß es dort nichts über die polnische Geschichte gibt. Es gibt keine Spuren davon, weder in den Museen von Lemberg noch von Wilna. Wenn wir also solche Erwartungen gegenüber unseren Nachbarn im Osten haben, ist es ja doch selbstverständlich, daß wir dasselbe bei uns tun müssen“. Die Versöhnung findet erst statt. Schätzungsweise 30 % der Museumsbesucher sind Deutsche aus Brandenburg und die immer kleiner werdende Gruppe ehemaliger Meseritzer, die im Rahmen von „Nostalgie“-Reisen kommen. Seit vielen Jahren arbeitet Malgorzata Czabanska-Rosada, Germanistin und Dozentin an der Hochschule in Landsberg, mit dem Heimatkreis Meseritz zusammen.
Zum ersten Treffen mit dem Heimatkreis fuhr sie
mit Zurückhaltung, wie sie sagt, mit der Befürchtung,
Forderungen zu begegnen. „Hier polnische Gebiete, dort
die Deutschen... Es zeigte sich aber, daß die Heimatfreunde
sich von der Vergangenheit distanziert haben,
auf Deutsch gibt es das Wort Entgrenzung, das sich
ins Polnische nicht übersetzen läßt. Ihr Gefühl der Verbundenheit
mit der alten Heimat verstehen sie als Auftrag
zum Brückenbauen“, sagt Malgorzata Czabanska-
Rosada.
Die Statuten des Heimatkreises Meseritz schließen
zwar die Zusammenarbeit mit dem BdV von Erika
Steinbach nicht aus, die ehemaligen Meseritzer haben
mit ihm jedoch nichts zu tun. Ihre Besuche konzentrieren
sich auf Begegnungen mit Einwohnern, auf der Förderung
des Deutschunterrichts in den Schulen. „Wir sind
uns der Leiden, die die Deutschen den Polen angetan
haben, bewußt; und müssen mit dieser Last der Geschichte
leben. Deswegen bemühen wir uns, daß sich
die Einigung Europas weiter entwickelt“, so die Worte
des Landrats von Paderborn Manfred Müller - ganz im
Sinne des Heimatkreises Meseritz.
Die Mehrheit der Mitglieder und Sympathisanten
sind Menschen in hohem Alter und aus demographischen
Gründen werden es immer weniger, sagt
Leonhard v. Kalckreuth. Die mittlere Generation interessiert
sich für die Heimat der Vorfahren so gut wie nicht,
immer öfter aber wollen Enkelkinder sie entdecken.
Malgorzata Czabanska-Rosada erzählt über ihre Studenten,
die bei der Entdeckung der deutschen Spuren
in Landsberg die Geschichten ihrer Großeltern über die
Familienwurzeln in der Ukraine oder Weißrussland in
Erinnerung bringen.
„Flucht und Vertreibung wird zum Glück langsam
kein Tabu mehr. Die Erscheinung des Zuströmens
der polnischen Bevölkerung aus den ehemaligen polnischen
Ostgebieten in die ehemaligen deutschen Ostgebiete
beginnt man im Kreis der Wissenschaftler und
Forscher der Grenzregionen als Neokolonialismus zu
bezeichnen. Aber nicht im traditionellen Sinne, sondern
als Rotation, Völkerwanderung, die in ganz Europa stattfindet.
Einige kommen, die anderen gehen“, erklärt
Malgorzata Czabanska-Rosada.
Dem Verständnis für diese Prozesse, vor allem
durch die junge Generation, soll die Ausstellung im
Museum Meseritz dienen. „Sie müssen diese Prozesse
beurteilen und analysieren können“, sagt Andrzej
Kirmiel. „Meines Erachtens ist es die zukünftig treibende
Kraft der polnisch-deutschen Versöhnung. Sie findet
erst statt, sie ist noch nicht abgeschlossen“.
Bericht über die Eröffnung der Museumsdauerausstellung „Deutsche und andere Bewohner in Meseritz"
Öffnungszeiten des Meseritzer
Museums /Muzeum w Miedzyrzeczu
Dienstag bis Samstag: 9 bis 16 Uhr
Sonn- und Feiertage: 10 bis 16 Uhr
Montags geschlossen
Im Museum ist zur Austellung
„Deutsche und andere Bewohner
von Meseritz“ zur Zeit noch ein
ausgezeichneter zweisprachiger
Katalog zu erhalten.
|
 |