Trauergedenken an das Massaker im Januar 1945 in Brätz
Dr. Martin Sprungala - Fotos: T. Czabanski, Archiv Hgr.





Im Kreis Meseritz hat es 1945 viele grauenhafte Szenen gegeben, denn hier betrat die Rote Armee erstmals das Gebiet des Deutschen Reiches. Stalin und seine Funktionäre hatten ihre Armee anfangs nicht groß motivieren müssen, denn die Sowjetunion war von einem äußeren Feind angegriffen worden, dessen Skrupellosigkeit und Grausamkeit bald berüchtigt war.
Doch die UdSSR war ein Vielvölkerstaat und viele ethnische Gruppen wären lieber unabhängig gewesen; sie schlossen sich daher dem Angreifer an, so wie ein Teil der Ukrainer. Zum Motivieren aller sowjetischen Kräfte sprach die rote Propaganda stets vom „Großen Vaterländischen Krieg“ - und das mit großem Erfolg. Die Opferbereitschaft der Rotarmisten war enorm und dies ungeachtet militärischer Fehler der Führung und der großen Bereitschaft Stalins, Verluste in Millionenhöhe hinzunehmen, solange nur das von ihm angestrebte Ziel erreicht wurde.
Mit dem Erreichen der deutschen Staatsgrenze (Stand 1.9.1939) fiel aber diese Motivation aus und die Propaganda setzte ganz auf die Rachegelüste und die Habgier zum Plündern des Feindeslandes.
Auch wenn diese immer wieder kolportierte Erzählung der Zeitzeugen in der Wissenschaft heiß diskutiert wird, so ist doch erkennbar, daß die Endphase des 2. Weltkrieges von beiden Seiten besonders brutal und menschenverachtend geführt wurde. Belege für dieses Verhalten sind die Massaker in Dürrlettel/Lutol Suchy (siehe „Heimatgruß“ Meseritz, Nr. 206, September 2013, S. 3-8) und in Brätz/Brójce.
Im ersten Fall ging die Initiative für das Errichten eines Gedenksteins von deutscher Seite aus, von Dr. Bärbel Voigt, Berlin. Der Verein Pomost unter der Leitung von Tomasz Czabañski hatte am 19.3.2012 mit der Exhumierung des Massengrabes mit 46 Personen in Lutol Suchy begonnen.

Die Initiative des Pfarrers Pawel Bryk
Der Kreis Meseritz/Miêdzyrzecz ist eines der Hauptarbeitsgebiete des Vereins Pomost und dank zahlreicher Hinweise ehemaliger Einwohner und aus Dokumentationen findet man hier immer weitere Gräber. Im Jahr 2013 fand man das Massengrab in Brätz eher durch Zufall.
Hier wurden 60 Personen gefunden, darunter 8 Soldaten (+ 52 Zivilisten, darunter 4 Kinder), die bereits auf dem großen deutschen Soldatenfriedhof in Stare Czarnowo (Neumark, fr. Kr. Greifenhagen), Ortsteil Glinna (Glien), südlich von Stettin (Szczecin) beigesetzt wurden.
Es war der junge katholische Pfarrer von Brätz, Pawel Bryk, der seit drei Jahren hier amtiert, dem die Erzählung von dem Massaker 1945 keine Ruhe ließ und gemeinsam mit dem Leiter der Feuerwehr initiierte er diese Trauergedenkveranstaltung. Es ist eine Besonderheit, daß die heutigen Bewohner von Brätz/Brójce sich für eine Gedenkstätte einsetzen und dies alles organisierten und finanzierten.
Gegenüber den ehemaliger Brätzern und den Vertretern des Heimatkreises Meseritz e.V. erklärte Pfarrer Bryk, daß er den doch sehr kurzfristigen Termin am 30. Oktober 2013 gewählt hatte, weil kurz darauf Allerheiligen in Polen begangen wird und er hofft, daß es in Brójce zur Tradition wird, auch dieses Grab des Gedenkens an die Opfer von 1945 aufzusuchen, und er wird alles tun, um immer wieder darauf hinzuwirken.
Ein erster Schritt ist bereits mit der Veröffentlichung der polnischsprachigen Monographie „Der evangelische Friedhof in Brätz – Vergangenheit und Erinnerung“ getan (siehe „Neuer Führer über einen alten Friedhof“, in: HGr Nr. 203, S. 20). Die Einwohner selbst haben in Eigenleistung den Friedhof gesäubert und in Stand gesetzt (siehe „Gräber von Jugend und Erwachsenen in Pflege genommen“, in: HGr Nr. 203, S. 21).




Seine Idee war es, eine Trauerfeier gemeinsam mit den Schülern und Einwohnern von Brójce zu begehen und dazu lud er die ehemaligen deutschen Bewohner ein und auch einen evangelischen Pastor. Bislang war dies stets ein Geistlicher aus Deutschland mit engem Bezug zu diesem Heimatgebiet, da ja die Initiative meistens von deutscher Seite ausgegangen war. Zur ökumenischen Trauerfeier wurde Pastor Dariusz Lik von der evangelisch-augsburgischen Gemeinde in Grünberg (Zielona Góra) eingeladen.
Da beide Geistliche nur Polnisch sprechen, erklärte sich Prof. Dr. Malgorzata Czabañska-Rosada, Leiterin einer Sprachenschule in Landsberg/ Gorzów Wlkp., bereit, zu übersetzen.


Der Ort Brätz bis 1945
Der Ort Brätz existierte bereits seit dem frühen Mittelalter als Ansiedlung. 1319 wird er erstmals urkundlich erwähnt. Auf Bitten des Starosten von Bomst (Babimost), Michal Korczbok, dem das Dorf unterstand, erhielt der Ort 1428 durch König Wladyslaw II. Jagiello (1351-1434) das Magdeburger Stadtrecht verliehen. Die Stadt entwickelte sich nur sehr langsam; es kamen auch zu wenige Kolonisten, daher erneute König Zygmunt III. Waza (1566-1632, Kg. 1587) das Stadtrecht im Jahr 1603.
In jener Zeit kamen vor allem evangelische Ansiedler, oft Glaubensflüchtlinge in die Stadt. Es waren vor allem Bäcker, Brauer, Müller, Schneider, Schuhmacher und Töpfer. Zum Stadtrecht gehörte das Privileg, 7 Jahrmärkte pro Jahr abhalten zu dürfen, die den Handel belebten.
Während der Reformation (1590) war auch die Kirche in Brätz lutherisch geworden. Da es hier fast keine Katholiken gab, stand die Kirche nach der Rückgabe im Zeitalter der Gegenreformation seit 1604 leer. Brätz war eine Ackerbürgerstadt mit Viehzucht und Gemüseanbau; sie war bekannt für ihren Pferdemarkt. Wie in allen Städten zu früherer Zeit wurde zumeist mit Holz und leicht brennbaren Baustoffen gebaut, so hat auch die Stadtgeschichte von Brätz große Stadtbrände zu beklagen, so in den Jahren 1657 und 1807.
Als die Stadt infolge der 2. Teilung Polens 1793 in preußischen Besitz kam, gehörte sie weiterhin dem Bomster Starosten Lukasz v. Bniñski h. Lodzia. Das 19. Jahrhundert war eine Zeit des Niedergangs und die Tuchmacher wanderten nach Russisch-Polen (Kongreßpolen) ab. Auch das weitere Handwerk erlebte einen starken Rückgang, so daß die verarmte Bevölkerung sich andere Erwerbsquellen erschloß. Brätz wurde zu einem berüchtigten Schmuggler- und Gaunerzentrum.
In der Zeit der Revolution von 1848 und des Polnischen Aufstands plädierten die Bürger für den Anschluß an die Provinz Brandenburg, da sie bei Preußen bleiben wollten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und Brätz blieb bei Posen. Die erhoffte Verbesserung der Situation wurde aber nicht verwirklicht, denn auch ein geplanter Anschluß an die Eisenbahn in Tirschtiegel (Trzciel, Kr. Meseritz) und Schwiebus (Swiebodzin, Provinz Brandenburg) wurde nicht verwirklicht.
Seinen höchsten Einwohnerstand erlebte Brätz im Jahr 1858 mit 1.543 Bürgern. Seither ging die Zahl – bis heute – zurück. Zur Zeit leben hier ca. 1.050 Einwohner, so daß man es 1946 zum Dorf herabstufte.
In den Jahren 1973-76 war es ein selbständiger Gemeindesitz, heute gehört Brójce zu Trzciel (Tirschtiegel). Ein besonders düsteres Kapitel der Ortsgeschichte stellt der 2. Weltkrieg dar. Die Nationalsozialisten errichteten in Brätz ein Gefangenenlager für Polen u.a. Zwangsarbeiter. Nach neueren polnischen Forschungen starben hier 2.646 Menschen. Auch dies mag eine Ursache für das Massaker im Januar 1945 gewesen sein.


Die Trauerveranstaltung
Im Vorfeld der Trauerfeier fand um 9 Uhr, am 30.10.2013, eine Informationsveranstaltung in der Brätzer Schule für die Schüler seitens des Vereins Pomost statt. Der Mitarbeiter des Vereins, der Archäologe und Doktorand Maksymilian Frackowiak, hielt einen Vortrag, an dem auch die bereits angereisten ehemaligen Brätzer, der Vorsitzende des Heimatkreises Meseritz und Birnbaum, Leonhard v. Kalckreuth und der Bundessprecher der Landsmannschaft Weichsel-Warthe, Dr. Martin Sprungala, teilnahmen.
Anschließend traf man sich im Hotel Maria, in dem die Brätzer unter der Leitung von Waltraud und Horst Rieß bereits alle Jahre ihr Heimattreffen veranstalten mit den polnischen Veranstaltern zum Meinungsaustausch und Kennenlernen.
Sehr zur Freude des Vorsitzenden waren etwa ein Dutzend Brätzer mit Angehörigen und Freunden aus Deutschland angereist. Da der Termin doch sehr kurzfristig war, hatte der Mitarbeiter des „Heimatgruß“ der Meseritzer, Joachim Schmidt, eifrig die Werbetrommel gerührt, damit auch viele Deutsche an der Veranstaltung teilnehmen.

Um 12:30 Uhr versammelte man sich am abseits der Hauptstraße gelegenen ehemaligen evangelischen Friedhof. Die eigenständige evangelische Gemeinde Brätz war erst 1866 gegründet worden.
Anwesend waren die Abordnungen der lokalen Feuerwehr, der Schule, ehemalige und heutige Bewohner der Stadt, als Vertreter der Gemeinde die Bürgermeisterin von Tirschtiegel/Trzciel, Maria Górna- Bobrowska, die Dorfschulzin (Soltys) von Brätz/Brójce, Emilia Lodyga, und die Vertreter des Heimatkreises.
Die beiden Geistlichen hielten eine ökumenische Andacht und erinnerten an das Leid der hier brutal zu Tode gekommenen ehemaligen Bewohner der Stadt.





Dann wurden die zehn Behälter mit den sterblichen Überresten der Ermordeten ins Grab gelegt und beerdigt. Der Vorsitzende des Heimatkreises, Leonhard v. Kalckreuth, hielt seine Ansprache auf Polnisch und Deutsch und würdigte darin die höchst christliche und lobenswerte Initiative der Gemeinde.
Im Anschluß an die Trauerfeier öffnete Pfarrer Bryk beide Ortskirchen zur Besichtigung und lud alle Gäste in den Feuerwehrsaal zu Kaffee und Kuchen ein. Dort wiederholte Maksymilian Frackowiak seinen Vortrag vom Vormittag, den nun Dr. Malgorzata Czabañska- Rosada ins Deutsche übersetzte.
Tief bewegt reisten die Gäste aus Deutschland ab 15 Uhr ab.

Anmerkung:
Wer sich auf der polnischen Staatsstrasse 2 (frühere E 30) bewegt, die durch Dürrlettel und Brätz verläuft, mag kaum glauben, daß es parallel nur wenig weiter südlich die nagelneue, mautpflichtige, Autobahn A 2 (Berlin- Warschau) gibt.
Unverändert donnert fast der komplette Schwerverkehr um die Maut zu sparen wie seit jeher über die auch durch Kupferhammer und Sternberg verlaufende Straße, was zwar den Betreibern von Bordellen, Gasthäusern und Tankstellen gefallen mag, kaum aber den jeweiligen Ortsbewohnern. Der Tag dürfte nicht mehr fern sein, an dem das Befahren dieser Straße durch Lastzüge mit Fernzielen wie in der Bundesrepublik Strafe kosten wird. L. v. K.