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Vor 100 Jahren
Historische Tage im November und Dezember 1918
Dr. Martin Sprungala
Das Jahr 1918 war ein historisch bedeutsames,
denn vor einhundert Jahren endete der Erste Weltkrieg,
der von den Historikern und Soziologen zu
Recht als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“
bezeichnet wurde.
Seit November 1918 veränderte sich die Welt.
Überall in Europa gingen in den Verlierernationen
die Monarchien unter. Nach einer kurzen demokratischen
Phase, die u. a. in der Weimarer Republik
erstmals weltweit das Frauenwahlrecht brachte,
folgten in den Krisenzeiten der 20er und 30er
Jahre in Europa Diktaturen.
Mitten im Fokus dieser Umbrüche nach dem
Großen Krieg, wie Engländer und Franzosen den
Ersten Weltkrieg bis heute nennen, liegt das
Posener Land, liegen die westlichen Kreise
Meseritz und Birnbaum der damaligen preußischen
Provinz Posen. Im Deutschen Reich brach sich
der berechtigte Unmut der Soldaten und der Bevölkerung
in der sog. Novemberrevolution Bahn.
Vieles erinnert an die Ereignisse während der
Revolution von 1848, der ein polnischer Aufstand
im Großherzogtum Posen folgte.
Bereits 1846 hatten polnische Aktivisten einen
Aufstand in Krakau vorbereitet. Der Krakauer
Aufstand vom 18. Februar 1846 sollte auf die Provinz
Posen ausgeweitet werden mit dem Ziel und
der Hoffnung der Aktivisten, daß sich hieraus ein
allgemeiner Krieg entwickeln würde, der die Wiederherstellung
des polnischen Staates realisieren
sollte.
Genau dies geschah nun 1918 infolge eines
allgemeinen Krieges, und die drei Teilungsmächte
Preußen (seit 1871 als Teil Deutschlands), Österreich
und Rußland wurden von den Ereignissen
eiskalt erwischt, sehr zum Vorteil und Nutzen Polens,
das damals das Jahrtausendwunder erlebte,
daß alle drei Teilungsmächte aus einem großen
Krieg als Verlierer hervorgingen. Angesichts der beim Wiener Kongreß etablierten europäischen Weltordnung der Pentarchie, der Vorherrschaft von fünf Großmächten (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland), war es unwahrscheinlich, daß in einem Krieg alle drei Teilungsmächte auf einer Kriegsseite stehen und damit Verlierer des Krieges sind.
Diese Konstellation hat die „polnische Frage“
(Existenzrecht einer polnischen Nation) im 19.
Jahrhundert konserviert und ständig verschärft.
Daß die Hoffnungen auf die Wiedererstehung
Polens durch einen großen allgemeinen Krieg, die
der polnische Nationaldichter Adam Mickiewicz
(1798-1855) propagierte, 1918 Realität wurde,
zeigt, daß die kriegführenden Teilungsmächte aus
der Geschichte nicht gelernt haben, um dies zu
verhindern.
Aber auch ansonsten scheinen die Beteiligten aus
der Geschichte nicht viel gelernt zu haben. Die Art
und Weise, wie die Neuordnung der Welt infolge
der Pariser Vorstadtfriedensverträge und der Nachfolgekriege
erfolgte, belegt dies. Bei den Mittelmächten
wurden diese Verträge zu Recht als
Diktatfrieden bezeichnet und als traumatisch empfunden.
Der französische Marschall Ferdinand
Foch (1851-1929) äußerte zur Zeit des Vertragsabschlusses:
„Das ist kein Frieden. Das ist ein
zwanzigjähriger Waffenstillstand.“
Über die vielen militärischen Konflikte nach
dem Weltkrieg sagte der ehemalige Erste Lord der
Admiralität, Sir Winston Leonard Spencer-Churchill
(1874-1965): „Der Krieg der Giganten ist zu Ende,
der Hader der Pygmäen hat begonnen.“
Ergänzend sei noch hinzugefügt, daß die alte,
ehemalige polnische Hauptstadt Krakau (Kraków)
infolge des Wiener Kongresses 1815 (bis 1846)
zur Republik Krakau (pl. Rzeczpospolita
Krakowska) oder auch Freien Stadt Krakau (pl.
Wolne Miasto Kraków) wurde. Sie wurde damit
zum Kristallisationspunkt des Widerstands gegen die Ordnung des Wiener Kongresses.
Wer hier einen Zusammenhang mit Danzig
erkennt, mag durchaus richtig liegen. Danzig wurde
1919 vom Deutschen Reich getrennt und zur
Freien Stadt. 1933 gab es hier eine erste große
Krise, die fast zum Kriegsausbruch geführt hätte,
und 1939 brach hier laut der üblichen Lesart der
Zweite Weltkrieg aus.
Vergleich 1848 und 1918
Von Frankreich aus verbreitete sich in Europa eine
Protestwelle gegen die Weltordnung des Wiener
Kongresses und überall kam es zu sog. Märzrevolutionen.
In Wien wurde der Verwalter dieser Ordnung
Fürst Klemens Wenzel v. Metternich (1773-1859)
gestürzt, während in Berlin die Revolution vor dem
Thron haltmachte. Der milde preußische Monarch
Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) hatte die Aufständischen
von 1846 am 18.3.1848 begnadigt, was
sich jetzt als fatal für die Provinz Posen erwies,
denn sie organisierten vom selben Tag ab den
Aufstand.
Es wurde wie 1918 auf zwei Ebenen gearbeitet:
politisch-diplomatisch und militärisch. Das
polnische Polenkomitee unter der Führung von
Ludwik Mieroslawski (1814-1878) verhandelte
durch Delegationen mit der Regierung in Berlin und
rief gleichzeitig dazu auf, polnische Kreiskommissare
zu wählen (20.3.1848).
Eine polnische Delegation aus Posen /
Poznan reist am 21.6.1848 nach Berlin, um die freiwillige
Abtretung des Großherzogtums Posen zu
erbitten.
Währenddessen hatten bereits Mitte März polnische Adelige versucht die Regierungsbezirkshauptstadt Bromberg /Bydgoszcz zu übernehmen, doch die deutsche Bevölkerung vertrieb sie.
An dem Tag, an dem der preußische König
die polnische Deputation empfing (23.3.1848), veröffentlichte
der Meseritzer Oberlehrer Carl Holzschuher
(1802-1871) eine Denkschrift, wonach
Meseritz (Miêdzyrzecz) deutsch ist und bleiben
wolle. Der Magistrat richtet daraufhin eine Denkschrift
an den König.
Wenige Tage später (27.3.1848) erklärt sich
Fraustadt /Wschowa für Deutsch und fordert die
Aufnahme in die Provinz Schlesien. Tags darauf
folgten die Städte Rawitsch /Rawicz und Lissa /
Leszno dem Beispiel. Der anmaßend auftretende
polnische Kreiskommissar konnte Lissa nur dank
der Hilfe des deutschen Militärs unversehrt verlassen.
In allen größeren deutschen Orten entstanden
daraufhin Bürgerwehren so auch in Bomst /
Babimost und Birnbaum /Miedzychód).
Als Folge des deutschen Widerstandes wies eine
Instruktion die Mitglieder des polnischen Nationalkomitees
an, die deutschen Bewohner über die
wahren Pläne im Unklaren zu lassen (keine gleichen
Rechte und friedliches Nebeneinander, sondern
polnische Vorherrschaft).
Diese Lehren wirkten bei den Polen 1918
nach, nicht aber bei der deutschen Regierung,
dabei waren die obersten Militärs des Deutschen
Reiches, Ludendorff und Hindenburg, in der Provinz
Posen geboren und aufgewachsen.
Der Königliche Kommissär und Vorsitzende
der „Commission zur nationalen Reorganisation
des Großherzogtums Posen“, General Karl Wilhelm
v. Willisen (1790-1879) leitet die Gespräche mit den
Polen und man warf ihm Blauäugigkeit bzw. Polenfreundlichkeit
vor.
Willisen plante die Gleichberechtigung von
Polen und Deutschen in der Verwaltung und im öffentlichen
Leben.
Mitglieder des Posener Provinziallandtags
baten im Berliner Vereinigten Landtag um die Aufnahme
in den Deutschen Bund. Bromberg und
zahlreiche Orte in dessen Regierungsbezirk forderten
ebenfalls die Aufnahme in den Deutschen
Bund und manche fordern die Aufnahme in die
Provinz Westpreußen.
Es sah danach aus, als könne die Provinz
Posen zerfallen so wie es dann 1918 geschah.
Der Vereinigte Preußische Landtag in Berlin
lehnte jedoch die Aufnahme des Großherzogtums
Posen in den Deutschen Bund mit 26 gegen 17
Stimmen ab.
Der Posener Landtagsmarschall Rudolf Hiller
v. Gärtringen (1801-1866), Rittergutsbesitzer auf
Gut Betsche /Pszczew im Kreis Meseritz, erklärte,
daß die deutschen Grenzkreise unter allen Umständen
in den Deutschen Bund einbezogen werden
wollen und es wurden fünf (statt 12 wie zuerst
geplant) Abgeordnete bestimmt:
Rittergutsbesitzer Kupfer aus Czacz /Czacz,
Kr. Schmiegel, Justizrat Eckert aus Bromberg /
Bydgoszcz, Freigutbesitzer Julius Sermsdorf aus
Podanin /Podanin, Kr. Kolmar, Realschullehrer
Kerst aus Meseritz /Miêdzyrzecz und der Apotheker
Hausleutner aus Rawitsch /Rawicz.
Eine ähnliche Entwicklung gab es in der Provinz
Posen im Jahr 1918. Es war nur kein Kommissar
aus Berlin, sondern die damalige Revolutionsform
der Regierung, die sich als macht- und
übersichtslos erwies. In Berlin regierten damals die
Arbeiter- und Soldatenräte, so auch in Posen (ab
10.11.1918), wo sie polnisch dominiert waren und
die Anliegen der künftigen Aufständischen unterstützten.
Als blauäugig und fehlinformiert erwies sich
1918 der Berliner Unterstaatssekretär Hellmut v. Gerlach (1866-1935), der in Posen die Verhandlungen
mit dem „Obersten Polnischen Volksrat“
(OPV) leitete und am 19.11.1918 unter völliger Verkennung
der Situation nach Berlin meldet, daß in
Posen alles ruhig sei.
Auch 1918 versuchten sich die Posener
Grenzkreise in andere Provinzen zu retten. Am
2.12.1918 schlossen sich die seit Mitte November
gebildeten deutschen Volksräte zu einem „Vereinigten
Deutschen Volksrat Westposens“ in Posen
und einen für das Netzegebiet in Bromberg zusammen.
Am 8.12.1918 wurden daraufhin je ein Abgeordneter
pro 1.000 Einwohner für den für den
Deutschen Volkstag Westposens gewählt, der am
15.12.1918 zusammentreten sollte.
In der Beilage „Die Heimat“ zur
„Meseritzer Kreiszeitung“ vom Sonnabend, den 14.
November 1918/19 (von Heinz Giesecke-
Meseritz, 4. Fortsetzung) sind die 40 gewählten
Abgeordneten des Kreises Meseritz aufgeführt:
Stadt Meseritz nebst Schloß, Winitze, Georgsdorf und Obrawalde: 7 Abgeordnete: Landgerichtsdirektor Contenius, Kreisschulinspektor Dr. Eymer, Baurat Henschke, Sattlermeister (Paul) Kintzel, Kaufmann Mertens, Schneidermeister Morgenstern, Kaufmann Rathe, Ziegeleibesitzer Wotschke.
Brätz und Kutschkau: 2 Abgeordnete:
Pfarrer Hoffmann - Brätz, Pfarrer (Adalbert)
Roenspies - Kutschkau.
Paradies, Schindelmühl, Kalau und Hochwalde: 2 Abgeordnete: Lehrer Geppert - Kalau, Fräulein Jüttner - Meseritz.
Altenhof und Wischen: 1 Abgeordneter: Domänenpächter Fuß - Altenhof.
Betsche: 1 Abgeordneter: Graf zu Dohna.
Bauchwitz: 1 Abgeordneter: Ziegeleibesitzer Pirsch - Bauchwitz.
Dürlettel und Lagowitz: 1 Abgeordneter: Administrator Epple - Lagowitz.
Grunzig, Obergörzig, Weißensee: 1 Abgeordneter: Oberförster Reschke - Weißensee.
Kainscht und Nipter: 1 Abgeordneter: Lehrer Bartelt - Nipter.
Kulkau, Stallun, Zielomischel, Scharzig, Stokki, Schwichotschin: 1 Abgeordneter: Eigentümer Höhle - Stalun.
Kurzig und Pieske: 1 Abgeordneter: Pfarrer Blieske - Pieske.
Politzig, Reinzig, Janau, Bobelwitz, Solben: 1 Abgeordneter: Pfarrer Weise - Politzig.
Schilln, Altjablonke, Neuschilln, Punken: 1 Abgeordneter: Kaufmann Seidel - Meseritz.
Schierzig und Schierzig Hauland: 1 Abgeordneter: Jakowski - Schierzig Hauland.
Bentschen: 4 Abgeordnete: Rechtsanwalt Kittel, Buchdruckereibesitzer Albrecht, Lokomotivführer Klatt, Frau Auguste Neumann.
Die Namen der übrigen 14 Abgeordneten des Bezirks Bentschen-Land sollten in einer späteren Fortsetzung nachgetragen werden. Am 12.12.1918 tagte der Provinzial-Volksrat mit über 1.000 Teilnehmern das erste Mal im Posener Zoologischen Garten. Es wurde ein Friedenstelegramm an den US-Präsidenten, der zu den Friedensverhandlungen in Paris eingetroffen war, verabschiedet, in dem man sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen im Posener Land berief.
An diesem Abend organisierten Posener deutsche Soldaten und Schüler einen Festumzug mit über 15.000 Teilnehmern, um die Forderungen des Deutschen Volksrats zu bekräftigen. Die weiteren vorweihnachtlichen Verhandlungen und Debatten wurden dann am 27.12.1918 durch den militärischen, gewaltsamen Ausbruch des sog. Großpolnischen Aufstands (bis 16.2.1919) überrollt und hinfällig gemacht, denn die Entente- Mächte und ihre Alliierten unterstützten die Polen und wollten das Deutsche Reich so stark wie möglich schwächen, damit es nie wieder in der Lage sein würde, einen Krieg zu führen.
1848 verliefen die Verhandlungen ähnlich. Überall brachen in der Provinz Posen im April 1848 Kämpfe polnischer Insurgenten gegen das preußische Militär und die Verwaltung aus. Der Aufstand endete Anfang Mai mit der militärischen Niederlage der Polen gegen das überlegene preußische Militär. 1918 wäre es ähnlich verlaufen, obwohl die Polen den Großteil der Provinz Posen in Besitz nehmen konnten. In den Grenzkreisen wurde heftig und verbissen gekämpft. Als der deutsche Grenzschutz gerüstet war und zum Gegenschlag ausholte, hatten sie einen höchst ungünstigen Termin für diese Offensive erreicht, denn die Verlängerung des Waffenstillstands von Compiègne stand an. Die verzweifelten Polen fanden in den Entente- Mächten hilfreiche Verbündete, die mit der Fortsetzung des Krieges drohten und so den Vormarsch des Grenzschutzes stoppten. Auf der Basis dieses Status quo wurde dann der Versailler Friedensvertrag abgeschlossen.
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