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Die Erfindung eines neuen Lebuser Landes nach 1945
Dr. Martin Sprungala, Historiker M.A.
Am 1.1.1999 führte Polen die neue Verwaltungsstruktur
mit 16 Wojewodschaften ein. Die bis dahin
bestehenden 49 Wojewodschaften waren dementsprechend
wesentlich kleiner. Damals entstand die
Wojewodschaft „Ziemia Lebuskie“ (Lebuser Land)
mit dem Autokennzeichen-Buchstaben F am Anfang.
Ich fragte damals nach dem Hintergrund,
denn Lebus liegt links der Oder nördlich von Frankfurt/
O. auf deutscher Seite. Die Verwaltungszentren
waren Landsberg a. d. W. (Gorzów Wielkopolski,
einst in der preußischen Provinz Brandenburg
gelegen) und Grünberg (Zielona Góra, früher zur
preußischen Provinz Schlesien gehörend). Als
Autokennzeichen wäre da doch das Z von Grünberg
oder das G von Landsberg logisch gewesen
und nicht das F, das eher an Frankfurt erinnert.
Die Wojewodschaftskennung hat aber nur bedingt
etwas mit den Anfangsbuchstaben zu tun.
Damals erklärte man mir, daß man mit diesen
Gebieten nicht viel anfangen könne, da sie
kein wirklich historisches polnisches Gebiet seien
und lediglich im Mittelalter zeitweise zu Polen gehört
hätten.Als Neumark bzw. Teil Niederschlesiens
seien sie sehr deutsch geprägt gewesen.
Es hatte viele Debatten über die Neuordnung
gegeben. Die Neumark der Posener Wojewodschaft
zuzuordnen, wie es nach dem Krieg geschehen war, wollten deren Rivalen nicht. Der Stand
bis 1950 konnte sich nicht durchsetzen.
Die neue Lebuser Wojewodschaft umfaßt
13.988 Quadratkilometer mit 1.008.656 Einwohnern
(Stand 2008). Es gibt nur zwei Wojewodschaften,
die zwei Verwaltungszentren haben, Lebus mit
Grünberg und Landsberg/W., und die Wojewodschaft
Kujawien-Pommerellen (Województwo
kujawsko-pomorskie) mit Bromberg (Bydgoszcz)
und Thorn. Auch hier zeigt sich schon im Namen
das Dilemma, zwei historische Gebiete zu einer
Einheit zusammenzufassen. Zu preußischer Zeit
gehörte Bromberg als Regierungsbezirk zur Provinz
Posen, Thorn zu Westpreußen.
Das Lebuser Land hat drei Nachbarn: die
Wojewodschaft Niederschlesien (Województwo
Dolny Slaskie) mit der Hauptstadt Breslau
(Wroclaw) im Süden, im Osten Großpolen
(Województwo wielkopolskie) mit Posen (Poznan)
und im Norden Westpommern (das ehemalige
Hinterpommern, Województwo zachodniopomorskie)
mit Stettin (Szczezin). Man erkennt an
den Namen, daß man mit diesen historischen Begriffen
in toto Probleme hatte. So hätte das
Grünberger Gebiet zu Niederschlesien gehört.
Nach dem Krieg hat es in Polen verschiedene
Verwaltungseinheiten gegeben.
Die Nachkriegs-Wojewodschaft Posen und
die neuen Verwaltungseinheiten im Westen
Die neue Verwaltungsstruktur trat nach dem Krieg
am 28.6.1946 in Kraft. Die Posener Wojewodschaft
der Vorkriegszeit entstand neu und erstreckte sich
nun durch die „wiedergewonnenen Gebiete“ im
Westen bis zur Grenze. Dazu gehörten die Gebiete
der ehemaligen Grenzmark Posen-Westpreußen,
vor allem die Region Schneidemühl
(Pilka) über Meseritz (Miedzyrzecz) bis nach Fraustadt,
die Neumark mit Landsberg, das nicht den
Namen Gorzów nad Warta erhielt, sondern
Gorzów Wielkopolska, da es nun zu Großpolen
gehörte. Zudem kam der nördliche niederschlesische
Teil um Grünberg hinzu. Die damalige
Posener Wojewodschaft war damit die größte des
Landes.
Gleichzeitig wurden bereits damals
Verwaltungszweigstellen in Landsberg (mit den
ehemaligen brandenburgischen und grenzmärkischen,
d. h. vormals Posener Kreisen) und
Grünberg eingerichtet.
Am 6.7.1950 kam es zur Gründung der Wojewodschaft
Zielona Góra aus Teilen der Posener
und Breslauer Wojewodschaft (von Glogau bis in
die Lausitz). Die Bevölkerung setzte sich im Verhältnis
2:1 aus polnischen Zwangsvertriebenen
und Zuwanderer aus dem Posener Land zusammen.
1967 vollzog man die Zweiteilung in Landsberg
und Grünberg.
Acht Jahre später, am 1.6.1975, trat erneut
eine Gebietsreform in Kraft: Grünberg verlor seine
südlichen Gebiete, während Landsberg selbständig
wurde. So entstanden nun zwei kleine Wojewodschaften
Grünberg und Landsberg (mit zwei
Stettiner Kreisen). Man erkennt deutlich den Versuch, die ehemaligen
Grenzen aus preußischer bzw. deutscher
Zeit zu verwischen.
1999 schließlich entstand aus den verschiedenen
kleinen Wojewodschaften die des Lebuser Landes,
indem man die Wojewodschaften Landsberg und
Grünberg zusammenlegte. Landsberg verlor im
Norden einige Gemeinden an Westpommern,
Grünberg die historisch Posener Gemeinden
Siedlec (Siedlec, einst Kr. Bomst), Wollstein
(Wolsztyn, einst Kr. Bomst) und Bentschen
(Zbaszyn, einst Kr. Meseritz) an Großpolen.
Aus der Wojewodschaft Lissa (Województwo
Leszczynski) kamen die Gemeinde Fraustadt
(Wschowa) und Schlichtingsheim (Szlichtyngowa)
zu Lubuskie.
Es sollte damals ein Kreis Wschowa bestehend aus den Gemeinden Slawa (Schlawa), Wschowa, Szlichtyngowa und Wijewo (Woj. Großpolen) entstehen, doch Wijewo (Weine, Kr. Lissa, bis 1920 Kr. Fraustadt) entschied sich am Ende für die wohlhabendere Region Lissa (Leszno). Ursprünglich waren diese Gebiete als Teil des Kreises Nowa Sól (Neusalz, Kr. Grünberg) vorgesehen, doch dagegen legte Wschowa erfolgreich Einspruch ein.
Die Erfindung eines neuen Lebuser Landes
Die Veränderungen der Verwaltungsgrenzen ging
einher mit einer ideologischen Rechtfertigung des
Besitzrechtes der „wiedergewonnenen“ Gebiete.
Diese Politik ist zum Thema einer 2015 an der Universität
Siegen abgeschlossenen Dissertation von
Kerstin Hinrichsen geworden. Sie studierte Kulturwissenschaften
und die Geschichte Ostmitteleuropas
an der Viadrina in Frankfurt/O., in Breslau
und in Berkeley (Kalifornien/ USA).
Nach 1945 stand Polen vor einem ideologischen
Problem. Es mußte seine gewaltsame Verschiebung
nach Westen und die damit einhergehenden
Vertreibungen der polnischen Bevölkerung aus den
ukrainischen, litauischen und weißrussischen Sowjetrepubliken
ausgerechnet durch den als „Befreier“
gefeierten roten Diktator Stalin erklären. Dies
betraf geschätzte 1,7 bis 1,8 Mio. Menschen.
Ebenso wie in der DDR durfte man auch hier nicht
von „Vertriebenen“ sprechen.
Zwar erhielt Polen durch Stalin Gebiete, über die
die Piasten im Mittelalter zeitweise geherrscht hatten,
aber ihre mittelalterlichen Bewohner als Polen
zu bezeichnen, ist mehr als abenteuerlich,
allenfalls waren viele von ihnen slawischer Herkunft.
Ein polnisches Staatsvolk gab es damals
genauso wenig wie ein deutsches. Erst im Zeitalter
des Nationalismus entwickelte sich der Begriff
„Nation“.
Kommissionen wurden nach 1945 beauftragt
zu belegen, dass diese „wiedergewonnenen Gebiete“
polnisch waren, und man sah sich gezwungen,
für die neuen Orte polnischsprachige Namen
zu finden, zu erfinden für Städte, die z. T. erst
viel später entstanden waren, für Flüsse, Berge
und Landschaften. Bei der Suche nach wiederbelebbaren Namen
stieß man auf das inzwischen längst vergessene
„Lebuser Land“, sozusagen eine „historische
Leiche“, die nun reanimiert wurde.
Es waren die Posener Geowissenschaftler
Prof. Dr. Bogumil Krygowski (1905-1977) und Prof.
Dr. Stanislawa Zajchowska (1908-1995), die in einer
Schrift 1946 den Namen „Ziemia Lubuska“ einführten.
Seither hat der Begriff eine erstaunliche,
exorbitant große Expansion erlebt. Dabei bestand
das neue Gebiet nur am westlichen Rande aus
Teilen des Lebuser Landes.
Till Scholtz-Knobloch beklagt in einem Artikel,
daß in der wissenschaftlichen Arbeit die antideutsche
Wurzel dieses Begriffes stets bewußt
übersehen wird zugunsten einer historischen Betrachtung.
Ebenso wird in für den Tourismus bestimmten
Beiträgen u. a. Medien darauf natürlich
nicht hingewiesen.
So heißt es im Bildband „Przed Pólwieczem
Ziemia Lubuska w Obiektywie“ des Posener West-
Instituts (1997), daß „Ziemia Lubuska leicht zu merken
und identitätsbildend ist.“ Dies sei auch möglich,
da der Name einen historischen Hintergrund
habe „und nicht zuletzt ‚unsere‘ Bezeichnung ist.“
Die Leubuzzi
Der Name der späteren Stadt Leubus soll auf den westslawischen Stamm der Lubuszani oder Leubuzzi zurückgehen, die zu den Wilzen gehören sollen. Die Wilzen werden erstmals 789 in den fränkischen Reichsannalen erwähnt. Die Existenz der Leubuzzi und auch ihre Ausbreitung sind in der Wissenschaft sehr umstritten. Die Befürworter gehen im maximalen Fall davon aus, daß bereits Mieszko I. sie um 960/965 unterworfen hat, aber spätestens unter Boleslaw I. Chrobry um 1000. Einige Historiker bezweifeln die Theorie, nach der die Leubuzzi auch östlich der Oder ansässig waren, während die größten Skeptiker ihre Existenz generell für eine historiographische Erfindung halten.
Der Chronist Adam von Bremen (vor 1050-
1081/85) soll sie erwähnt haben. Allerdings weiß
man kaum etwas über ihn, und sein Hauptwerk ist
nur aus Zitaten anderer Chronisten bekannt. Auch
andere Werke werden herangezogen, doch auch
sie sind nicht eindeutig.
Ebenso wenig beweiskräftig sind archäologische
Funde, so daß der entschiedenste Kritiker,
der Geograph und Historiker Jan Natanson-Leski
(1883-1969), sogar davon ausgeht, die Leubuzzi
hätten gar nicht existiert, sondern seien ein Produkt
der Geschichtsschreibung.
Lebus war unbestritten ein wichtiger Ort an
der Oder, bis ihm die an einer Furt viel günstiger
gelegene deutschen Konkurrenzgründung Frankfurt/
O. den Rang ablief. Vermutlich ist der Name
der Stadt auf den Wilzenfürst Liubus zurückzuführen,
der Anfang des 9. Jahrhunderts die Oberhoheit
über die Stämme der Wilzen besaß, womit
die Existenz eines eigenen Unterstammes impliziert
wird.
Das Bistum Lebus
Um das Jahr 1125 gründete Boleslaw III. Schiefmund
hier ein Bistum. Damit wollte er seinen Herrschaftsanspruch
auf die Gebiete an der Oder gegen
den Kaiser bekräftigen.
Durch sein Testament wurde im Piastenreich
das Seniorat eingeführt, und Lebus unterstand
seither den schlesischen Piasten. Herzog Heinrich
I. verlieh Lebus um 1226 das deutsche Stadtrecht.
Schon wenige Jahre später, ab ca. 1249/50 geriet
es unter den Einfluss der Markgrafen von Brandenburg
aus dem Haus der Askanier, die auch die
Konkurrenzstadt Frankfurt gründeten.
Lebus verlor weiter an Bedeutung, als der Bischof Wilhelm I. von Neiße (gestorben 1282) 1276 seinen Sitz nach Göritz a. d. Oder (Górzyca) auf die rechte Oderseite (südlich von Küstrin) verlegte. 1376 wechselte der Bischofssitz nach Fürstenwalde a. d. Spree. 1432 wurde die Stadt Lebus schließlich von einem Hussitenheer geplündert und völlig zerstört.
Bereits 1248 hatte der polnische Senior
Boleslaw II. Rogatka (1220/25-1278) das Bistum
an den Magdeburger Erzbischof Wilbrand von
Kevernburg (1180-1253) verkauft, so daß innerhalb
kurzer Zeit die Verbindung nach Polen (Posen/
Großpolen) gekappt war. Im 16. Jahrhundert ging das Bistum im Zeitalter der Reformation endgültig unter und 1555 erfolgte seine Auflösung. Im 17. Jahrhundert entstand aus dem Gebiet der Kreis Lebus. Ob die Kreise Sternberg Ost (Verwaltung in Zielenzig/ Sulecin und danach in Drossen/ Osno Lubuskie) und Sternberg West auch Teil des ursprünglichen Lebuser Landes waren, ist umstritten.
Zur Vertiefung der Thematik wird folgende Literatur empfohlen:
Hinrichsen, Kerstin:
Die Erfindung der Ziema Lubuska.
Konstruktion und Aneignung einer polnischen Region 1945-1975,
in Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas, Band 5., Göttingen 2017,
ISBN 978-3-8471-0654-8
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