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Bauchwitz und die Gersdorffs Text und Fotos: Dr. Wolf v. Gersdorff, Archiv Heimatgruss Die von einem Stadtverordneten aus Meseritz/ Miedzyrzecz an den HKr herangetragene Bitte um Informationen über den Schlosspark in Bauchwitz/ Bukowiec vor 1945 (HGr 231, S. 54) hatte eine intensive Kommunikation mit der Familie v. Gersdorff zur Folge, in deren Verlauf uns u. a. der Bericht eines Familienmitgliedes zur Verfügung gestellt wurde, den wir mit freundlicher Genehmigung hier veröffentlichen. A. F.v.M. In der ehemaligen Provinz Posen im Kreise Meseritz befindet sich das Dorf Bauchwitz, das im Jahre 1919 auf Grund des Versailler Vertrages deutsch blieb, aber nur etwa 8 km von der neuen polnischen Grenze entfernt war. Der Name des Ortes hatte nichts mit dem menschlichen Unterleib zu tun, sondern war die Verdeutschung von Bukowiec, das Buchendorf bedeutet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist auch Bauchwitz, obwohl es dort keine Polen gab, nach der Vertreibung seiner deutschen Bewohner mit polnischen Umsiedlern aus den an Russland abgetretenen Gebieten besiedelt worden. Es trägt jetzt (wieder) den Namen Bucowiec und gehört zur Woiwodschaft Poznan [seit 1999 zur Woiwodschaft Lubuskie]. Zur deutschen Zeit hatte das Dorf Bauchwitz etwa 1.000 Einwohner, eine schöne alte Holzkirche aus dem Jahre 1550 mit einem evangelischen Pfarrhaus, zwei Schulen, eine Fleischerei, Gasthöfe, eine Schmiede, ein von dem Schmiedemeister gegossenes Standbild Kaiser Wilhelm I., eine Bahnstation an der Strecke Bentschen- Meseritz und einen Gutsbetrieb mit einem Torhaus, einem Herrenhaus, Brennerei und Stallungen, die der Familie v. Gersdorff gehörten. Die Einwohner waren überwiegend Bauern und Gutsarbeiter. Ferner gab es Pfarrer, Lehrer, Kaufleute, Förster, Gastwirte und Angestellte. Nachdem im 19. Jahrhundert, dank der Stein-Hardenberg’schen Reform, große Teile der Gutsflur den Bauern zu Eigentum überlassen war, hatte das Dorf ein ausgeglichenes soziales Gefüge erhalten. Das Gut umfaßte zuletzt noch eine Fläche von etwa 2 500 ha, von denen 500 ha landwirtschaftlich genutzt wurden. Der Rest waren Wälder und Seen. Die Gegend um Bauchwitz hatte den Reiz der Weite des Ostens. Wenn man auf der Straße nach Meseritz zum sogenannten Schinderberg hinaufkam, reichte der Blick weit über die Felder und Wälder, zwischen denen sich die Flüsse Obra und Jordan hindurchwanden und in ihrem Lauf viele Seen bildeten, so auch den Bauchwitzer See. Wie eigentlich alle Dörfer des Kreises Meseritz war Bauchwitz seit Jahrhunderten deutsch besiedelt, obwohl es bis zur 3. Teilung Polens im Jahre 1795 zum Königreich Polen gehörte. Hiervon zeugten die Ahnenbilder im Saale des sogenannten Schlosses, auf denen die damaligen Eigentümer von Bauchwitz v. Unruh (Unruc) in polnischen Ständeuniformen dargestellt waren. Das Gut gehörte laut der mir aus meiner Kindheit erinnerlichen Überlieferung alle dort vorhandenen Urkunden sind vernichtet bis zum 16. Jahrhundert einer den Jagellonen zugehörigen Familie und ging im Erbgange an die Angehörigen der Familie v. Schlichting, von denen es auf die Unruhs überging. Letztere nannten sich auf Polnisch Unruc. Die letzte Erbin mit dem Namen Unruh heiratete am 23.09.1787 Leopold Sigismund von Gersdorff auf Rummelsburg, der später als Rittmeister und Adjutant des Fürsten Blücher in den Freiheitskriegen kämpfte. Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor, der den Namen Gustav Leopold erhielt. Als dieser 11 Monate alt war, starb seine Mutter und er wurde der erste seines Geschlechtes als Eigentümer von Bauchwitz. Sein Vater kehrte auf seinen Pommerschen Besitz zurück, wo er zum zweiten Mal heiratete. Seine Gastrolle in Bauchwitz war also nur kurz. Gustav Leopold war sehr musisch veranlagt und hinterließ einen Lebenslauf in Versen, aus dem mir einiges in Erinnerung geblieben ist. Offenbar war er ein sehr konservativer Erbherr. Die Stein-Hardenberg’sche Reform empfand er als bitteres Unrecht, weil die begünstigten Bauern mit „gestohlenem Gute“ bezahlt würden. Mit einzelnen Bauern lag er in offener Fehde, weil sie die Hütungsrechte, welche von der Reform durch Landzuweisung abgelöst waren, rechtswidrig weiter ausübten. Ein Bauer namens Drescher trieb sein Vieh auf die Herrschaftswiese. Gustav ließ es von dort entfernen. Am folgenden Tag erschien Drescher wieder und postierte sich auf einem Stock sitzend zur Bewachung neben seinen Tieren. Gustav, der ein guter Schütze war, sah den Bauern aus einiger Entfernung von der Seite. Mit einem gut gezielten Schuss zerschlug er den Stock und Drescher lag fluchend im Grase. Man hätte denken sollen, daß diese Lehre genügen würde. Aber nein, bald fand er Drescher wieder neben seinem Vieh, wie er - diesmal ohne Stock - auf dem Boden saß. Nun verzeichnete Gustav in seinem Tagebuche: „Doch eines Tages, da hat’s ihn verdrossen, da hat er Dreschers Ochsen erschossen!“ Um das Jahr 1862 erschien im Bauchwitzer Gebiet ein Wolf, der große Schäden unter den Schafen anrichtete. Es wurde eine Treibjagd im Walde veranstaltet, bei welcher der Förster, den Gustavs Vater aus den Freiheitskriegen nach Bauchwitz mitgebracht hatte, den Wolf erlegte. Gustav setzte eine Steinpyramide an den Platz im Walde, an dem der Wolf verendete. Auf einer Tafel stand ein Gedicht, dessen erste Zeilen lauteten: Hier endete der Kommunist, der andrer Leute Lämmer frisst. Für immer stillt ihm seinen Hunger Lützower Jäger Johann Ungar. Gustav zeigte auch technische Ambitionen. Er konstruierte ein Gefährt, das zugleich ein Pferdewagen mit vier Rädern und ein Schlitten war. Hierin saß er entweder zwischen den Rädern oder den Kufen. Kam er von der glatten Straße auf Sandwege im Wald, wo der Schnee auf den Zweigen blieb, stieg er aus und der Kutscher drehte das Fahrzeug um. Aus der Ehe von Gustav mit Ernestine v. Panwitz ging eine Tochter Antoinette hervor, die einen Herrn v. Reiche aus Rosbitek heiratete, sowie die Söhne Hermann und Richard. Als Gustav verwitwete, zog er sich in ein idyllisch am See gelegenes Forsthaus zurück und übergab die Bewirtschaftung von Bauchwitz seinem Sohn Hermann. Dieser und sein Bruder Richard heirateten zwei Schwestern, die Töchter ihrer obenerwähnten Tante Antoinette von Reiche. Diese hatte einen Sohn, aber fünf Töchter. Vier dieser Töchter, darunter die spätere Frau von Hermann, waren so schön, daß ein Bild von ihnen auf der Pariser Weltausstellung zur Zeit Napoleons III. gezeigt und als schönstes Schwesternpaar preisgekrönt wurde. Hermann gelangte gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts dank vorteilhafter Holznutzung zu erheblichem Wohlstand. Er wurde Mitglied des Preußischen Herrenhauses und in den Freiherrenstand erhoben. Seinem Bruder Richard half er bei dem Erwerb der Herrschaft Kirchen-Popowo im Kreise Wongrowitz. Während Hermann nüchternen Sinnes und ein guter Wirtschafter war, gab sich Richard phantasiereichen Plänen hin und tat sich in der sogenannten Caprivizeit [1890 1894] schwer mit der Bewirtschaftung von Popowo. Er spielte mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen und in den Kongo zu gehen, dessen große Reichtümer damals erschlossen wurden. So erhielt er bei seinen Freunden den Spitznamen der „Kongo“. Hermann starb am 3.12.1892, nachdem er seiner Frau Marie geb. v. Reiche einen Witwensitz im Park gebaut hatte, den er scherzhaft den „Blocksberg“ taufte. Marie überlebte ihren Mann um 13 Jahre, in denen ihr ältester Sohn Hans Otto schon Bauchwitz bewirtschaftete. Er hatte nach dem Tode seines Vaters das Gutshaus, das sogenannte Schloß, ausgebaut, bevor er Henriette v. Kalckreuth geheiratet hatte. Er wurde als konservativer Vertreter des Wahlkreises Meseritz-Bomst in den Reichstag gewählt und trat unter anderem als entschiedener Gegner des Enteignungsgesetzes hervor, durch das polnischer Großgrundbesitz auf deutschstämmige Bauern übertragen werden sollte. Hierin sah er eine gefährliche Durchlöcherung des Eigentumsprinzips und eine sinnlose Verschärfung nationalistischer Gegensätze. Hans starb im Jahre 1908 im Alter von 44 Jahren unter Zurücklassung von vier unmündigen Kindern. Seine Frau übernahm die Leitung des Gutsbetriebes unter Mitwirkung eines Vormundes. Sie bestätigt die bekannte Erscheinung, daß Frauen in typisch männlichen Berufen außergewöhnliches leisten können. Sie modernisierte Haus und Hof durch Elektrifizierung in Licht und Kraft. Als eine der Ersten in der Welt ließ sie durch die Firma Siemens Starkstromleitungen über alle Felder verlegen, um im Kabelsystem mit zwei elektrischen Zugmaschinen die Felder zu pflügen und ebenfalls mit elektrischem Strom überall das Getreide ausdreschen zu können. Es kamen Experten aus den Vereinigten Staaten und aus Russland, um sich diese Einrichtung anzusehen. Die Anlage war zwar teuer, hat sich aber später im Ersten Weltkrieg gut bewährt und amortisiert. Im Jahre 1945 wurden alle Maschinen nach Russland abtransportiert. Henriette v. Gersdorff starb plötzlich und unerwartet im Dezember 1911 mit 42 Jahren und hinterließ 4 Kinder, die von ihrem Vormund Leopold v. Gersdorff aus Popowo erzogen wurden. Ihr ältester Sohn Hermann trat das Erbe an, wurde aber schon im August 1914 als Offiziersanwärter bei den 12. Dragonern in Gnesen eingezogen. Er geriet in russische Gefangenschaft, aus der er 1918 zurückkehrte. Er bewirtschaftete Bauchwitz mit großer Hingabe und gutem Erfolg. Den bisher in Monokultur gehaltenen Kiefernwald, dessen Fläche 4/5 des 10 000 Morgen großen Gutes ausmachte, verwandelte er allmählich in einen Mischwald mit Laubbäumen zum besseren Schutz gegen Waldbrände und Schädlingsfraß. Er hat sich mit Claire-Ange (Nina) v. Götz verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Töchter und drei Söhne hervor. Hermann v. Gersdorff ist seit den Kämpfen mit den Russen vor Berlin im April 1945 vermisst. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Seine Frau schickte ihre Kinder vor dem Einmarsch der Russen in Bauchwitz zu ihrem Schwager Wolf nach Wiesenthal (Neustrelitz/ Mecklenburg). Sie selbst blieb aus Pflichtgefühl in Bauchwitz, sah das Gutshaus in Flammen aufgehen und starb dort wenige Tage später. Ihr Grab wurde nie gefunden. Alle Bewohner von Bauchwitz, unter Führung des Pfarrers, traten den Marsch nach Westen an. Nur die Tochter des Stellmachers Gladisch konnte als Katholikin bleiben. Sie ist jetzt die einzige Deutsche im Dorf. Heute ist das Gutshaus verschwunden, die alte Kirche ist abgebrannt, das Erbbegräbnis, das heißt die Familiengruft im Park, von polnischem Militär gesprengt, die Särge der Vorfahren verschleppt - unbekannt wohin. Unter den Gersdorffs ist die Meinung verbreitet, das Geschlecht stamme von dem Markgrafen Gero ab, der unter Kaiser Otto I. um das Jahr 960 die Wenden unterwarf. Ein Neffe des Markgrafen wird urkundlich als Eigentümer der Burg Gersdorf bei Quedlinburg erwähnt. Bewiesen und anerkannt ist nur die Abstammung der heute noch lebenden Gersdorffs von einem damals Gerhardisdorf genannten Vorfahr, der das Gut und Dorf Gersdorf unweit von Görlitz gründete, das im vergangenen Jahre sein 750-jähriges Bestehen feierte. Im Jahre 1572 versammelten sich 200 Mannspersonen von Gersdorff mit 500 Pferden in Zittau und gründeten einen Geschlechtsverband. Heute sind die Träger des Namens Gersdorff in der ganzen Welt verstreut. Dieser Bericht ist eine Zusammenschrift zweier Aufsätze, die der Autor zu unterschiedlichen Zeitpunkten verfasst hat: 1. Bauchwitz Ein Bericht über die Geschichte des Besitzes vom 5.07.1992 2. Die Gersdorffs auf Bauchwitz |