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Meseritzer „Deutschenseelsorger“
im Posener Land
Dr. Martin Sprungala
Der Begriff Deutschenseelsorge wurde von Pater Hilarius Breitinger (1907-1994) in seinen Lebenserinnerungen „Als Deutschenseelsorger in Posen und im Warthegau 1934-1945“ geprägt. Der junge Franziskanermönch wurde 1934 von seinem Provinzial von Würzburg nach Posen geschickt, um den dortigen Deutschenseelsorger zu ersetzen, dessen weitere Anwesenheit politisch auf Seiten Polens nicht mehr erwünscht war. Er wurde ganz unvermittelt ins ferne und fremde Polen geschickt, ohne irgendeinen Bezug seinerseits.
Die Stadt Posen (Poznañ) war als deutschrechtliche
Stadt auf Basis des Magdeburger Stadtrechts
am 23.4.1253 gegründet worden. Im Punkt
15 des Privilegs erhielten die deutschen Kolonisten
das Recht auf einen deutschsprachigen Gottesdienst.
Die Siedler gründeten die Maria-Magdalena-Kirche, die jedoch im 16. Jahrhundert
zu einer polnischen Kirche wurde.
Die deutschsprachigen Gottesdienste wurden
1573 in die Posener Bischof Stanislaus-Kirche
verlegt, später in die Allerheiligen- und die St.
Martin-Kirche. 1632 verfügte der Posener Bischof
Adam II. Nowodworski h. Nalecz (1572-1634),
dass nur noch die 1480 von Deutschen erbaute
Kirche St. Anna als einzige deutsche Kirche in
Posen fungieren solle.
Nach der Einnahme Posens durch die napoleonischen
Truppen (1806) hat die Besatzungsbehörde
diese Kirche beschlagnahmt und in ein
Lazarett umgewandelt, das im Jahr 1838 abbrannte.
Als Notlösung wurde der deutsche Gottesdienst
schon seit 1807 in der Bernhardinerkirche abgehalten.
Am 29.12.1833 verfügte der Posener Erzbischof
Marcin Sulgustowski-Dunin h. Labedz
(1774-1842), daß die dem hl. Antonius von Padua
geweihte Kirche den deutschen Katholiken
als Hilfskirche zum Ersatz für St. Anna übergeben
würde. Diese Kirche war 1668 von den Franziskanern
erbaut und 1830 säkularisiert worden.
Das Eigentum der Posener Franziskaner hatte der
preußische Staat beschlagnahmt. Offensichtlich
mißfiel ihm dieser Übertragungsakt, denn erst vier
Jahre später erlaubte die preußische Regierung
in Posen die Wiedereröffnung der Franziskanerkirche
für die deutschen Katholiken (7.8.1837).
An der Kirche waren seither zwei Präbendare
und ein Vikar tätig. Häufig kamen die Priester aus
dem Kreis Deutsch Krone (Walcz), der administrativ
zwar seit den Teilungen zur Provinz Westpreußen
gehörte, aber kirchlich immer noch zum
Erzbistum Posen-Gnesen.
Die deutschsprachige Priesterschaft stammte
zumeist aus den Posener Randgebieten, in denen
deutsche Katholiken lebten. Auch aus dem
Kreis Meseritz stammten deutsche Priester. Die
renommiertesten waren natürlich die Domherren.
Gleich drei Domherren an der Posener Kathedrale
stammten aus dem Kreis Meseritz.
Georg Beyer (1874-1930) war der Sohn des
Sattlermeisters Albert Beyer. Er hatte das
Meseritzer Gymnasium besucht und dann in Posen
und Gnesen Theologie studiert. Wie viele
Deutschstämmige absolvierte er seine Laufbahn
in deutschen Siedlungsgebieten, er in Posen,
Bauchwitz (Bukówiec) und Fraustadt (Wschowa).
Dies deutet oft darauf hin, daß sie nicht
besonders gut polnisch sprachen. Er war Gymnasialprofessor
am Auguste-Viktoria-Gymnasium
in Posen und wurde 1915 Domherr und Regens
am Priesterseminar in Gnesen. Nach der Wiedererstehung
Polens verlor er seine Position und
mußte auch auf seine Domherrenwürde verzichten.
Er wurde ins polnische Wongrowitz
(W1growiec) versetzt, wo er mit 55 Jahren starb.
Aus Kainscht (Keszyca) stammte Robert
Weimann (1870-1925). Er war der Sohn des Landwirts Robert Weimann. Seine Familie besaß
bereits seit 200 Jahren hier ein Bauerngut. Auch
er hatte das Gymnasium in Meseritz besucht und
dann in Posen studiert. Er war Vikar im deutschen
Zippnow (Sypniewo, Kr. Deutsch Krone), in
Gnesen war er zudem Religionslehrer, Regens
und Militärseelsorger. 1906 wurde er zum Domherrn
ernannt.
Seit 1915 war er Generalvikar der Erzdiözese
Posen-Gnesen, daher übernahm er die Verantwortung
für die nach dem Großpolnischen Aufstand
bei Deutschland gebliebenen Gemeinden
und im Auftrag des Erzbischofs Dalbor übersiedelte
er nach Tütz und wurde hier am 22.11.1920
Erzbischöflicher Delegat. Seit 1923 wurde er als
Apostolischer Administrator selbständig und damit
erster Vorsitzender der später Freie Prälatur
Schneidemühl genannten kirchlichen Verwaltungseinheit.
Die theologische Fakultät der Universität
Breslau ernannte ihn zum Ehrendoktor.
Weimann starb am 10.8.1925 im chirurgischen
Spital in München.
Ebenfalls sehr bekannt wurde der aus Betsche (Pszczew) stammende Dr. Joseph Paech (1880-
1942). Er war der Sohn des Hauptlehrers Franz
Paech (*1851) und der Helena Kaczmarek
(*1855). Auch er ging in Meseritz zum Gymnasium
und studierte dann nicht nur in Posen, sondern
auch in Münster, wo er 1908 promovierte.
Auch er war als Religionslehrer in Posen tätig.
1911 wurde er Domherr und Domkapitular. Während
des Großpolnischen Aufstands wurde er im
Kloster Glogowko (Glogówko) im Kreis Gostyn interniert.
Auch er wurde nach der Wiedererstehung Polens
weitgehend kaltgestellt, doch er fungierte als
wichtiger Vertreter der deutschen Katholiken in
Polen. Aus diesem Grunde wurde er auch am
18.10.1941 vom Papst zum Apostolischen Administrator
für die Deutschen im Reichsgau Wartheland
ernannt, auch wenn er vergeblich auf seinen
schlechten Gesundheitszustand hinwies. Er starb
am 8.12.1942 in Posen. Noch vorher war es ihm
gelungen, Pater Hilarius Breitinger zu seinem
Nachfolger bestellen zu lassen.
Neben den Domherren gab es eine ganze
Reihe von einfachen Priestern aus dem Kreis
Meseritz.
Leo Binder (1876-1952) stammte aus Kalau (Kalawa, Kr. Meseritz, Posen). Auch er war im deutsch besiedelten Grenzgebiet tätig: in Schrotz (Skrzetusz, Kr. Deutsch Krone), Rokitten (Rokitno, Kr. Schwerin), Bargen (Zbarzewo, Kr. Fraustadt), Goray (Goraj, Kr. Schwerin), und seit 1917 war er Pfarrer in Meseritz und seit 1923 in Groß Dammer (Dabrówka Wielkopolska). Bei Kriegsbeginn wurde er, wie die meisten Posener Priester im Warthegau, verhaftet seit dem 12.9.1939 in Sachsenhausen, interniert seit dem 13.12.1940 im KZ Dachau. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen, die überlebten. Er kehrte am 17.10.1945 zurück nach Groß Dammer.
Aus Meseritz stammte auch Paul Erdner
(1845-1890), der damals noch die Realschule I.
Ordnung in Meseritz und dann das Marien-Gymnasium
in Posen besuchte, ehe er studierte. Als
Priester war er in Lissa (Leszno), Bromberg
(Bydgoszcz), hier vor allem als Religionslehrer an
der Realschule, und in Usch (Ujscie, Kr. Kolmar)
tätig.
Auch ein Meseritzer war Leo Kittel (1839-
1914). Über seine Ausbildung ließ sich nichts finden.
Er war in eher polnischen Orten tätig:
Wongrowitz, Hochkirch (Stodoly, Kr. Strelno) und
Polanowitz (Polanowice, Kr. Strelno).
Aus Georgsdorf (Wojciechowo) stammte Leo
Klemt (1887-1945). Auch er war in deutschen
Siedlungsgebieten tätig: Wissek (Wysoka, Kr. Wirsitz),
Jastrow und Tütz (Jastrowie + Tuczno, beide
Kr. Deutsch Krone), dann nach dem Ersten Weltkrieg
in Hinzendorf (Zamyslow, Kr. Fraustadt),
dann als Prodekan und Dekan in Rokitten
(Rokitno), Blesen (Bledzew) und Prittisch
(Przytoczna, alle Kr. Schwerin).
Über einen weiteren Pfarrer konnte ich einige
Daten mehr in Erfahrung bringen, da er in meinem Kernforschungsgebiet aktiv war:
Probst Robert Hildebrandt (1843-1898). Er wurde am 14.2.1843 in Weißensee (Chycina) als Sohn des Brennereibesitzers Reimund Hildebrand (*1815) und der Susanne Mai (*1805, auch May) geboren. Seine Mutter war bereits einmal verheiratet. Sie war die Tochter des Paul May und der Apollonia Gladisz aus Blesen (Bledzew). 1829 heiratete sie in Betsche den 32- jährigen Joseph Steinke. Nach dessen Tod ging sie 1841 eine zweite Ehe mit dem fast zehn Jahre jüngeren Reimund Hildebrand ein. Vermutlich hatte das Paar neben Robert weitere Kinder. Robert Hildebrand besuchte das Gymnasium in Meseritz und studierte dann am Priesterseminar in Posen und Gnesen, wo er 1869 geweiht wurde.
Seine ersten Vikarstellen hatte er in Lissa und Reisen (Rydzyna, Kr. Lissa). Wann genau er nach Posen kam, ließ sich nicht ermitteln, vermutlich aber vor 1875, denn danach war während des Kulturkampfes in Preußen / Deutschland eine Amtseinführung möglich. Vielleicht auch deshalb nahm Hildebrand neben dem Amt des zweiten Präbendars an der Franziskaner-Kirche als Deutschenseelsorger in der Provinzhauptstadt tätig auch das des dortigen Divisionspfarrers.
In der wichtigen Grenzstadt Fraustadt im Südwesten
der Provinz hatte der verdiente August
Lüdke (1839-1908) die Pfarrei Fraustadt während
der harten Zeit des Kulturkampfes betreut. Der
aus Tütz stammende Ackerbürgersohn war 18
Jahre lang Vikar und Religionslehrer in Fraustadt
gewesen.
Währenddessen war der Probst und Domherr
Robert Berger (1791-1879) verstorben, und die
Position wurde auch nicht neu besetzt. Natürlich
hoffte er, ebenso wie viele Fraustädter darauf, daß
er nach Beendigung des Kulturkampfes zum
Probst ernannt würde. Aber Lüdke war offenbar
zu aufrecht gewesen.
Mehrfach war er von der Polizei vernommen
worden, stand mehrfach vor Gericht und wurde
zu verschiedenen Strafen verurteilt. Daher war der
den Behörden nicht erwünscht, und sie schlugen
Hildebrandt statt seiner vor. Lüdke erhielt stattdessen
die schlecht dotierte Gemeinde Zedlitz
(Siedlnica, Kr. Fraustadt).
Später lenkte die Regierung in Posen ein und
verlieh ihm den Roten Adlerorden IV. Klasse und
Kronenorden III. Klasse und ernannte ihn zum
Nachfolger des verstorbenen Hildebrandt.
Aus der Amtszeit von Probst Hildebrandt in
Fraustadt ist nichts überliefert, außer daß er auch
die Gemeinde Geyersdorf (Dêbowa Lêka, Kr. Fraustadt)
mit verwaltete. Er starb am 2.6.1898 in Fraustadt.
Neben den genannten deutschen Priestern gab
es auch polnischstämmige: Antoni Gladysz
(1825-1865) aus Heidemühle (Borowy Mlyn, Kr.
Meseritz), Witold Marchwiñski (1847-1918) aus
Meseritz, Antoni Niedbal (1847-1902) und
Ludwik Niedbal (1872-1937) beide aus
Bentschen (Zbaszyñ). Ebenfalls aus Bentschen
stammte der im KZ Dachau ermordete Feliks
Bodzianowski (1886-1942).
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