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Erinnerungen und Gedanken an Betsche
Text von Bruno Drupski, Bilder von B. Materne/Archiv Hgr
Erwartungsvoll nehme ich immer den HEIMATGRUSS zur Hand und vertiefe mich gern in die vielen interessanten Artikel. Es ist so wichtig, daß diese Erlebnisse weitergegeben werden! Vor kurzer Zeit las ich das Buch „Wir letzten Kinder Ostpreußens“ von Freya Klier. Diese Kinder erzählen von ihren Tagen in Ostpreußen, vom Einmarsch der Roten Armee, dem Sturm auf Königsberg, von Gefangenschaft, Flucht und dem täglichen Kampf ums Überleben. Ein sehr ergreifendes Buch! Beim Lesen wanderten meine Gedanken automatisch in meine Kinder- und Jugendzeit. So setzte ich mich hin und schrieb diese Zeilen auf.
Ich wurde 1930 als das 6. Kind geboren. Unsere Familie galt als kinderreich, denn wir waren insgesamt 11 Kinder. Meine Mutter war eine gute Frau, obwohl sie es schwer hatte: Kinder, Haushalt, Vieh, das waren ihre Aufgaben. Mein Vater arbeitete beim Straßenbau und war nur ab Freitagabend bis Sonntag zu Hause. Er war sehr, sehr streng. Positive Erinnerungen an ihn habe ich keine. Seine Erziehungsmethoden äußerten sich stets mit Strafen (Schläge).
Wir wohnten viele Jahre beim Bauer Koschitzki in den Samellen (hinter den Feuchtwiesen). In den Jahren 1937-38 wurden 4 Siedlungshäuser in der Meseritzer Straße gebaut. Dort war dann unser Zuhause. Für unsere große Familie war genügend Platz. Ein Morgen Feld, ein großer Garten mit Obst und Gemüse, einen Stall für Hühner. Ziegen, Kaninchen und ein Schwein zählten zu unserem Eigentum. Viele Arbeiten mussten wir Kinder verrichten. Mit den Nachbarskindern von Familie Fröhlich, Barutzki und Schwiederski gingen wir spielen und zur Schule.
Ich erinnere mich an die ersten Klassen, an die Lehrerin Frau Tulpe. Diese nannten wir nur „Nelke“. Ein Lehrer hieß Demmich. Der war ganz schlimm, denn er setzte zu jeder Gelegenheit seinen Rohrstock ein. In den letzten Klassen unterrichtete uns der Lehrer Schober. Er war ruhig und angenehm. Neben der Schule und den häuslichen Pflichten blieb dennoch genügend Zeit für Sport, Spiel und Toben. Es war eine schöne Kindheit!
Nun kam das Jahr 1945! Eines Tages im Februar kam ein deutscher Offizier zu meiner Mutter. „Sofort das Nötigste zusammenpacken, ein Auto bringt Sie zum Bahnhof, der Zug steht bereit“- so seine Worte. Eine Frau und 10 Kinder (ein Sohn war schon Soldat), das Gepäck dazu!!! Grausam, diese Situation! Doch was blieb unserer Familie übrig? Ab Betsche rollte der Zug bis Pritzwalk. In einer Turnhalle wurden wir mit den vielen anderen Flüchtlingen untergebracht.
Unser Ziel war der Westen; wir wollten über die Elbe in Richtung Putlitz. Zu Fuß gingen wir weiter. Doch die Nachricht „Der Amerikaner lässt niemand mehr über die Brücke“ ließ uns wieder umkehren. Zurück nach Pritzwalk! Hungrig und entkräftet fanden wir eine kleine, verlassene Wohnung bei einer Tankstelle. Dort blieben wir mehrere Tage. Die Jungs beschafften Essbares. Bei der russischen Kommandantur mußten sich sämtliche Menschen melden, die bei Bauern arbeiteten. Denen wurde alles weggenommen und hinter der Kommandantur aufbewahrt. Da standen auch Tiere und Kutschen. Beim „Lebensmittelbeutezug“ entdeckten meine Brüder Schnaps. Der wurde dann bei den Russen für 1 Pferd und 1 Panjewagen eingetauscht.
Mit dieser Transportmöglichkeit ging der Weg weiter bis Altranft am Westrand des Oderbruchs. Um uns etwas zu erholen, blieben wir dort mehrere Tage. Das Ziel war, über Frankfurt nach Betsche zu kommen. Aber auch hier erreichte uns die Nachricht, daß keiner über die Brücke der Oder kommt. So blieben wir in Altranft.
Von der Gemeinde bekamen wir bei einem Bauern ein Zimmer für mehrere Tage zugewiesen. Die körperliche Erschöpfung war allen anzusehen. Wir beschafften uns Kartoffeln von den Feldern und Hühner. Der Hunger war groß! Unser Pferd verliehen wir gegen Nahrung an einen Bauern.
Eines Tages kam der Bürgermeister zur Mutter. Wir sollten Pferd und Wagen an den polnischen Kutscher abgeben, um einen gefallenen hohen russischen Offizier nach Frankfurt zu transportieren. Den Wagen samt Pferd sahen wir nie wieder!
Die vielen Strapazen, die Hungersnot und der Typhus beendete das Leben meiner 3 Geschwister und meiner Mutter in Altranft. Ich verbrachte durch diese schlimmen Kriegsereignisse eine lange Zeit im Krankenhaus Bad Freienwalde. Meine restlichen Geschwister zogen nach Bad Freienwalde, begannen sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und gründeten ihre eigenen Familien.
Heute, im Jahre 2020, leben nur noch meine Schwester und ich. Sie ist 91 und ich werde im August 90 Jahre alt. Meinen Vater habe ich ab 1945 nie mehr gesehen. Trotz Bemühungen durch den Suchdienst wurde er nie gefunden. Ich habe mir mein Leben so gestaltet, daß ich durch meinen Sport fit und gesund geblieben bin und immer optimistisch in die Zukunft schauen kann.
Ich wohne mit meiner Frau in Werdau/Sachsen,
verbringe schöne Tage mit interessanten
Urlaubsreisen und während der Sommermonate
in unserem blühenden Garten.
Da ich in Betsche geboren bin und 15 Jahre
dort gelebt habe, ist es mir ein Bedürfnis, meine
Gedanken mit den Lesern zu teilen.
Gisela und Bruno Dupski im Sommer 2020
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