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Die Geschichte der Kleinbahn TirschtiegelDürrlettel
Text : Carl-Heinz Becker in „Eisenbahnen in Ostbrandenburg
und Posen“ - Fotos: Archiv Heimatgruß
Es war ein recht schwieriger, mit vielen Hindernissen beladener Weg, der bis zur Eröffnung der normalspurigen Kleinbahn Tirschtiegel Dürrlettel am 13. September 1929 führte. Diese Stichbahn mit einer Streckenlänge von ganzen 8,7 km Länge wäre im Grunde gar nicht erforderlich gewesen, wenn es diesen Versailler Vertrag von 1919 nicht gegeben hätte…
Als aus strategischen Gründen der neue polnische Staat bei der Grenzfestsetzung im Jahre 1920 die Bahnlinie Bentschen Birnbaum und mit ihr die Korbmacherstadt Tirschtiegel beanspruchte, führte eine sofortige protestartige Demonstration zum teilweisen Erfolg der Bevölkerung: Die Stadt blieb deutsch, lediglich der Bahnhof wurde polnisch.
Doch die Schwierigkeiten, die sich hieraus für Handel und Verkehr ergaben, waren enorm. Rund 10 km weit mußten alle Güter, wie Lebensmittel, Kohlen u.a. auf der Landstraße vom nächstgelegenen Bahnhof Dürrlettel herbei geschafft werden. Die Abfuhr gestaltete sich genauso schwierig, dies galt insbesondere für das verarbeitete Rohrgewebe.
Was tun, wenn eine Kleinstadt vom öffentlichen Verkehrsnetz abgeschnitten ist? Die Bevölkerung behalf sich mittels Pferdedroschken den Bahnhof Dürrlettel an der Strecke zur Kreisstadt Meseritz zu erreichen. Das waren dann bei Schritttempo fast 2 Stunden. Der „Kraftverkehr Marken“ richtete zwar eine Verkehrslinie ein, die aber unregelmäßig oder gar nicht bedient werden konnte, was in der noch recht mangelhaften, unzuverlässigen Technik der damaligen Kraftfahrzeuge zu suchen war. Die Einstellung der Linie ließ dann auch nicht lange auf sich warten.
Die Geschäftsleute und Gewerbetreibenden bemühten sich daraufhin um eine gute, funktionierende Anbindung an die Bahn. Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten waren allen bekannt, denn schon einmal, in den Jahren von 1898 bis 1901 war bereits der Bau einer vollspurigen Kleinbahn von Schwiebus an der ehemals MärkischPosener-Eisenbahn über Dürrlettel und Tirschtiegel nach Neustadt bei Pinne geplant. Damals war es die Allgemeine Deutsche Kleinbahngesellschaft in Berlin, die mit ungeahnten Komplikationen zu kämpfen hatte und wegen fehlender Geldgeber den Plan fallen ließ.
So wurde zunächst die Oberpostdirektion in Berlin ersucht, eine Omnibuslinie mit regelmäßigem Personenverkehr einzurichten. Dieses stieß wegen zu erwartender Unrentabilität auf wenig Resonanz. Erst als ein kompetenter Ministerialbeamter vor Ort mit der mißlichen Situation konfrontiert wurde, entschloß sich dieser zu handeln.
Sein persönlicher Einsatz bescherte den Tirschtiegelern ab 1923 wenigstens erst einmal eine regelmäßige Post-Omnibuslinie nach Schwiebus mit Anschluß nach Berlin.
Man wollte aber mehr, eine Eisenbahnverbindung sollte wieder her! Was nützte ein Omnibus, der den wahren Bedürfnissen der Geschäftsleute nach einem Transportmittel für den Güterverkehr nicht gerecht werden konnte. Planungen einer Stichbahn sahen schließlich eine Bahntrasse nördlich der Chaussee nach Dürrlettel vor. Diese hätte dann von Norden kommend in den Bahnhof Dürrlettel geführt werden müssen.
Hiergegen widersetzte sich der Kreis, der die Interessen von Meseritz gefährdet sah. Es wurde hierbei recht optimistisch an eine Direktverbindung zur Kreisstadt geglaubt, denn nur eine Trasse südlich der Chaussee erlaubte eine Durchfahrt von Süden kommend ohne Umsteigen zur Kreisstadt Meseritz.
Im Kreistag wurde nämlich befürchtet, daß bei nördlicher Linienführung der nahegelegene neuerbaute Grenzbahnhof Neu Bentschen mit seiner Anbindung an das internationale Verkehrsnetz den Provinzknotenpunkt der Kreisstadt ins Abseits befördern könnte. Der Kreis hatte sich deshalb auch schon immer gegen eine Omnibusverbindung Tirschtiegel Neu Bentschen gewehrt. Man muß für diesen Alleingang einzelner Städte Verständnis aufbringen, denn es war in der damaligen Zeit schwer genug, die Wirtschaft über Wasser zu halten.
Auch um den Standort des neuen Bahnhofs Tirschtiegel hat es heftige Debatten gegeben. Schließlich kam 1928 eine Einigung zustande; der Bau begann, und auch ein Lokschuppen mit kleiner Werkstätte konnte errichtet werden. Zur späteren Speisung der Lokomotiven mußten umfangreiche Bohrungen nach Wasser eingeleitet werden. Hierbei wurde offensichtlich gründlich gearbeitet, denn böse Zungen behaupteten, der Brunnenbau hätte mehr Geld gekostet, als der gesamte Bau des Empfangsgebäudes; zu diesen Investitionen kamen die nicht unerheblichen Kosten für Trasse und Oberbau.
Die Inbetriebnahme der Kleinbahnstrecke konnte bereits am Freitag, dem 13.(!) September 1929 erfolgen; die Eröffnungsfeierlichkeiten nahmen folgenden Verlauf.
Der Sonderzug setzte sich um 9 Uhr, gezogen von einer neuerbauten Einheitslokomotive der Baureihe 64 es war die 64 076, beim Bw Meseritz beheimatete von Meser itz nach Tirschtiegel mit längerem Zwischenhalt in Dürrlettel und Eschenwalde, in Bewegung. Ankunft war schließlich um 10.30 Uhr in Tirschtiegel mit feierlichem Einholen des Sonderzuges in den Bahnhof.
Die obligatorischen weißgekleideten „Ehrenjungfrauen“ empfingen diesen ersten Zug mit vielen Ehrengästen. Eine öffentliche Eröffnungsfeier auf dem festlich geschmückten Bahnhofsvorplatz folgte. Nach dem Festakt konnte schließlich der planmäßige Personenund Güterverkehr aufgenommen werden.
Auf dieser Kleinbahnstrecke verkehrten ausschließlich Fahrzeuge der Reichsbahngesellschaft. Lokomotive wie schon erwähnt vom Bw Meseritz mit zwei damals üblichen Nebenbahnpersonenwagen, ab und an waren auch Güterwagen beigestellt. Die 8,7 km lange Strecke hatte 0,5 km Nebengleise, eine stärkste Neigung von 1:132 und keine Anschlußgleise. Nach der Reichsstatistik für deutsche Eisenbahnen war diese Bahn offiziell eine Kleinbahn, für den Betrachter erschien sie jedoch wie eine kleine Nebenstrecke der Staatsbahn.
Der Sitz der Kleinbahn A.G. war in Meseritz, die Strecke wurde für Rechnung der Reichsbahndirektion Osten in Frankfurt/Oder betrieben. Bis 30. September 1938 lag die Bahn in der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, anschließend durch Neuordnung in der Provinz Brandenburg. Zu einer Übernahme der Betriebsführung durch das Landesverkehrsamt Brandenburg ist es aber nicht gekommen.
Die laufenden Betriebskosten wurden belastet durch einen Lokführer und einen Heizer, der jeden Morgen für den nötigen Dampf zur frühen Abfahrt um 6.30 Uhr ab Tirschtiegel zu sorgen hatte; ein meist schwach besetzter Personenzug fuhr dann zum Anschlußzug nach Dürrlettel. An der einzigen Unterwegsstation in Eschenwalde stieg gelegentlich jemand aus oder auch zu. Die Gleise führten hier unmittelbar an einem Schulgebäude vorbei; aus heutiger Sicht ein Verkehrsgefährdung höchsten Grades!
Die Bürger von Tirschtiegel waren stolz, wieder einen eigenen Bahnhof zu haben und mit der Eisenbahn fahren zu können. Weil aber die Kleinbahn nicht dem Staat gehörte, sondern einer Aktiengesellschaft, die wiederum das angelegte Kapital von nahezu 800.000 Reichsmark gut verzinst sehen wollte, mußten Gütertarife und Fahrpreise sehr hoch gehalten werde.
Diese ließ sich aber die Bevölkerung auf die Dauer nicht gefallen, sah diese Sonderzuschläge als eine Strafe an und benutzte deshalb die Kleinbahn nur in ganz dringenden Fällen. Bereits nach knapp zweieinhalb Jahren, am 15. Februar 1932, ist dann der Personenverkehr wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt worden. Der Güterverkehr blieb zunächst erhalten.
Als dann aber nach dem Polenfeldzug im September 1939 der alte Bahnhof Tirschtiegel wieder seinen Anschluß zur Stadt fand, war die Strecke nach Dürrlettel überflüssig geworden. Sie wurde am 31. Mai 1941 stillgelegt und bis 1944 zurückgebaut.
Heute erinnern in Tirschtiegel noch das im Jahre 1929 vom Bauunternehmer Dynio, Tirschtiegel, errichtete Bahnhofsgebäude, in dem sich eine Baufirma befindet, und in Dürrlettel Reste des alten Bahndammes am Bahnhof an die ehemalige Kleinbahn TirschtiegelDürrlettel.
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