Abraham Leslauer – der König der Taschendiebe (1822-1887)Abraham Leslauer –
der König der Taschendiebe
(1822-1887)

Ein Text von Dr. Martin Sprungala

Die Familie Leslauer stammte aus Leslau (Wloclawek) und trug daher, wie es bei Juden oft der Fall war, den Familiennamen nach dem Herkunftsort. Wloclawek hatte vor dem Krieg einen sehr schlechten Ruf, erinnerte sich die Zeitzeugin aus dem nahen Dobriner Land, Elfriede Eichelkraut. Die Stadt war für ihre Kriminalität berüchtigt. Es sollen vor allem organisierte polnische Banden hier aktiv gewesen sein. Daß auch Juden unter den Kriminellen waren, war ihr unbekannt. Ein solcher Krimineller war der 1788 in Leslau geborene Itzig Hirsch Leslauer, der seinen Nachnamen nach seinem Geburtsort trug. Er war der Sohn des Hirsch Itzig Leslauer. Mehr ist über die Familie nicht bekannt.
In jungen Jahren ging er ins Posener Land, nach Betsche (Pszczew) im Kreis Meseritz. Bis zur zweiten Teilung Polen-Litauens befand sich die Stadt Betsche im Besitz des Posener Bischofs, der die Anwesenheit von Juden und Evangelischen in seiner Stadt verbot. Erst die Preußen gestatteten es ihnen, sich hier niederzulassen. Das Standardwerk zum Posener Judentum von Heppner und Herzberg erwähnt, daß schon zuvor Juden hier heimlich lebten. Die preußische Volkszählung (Indaganda) erwähnt aber 1793 keine Juden in Betsche.
Im Jahre 1808 waren bereits zehn Prozent der Einwohner in Betsche Juden (98 Einwohner). Die Gemeinde entwickelte sich gut und wuchs um eine Synagoge, einen Friedhof und eine Schule. Hintergrund für diese gute Entwicklung war aber offenbar nicht guter Handel und Wandel, sondern Kriminalität.

Die große kriminelle Bande flog 1832 auf

Die Region war in den 1820er und 30er Jahren als Sitz einer weitverzweigten Diebes-, Betrüger- und Hehlerbande berüchtigt. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff des sprichwörtlichen „Posemukel“, einen Ort, den niemand kennt. Das Netz reichte bis zu den Kleinstädten Brätz (Brójce), Bentschen (Zbaszyñ), Blesen (Bledzew), Tirschtiegel (Trzciel), Wollstein (Wolsztyn), Schwerin an der Warthe (Skwierzyna) und Unruhstadt (Kargowa).
Ihre Raubzüge reichten bis nach Berlin, weshalb die Polizei hier auf diese kriminellen Vorgänge aufmerksam wurde.

Bekannt gemacht hat diese Vorgänge vor allem der Berliner Jurist und Publizist Andreas Friedrich Thiele (1814-1875), der bis in die 1850er Jahre als Protokollant beim Berliner Stadtgericht tätig war. Er wertete die Berichte aus und verfaßte 1841 das Buch „Die jüdischen Gauner in Deutschland“ (328 Seiten), das er selber herausgab. Die Polizeibehörden bewerteten das Buch als sehr hilfreich und erwarben es.
Kritiker warfen ihm jedoch schon damals vor, tendenziös zu sein, da er auch Zeitungen mit antisemitischen Aussagen zitierte. Dies wies Thiele zurück, da es ihm in keiner Weise darum bei seiner Schrift ging. Diese Vorgänge im westlichen Posener Gebiet wurden in der antisemitischen Propaganda der 1930er Jahre wieder aufgegriffen. 1939 veröffentlichte der Mitarbeiter des Propagandaministers Joachim Duckart (1898- 1952) in Meseritz sein Schmähwerk „Die Juden von Betsche“. Zuvor arbeitete er in der Provinzhauptstadt der Grenzmark Posen-Westpreußen, Schneidemühl (Pila, einst Kr. Kolmar i. P.) beim Rassenpolitischen Amt der NSDAP.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1832 wurden rund 500 Personen überwiegend jüdischer Herkunft verhaftet und anschließend in Berlin wegen Diebstahl, Hehlerei u. a. Delikte angeklagt. Es stellte sich dabei heraus, daß die Bande weite Kreise bis in die örtliche Verwaltung zog. Unter den wegen Meineids Angeklagten befand sich nur ein Jude.

Der ermittelte Schaden belief sich auf geschätzt 210.000 Reichstaler. Geschädigt waren 420 Privatpersonen und 46 öffentliche Kassen. Nach Heppner und Herzberg lebte ein Viertel der Einwohner von Betsche von Diebstahl und Hehlerei. Vor allem die christliche Stadtführung, bis hin zu den Stadträten, verdiente kräftig als Hehler und Nutznießer mit. Auch die Handwerker aller Religionen waren als Zulieferer des geforderten Werkzeugs beteiligt.
Die Berliner Polizei hatte nach der Festnahme von Einbrechern in Berlin die Spuren nach Betsche ermitteln können. Es waren vor allem die Einwohnern von Meseritz (Miêdzyrzecz), durch die es gelang, das „Diebesnest“ ausfindig zu machen und die Schuldigen bis hin zu den Amtsleuten zu verhaften.

Die Familie Leslauer
Unter den in Berlin Angeklagten befand sich auch Itzig Leslauer, der als Berufsverbrecher seinen Lebensunterhalt bestritt. Er hatte am 20. August 1817 die aus Betsche stammende Lea David (*1797) geheiratet. Die Eheschließung führte der Meseritzer Rabbiner Michael Lewi Golde durch.
Das Paar bekam zwei Töchter und zwei Söhne: Male Leslauer (*16.1.1818), 1822 Abraham Leslauer, Heymann Hirsch Hermann (*22.3.1830, † 30.3.1886 New York, nannte sich auch Harris) und Ewa Hannah (*6.8.1833), später verheiratet mit Moses Caspar Phillips.
Itzig kam auch in späterer Zeit mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt und blieb Berufskrimineller, mehr noch, auch seine Kinder führte er in diese Aktivitäten ein.

Abraham Isaak Leslauer wurde am 9.1.1822 in Betsche geboren. Bereits in jungen Jahren wurde er mehrfach verhaftet. Abraham begann seine kriminelle Karriere im Alter von 10 Jahren mit Diebstählen auf dem Markt in Meseritz. In Archiven sind Haftbefehle von ihm aus Posen und Jastrow (Jastrowie, Kr. Deutsch Krone, Westpreußen) erhalten geblieben.
Der Posener Haftbefehl zeigt ihn als 15-jährigen Jugendlichen von kleiner Statur und Spuren von Pocken im Gesicht. Kein Jahr später wurde gegen ihn ein weiterer Haftbefehl wegen Diebstahls auf dem Markt in Tirschtiegel erlassen. Er kam aber nicht ins Gefängnis, weil er an Krätze litt, und bis zu seiner Heilung stand er unter polizeilicher Überwachung, der er sich dann aber willkürlich entzog.
Auch das Posener Provinzialgefängnis in Rawitsch (Rawicz) lernte er auf diese Weise kennen und saß hier bis zum 26. Juni 1844 ein. (Hier saß später auch Wilhelm Vogt ein, der als „Hauptmann von Köpenick“ Bekanntheit erlangte.) Im Jahr 1847 wurde er – erneut – zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte einem Adeligen eine wertvolle Uhr gestohlen. Damit erwarb er sich erstmals in Ganovenkreisen einen Ruf und wurde anerkennend der „General“ genannt. Auch sein Bruder und sein Vater waren damals verurteilt worden und saßen in Rawitsch ein.

Als sich die neue Erfindung, die Eisenbahn, auch im Posener Land verbreitete, weitete Leslauer sein Arbeitsfeld auch hierhin aus. Er beraubte aber nicht nur die Reisenden, sondern nutzte die Bahn auch, um an ferne Orte reisen zu können, wo gerade Veranstaltungen wie Messen oder Märkte stattfanden. Hier konnte er sogar viel höhere Gewinne erzielen.

Erste Bandenbildung

Damals kam die Familie erstmals auf die Idee eine eigene Bande zu gründen. Zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Hermann formierte er eine Diebesbande in Frankfurt am Main.
Da sie hier genug Beute machten, konnten sie sich vor Verhaftungen durch Schmieren und Bestechen der dortigen Polizisten schützen. Sie traten ein Viertel ihrer Beute an sie ab. Dieses Erfolgsschema perfektionierte er im Laufe seines Lebens.
Als sie aber auch in Hessen aufgefallen waren, wechselten sie ihr Arbeitsfeld in die schlesische Hauptstadt Breslau (Wroclaw).

Hier lernte er auch seine Frau, Hannah David (*1830 Breslau), kennen, von der es hieß, daß sie als Hehlerin arbeitete. Im Jahr 1850 heirateten sie. Das Paar bekam im Laufe der Jahre einen Sohn und vier Töchter.
Als Abraham Leslauer auch hier inhaftiert wurde, durfte ihn seine Frau besuchen. Sie bestach den Wärter mit Alkohol und seine Angetrunkenheit nutzt Abraham dann, um zu fliehen. Er schlug sich nach Berlin durch, entschied nun, Preußen, ja Deutschland zu verlassen und ging nach Hamburg.

Auswanderung in die USA

Mit einem Segelschiff reiste er nach Nordwestengland, nach Liverpool aus. Er wollte weiter in die USA und finanzierte seine Fahrt auf gewohnte Weise durch Diebstähle auf Märkten, in Geschäften und Zügen. Er war so erfolgreich, daß er in England nicht nur nie verhaftet wurde, sondern auch seine Frau nachholen konnte.

Gemeinsam segelten sie dann am 12.5.1851 nach New York. Hier änderte Leslauer seinen Namen in Greenthal. Aber auch weitere Pseudonyme wie Leslau, Grenthal, Grünthal, Green, Meyers oder Myers benutzte er. Nur seinen Vornamen behielt er immer bei, womit er offenbar seine jüdische Herkunft unterstreichen wollte, denn gerade in New York organisierten sich die Auswanderer nach ihren Ethnien.


Abraham Greenthal alias Leslauer (1822-1887)



Seine Erfahrungen aus Deutschland perfektionierte er hier. Er schuf eine regelrecht mafiaartige Organisation – viele Jahre bevor die Italiener die amerikanische Mafia schufen. Die Besonderheit bei Abraham war jedoch, daß er stets auf Gewalt gegenüber seinen Opfern aber auch Untergebenen oder Gegnern verzichtete.
Er erwartete aber stets Respekt und Loyalität. Da er sehr empathisch war und die menschliche Psyche sehr gut erfassen konnte, hielt man stets zu ihm, auch während seiner Gefängnisaufenthalte. Ihm entgegengebrachtes Vertrauen nutzte er jedoch skrupellos zu seinem Vorteil aus, vor allem gegenüber Gesetzesvertretern.

So wie in Deutschland arbeitete er hier mit Bestechung und konnte sich dank seiner „Erfolge“ sogar die besten Anwälte leisten, die ihm großen Nutzen brachten, wenn es um Anklagen gegen ihn ging.
Aber die Presse wurde auf ihn aufmerksam, und er erlangte so fast schon eine Art von Berühmtheit. Natürlich konnte er nicht mehr selber auf Raubzug gehen, dazu war er schon viel zu bekannt. Wie ein späterer Mafiaboß wurde er zum Drahtzieher von Verbrechen.
Abraham wurde über New York hinaus bekannt, vor allem durch den Chef der New Yorker Polizei, Thomas Byrnes (1842-1910, ein gebürtiger Ire), der ein monumentales Werk über Amerikas Berufsverbrecher schrieb. Er beschrieb Abraham als den intelligentesten Gauner und Taschendieb, den er kennengelernt hatte. Auch vielgelesene Romanautoren wie Horatio Alger (1832-1899) schrieben über ihn. So erwarb er sich den Titel „König der Taschendiebe“.

Abraham Greenthal alias Leslauer starb am 17.11.1887 im Alter von 67 Jahren. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Brooklyn beigesetzt.