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Feldpost 1942
von Albrecht Fischer von Mollard, Abb: mit freundl. Genehmigung des Besitzers
80 Jahre nach Kriegsbeginn spielte der Zufall dem Heimatgruß einen deutschen Feldpostbrief aus dem Zweiten Weltkrieg in die Hände, der so oder so ähnlich damals sicherlich millionenfach geschrieben wurde. Einzigartig jedoch scheint uns seine Geschichte zu sein Grund genug, um ihn mit freundlicher Genehmigung des Besitzers den Lesern zur Kenntnis zu geben. Wojtek Derwich aus Meseritz/Miedzyrzecz, seit vielen Jahren dem Heimatkreis in Freundschaft verbunden, suchte vor wenigen Monaten Hilfe, denn sein Freund hatte ihm jenen, in Sütterlinschrift abgefassten Brief übergeben und um eine polnische Übersetzung des Inhaltes gebeten. Einen Teil des Schreibens hatte Wojtek selbst entziffern können, gern haben wir ihm geholfen, auch den Rest zu verstehen.
Der Umschlag mit dem Stempelaufdruck „Paderborn 11.5.42.“ wurde als Feldpost nach Kummin (heute Chomino), Krs. Cammin/Pom (heute Kamien Pomorski) gesendet, einem Dorf mit damals etwa 350 Einwohnern, ca. 60 km nördlich von Stettin/Szczecin und östlich der Insel Wollin nahe der Ostseeküste gelegen. Das eigentlich Bemerkenswerte jedoch ist die geradezu sensationelle Herkunft des Schriftstücks. Unser polnischer Freund schreibt dazu: „Der Brief wurde bei der Renovierung des Hauses an der Wand hinter der Fußleiste gefunden.“ Der Brieftext selbst entbehrt insbesondere angesichts des damals herrschenden Krieges - nicht einer gewissen innerfamiliären Tragik: .
Klausheide, den 10.5.42
Liebe Grete!
Soeben habe ich Deinen Brief vom 8.5 erhalten.
Allerdings war ich nicht sehr erfreut darüber, als
ich ihn gelesen hatte. Ist es nicht eigentlich ein
bißchen viel, was Du da so geschrieben hast? Ich
nehme an, Du hast es unüberlegt getan. Eigentlich
weiß ich gar nicht, was ich Dir auf diesen Brief
antworten soll. Ich kann es einfach nicht begreifen,
was Du mir da alles so vorwirfst. Meiner Ansicht
nach waren doch noch keine Gründe dafür
vorhanden.
Erkläre mir doch mal, wie kommst Du darauf,
daß mir das Bild nicht gefällt, das Du mir mitgeschickt
hast. Vielleicht deswegen, weil ich geschrieben
hatte, es sieht so aus, als wenn Du so
viele Sommersprossen hast? Erstens weiß ich,
daß es keine sind, und zweitens, wenn es welche
wären, dann hätte ich mich ebenso darüber gefreut
wie ich mich jetzt darüber freue.
Außerdem meinst Du ja, ich sehe hier wohl
so viele junge Mädchen. Mache Dir deswegen
keine Sorgen, erstens ist es gar nicht der Fall und
zweitens, wenn es so wäre, tust Du mir sehr leid,
daß Du mir solche Vorwürfe machst. Auch meinst
Du ja, es ginge mir hier wohl zu gut. Ich habe immer
gedacht, Du freutest Dich, daß es mir mal ein
bißchen besser ginge nachdem, was ich alles hinter
mir habe.
Also, liebe Grete, soviel will ich Dir hiermit sagen, es ist nicht sehr schön von Dir, daß Du mir
sowas schreibst. Ich könnte Dir ja jeden Satz widerlegen,
aber es hat ja keinen Zweck. Ich hoffe
ja, daß es nicht Dein Ernst war. Allerdings sehe
ich ein, daß Du Dich wohl ein bißchen darüber geärgert
hast, daß ich geschrieben hatte, ich bekäme
zu wenig Post von Dir. Meine Entschuldigung
dafür hast Du ja wohl schon inzwischen bekommen.
Also, liebe Grete, daß ich mich wohl verdammt
über Deinen Brief geärgert habe, mußt Du
Dir doch wohl denken können. Trotzdem Du sehr
im Unrecht bist, will ich Dir weiter keine Vorwürfe
machen. Eines nur möchte ich Dir sagen, überlege
Dir in Zukunft, was Du schreibst. Hier ist noch alles beim Alten. Mir geht es gut. Ich hatte ja gehofft, Du würdest mir schreiben, daß es Mutter schon etwas besser ginge, aber es ist ja nicht der Fall. Hoffentlich kannst Du mir es im nächsten Brief schreiben. Grüsse Mutter schön von mir, ich wünsche ihr alles Gute und recht baldige Besserung. Ebenfalls wünsche ich auch meiner liebsten Grete alles Gute und viele Grüsse und tausend heiße Küsse, trotzt der vielen Sommersprossen
Dein schlechter Heinz
(Das Sturmabzeichen ist heil und ganz angekommen)
- Um Rauchware darf ich jetzt wohl nicht
mehr bitten, nun habe ich doch wohl nichts mehr
zu hoffen.
Nach 77 Jahren, in deren Verlauf in Europa gewaltige politische Veränderungen eintraten, taucht plötzlich ein Feldpostbrief aus dem Zweiten Weltkrieg auf, über dessen Autor genauso wenig bekannt ist wie über die Adressatin, die junge Ehefrau des Soldaten. War der Fundort ein raffiniertes, aber letztlich vergessenes Versteck oder ist das Zeitdokument damals unbemerkt bzw. ungewollt für nahezu acht Jahrzehnte in einem sicheren „Depot“ hinter der Fußleiste verschwunden? Der Brief selbst ist gut erhalten, seine Schrift aber stellenweise verwischt, möglicherweise durch Tränen des nachträglichen Bedauerns der offenbar von Grete erhobenen Vorwürfe? Ob Heinz wohl den Krieg überlebt hat? Wie wird Grete das Kriegsende erlebt haben? Es gibt viele Fragen, die sich dem Leser dieses Feldpostbriefes heute stellen. Für sie alle gilt jedoch die alte, von Bob Dylan vertonte Volksweisheit: „Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind!“
Nachtrag
Jenseits von Bob Dylan und nach Redaktionsschluß ist es gelungen, besagtem Wind doch noch einige Antworten auf Fragen zum Feldpostbrief abzujagen. Unser Dank dafür gilt insbesondere Frau John-Stucke, Leiterin des Kreismuseums Wewelsburg und Herrn Prof. Wallschläger, Berlin, Ansprechpartner für den Kreis Cammin im Pommerschen Greif. Ohne ihre Hinweise und Recherchen könnten die folgenden Informationen nicht gegeben werden.
Heinz Fiddike befand sich, als er an seine
Frau Grete schrieb, im „Teillazarett Klausheide“.
Das heute noch existierenden Salvator-Kolleg
Hövelhof, eine Jugendeinrichtung des Erzbistums
Paderborn, wurde während des Krieges von der
Wehrmacht als Lazarett genutzt. Er war also offenbar
verwundet, was der Satz bestätigt „Ich habe
immer gedacht, Du freutest Dich, daß es mir mal
ein bißchen besser ginge nachdem, was ich alles
hinter mir habe“.
Er stammte aus einer seit vielen Jahrzehnten
in Kummin Kreis Cammin/Pom. ansässigen
Familie und war 1912 als viertes von insgesamt 9
Kindern geboren, von denen allerdings 3 bereits
im Säuglingsalter verstarben. Sein Vater war Bauunternehmer,
er selbst hatte den Beruf des Maurers
erlernt.
Die alles entscheidende Frage, ob er den
Krieg überlebte, kann positiv beantwortet werden
- er hat, war allerdings nach Kriegsende noch 2
Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft, bevor
er 1947 entlassen wurde. Grete floh 1945 nicht,
sondern blieb wie ihre Verwandten im von der
Roten Armee besetzten Kummin, bis das Kreisgebiet
gemäß dem Potsdamer Abkommen unter
polnische Verwaltung gestellt wurde.
Wie alle anderen in ihrer Heimat gebliebenen
Deutschen wurde sie in der Folgezeit über die
Oder nach Westen vertrieben, ausgewiesen oder
verharmlosend - umgesiedelt und fand bei einem
Onkel in Kolpin westlich von Frankfurt/Oder
eine Bleibe.
Heinz und Grete hatten 2 Kinder, nämlich
Dieter, Jahrgang 1938 und Regina, Jahrgang 1939.
Während Regina bereits verstorben ist, lebt Dieter
heute nicht weit von seiner alten Heimat entfernt,
nämlich auf der Insel Usedom. Der Versuch, ihn
telefonisch zu kontaktieren, scheiterte an der Tatsache,
daß er zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus
lag. Das Gespräch mit seiner Frau, der Schwiegertochter
von Heinz und Grete, war leider wenig
ergiebig. Glücklicherweise lebt jedoch auf Usedom
auch noch ein gleichaltriger Cousin von Dieter,
Wolfgang Fiddike, der für den Feldpostbrief seines
Onkels Interesse zeigte und bereit war, ergänzende
Angaben über Heinz und Grete zu machen.
Allen Informanten sei abschließend
nochmals herzlich für ihre Unterstützung gedankt.
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