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Post aus Tirschtiegel
von Albrecht Fischer von Mollard, Abb: mit freundl. Genehmigung des Besitzers
Unter diesem Titel berichtete der Heimatgruß in der Vergangenheit verschiedentlich über kleine, meist völlig unbedeutende Fundstücke aus dem Internet, die in irgendeiner Weise mit meinem Heimatstädtchen Tirschtiegel/ Trzciel in Verbindung stehen und deshalb meine Aufmerksamkeit und mein Interesse gefunden hatten.
Heute ist es wieder soweit ich habe wieder einmal Post aus Tirschtiegel. Sie erinnert uns an eine Zeit, die niemand von uns mehr bewusst miterlebt hat, den meisten aber aus Erzählungen und Berichten noch bekannt sein dürfte und für damalige Zeitzeugen ganz sicherlich schwer war. Vor ein paar Monaten gab die Deutsche Post bekannt, das Porto für einen Standardbrief ab Januar 2022 um 5 auf dann 85 Eurocent erhöhen zu wollen.
Es war natürlich reiner Zufall, daß zur gleichen Zeit im Internet Post aus Tirschtiegel angeboten wurde, nämlich ein frankierter Briefumschlag mit einem Porto in Höhe von sage und schreibe 1 Milliarde Mark. Unvorstellbar, eine EINS mit NEUN Nullen, um einen Brief 200 km weit von Tirschtiegel nach Berlin zu schicken. Dieses eindrucksvolle Zeugnis der Inflation sollte meines werden. Ich gewann die Auktion und erhielt den Umschlag, der eine weite Reise hinter sich hatte, denn er wurde mir aus Vancouver an der Westküste Kanadas zugeschickt.
Der Originalbrief wurde übrigens am 10. November 1923 abgestempelt, einen Tag, nachdem ein gewisser Adolf Hitler meinte, mit einer Handvoll Fanatikern vor die Feldherrnhalle in München ziehen und Randale machen zu müssen.

Nur wenige Tage später, wieder im Internet
unterwegs, entdeckte ich ein weiteres interessantes
Objekt, das unter der Überschrift „Inflation
die Volkstragödie“ eindrucksvoll darstellt, wie sich
das Porto für einen „Fern-Brief“ in der Zeit von
Mai 1920 mit damals 40 Pfennig kreuzförmig
angeordnet und links oben beginnend - bis November
1923 entwickelte.
Das buchstäbliche Kreuz der Inflation ist links
und rechts flankiert von einer in Versform abgefassten
„volkswirtschaftlichen Kurzvorlesung“ über
ihre vermeintlichen Ursachen und Wirkungen, verstärkt
durch ein an den Außenkonturen des Kreuzes verlaufendes Textband mit weiteren Attributen
der Geldentwertung. Nur wenig später lag dieser historisch wie philatelistisch ansprechende Propaganda-Leckerbissen aus London kommend in meinem Briefkasten und kann nunmehr dem interessierten Leser gezeigt werden:

Einen deutlich kürzeren Weg dagegen hatte
das dritte postalische Schmankerl zurückzulegen,
das ich aus Kerpen nahe Köln erhielt und hier präsentieren
möchte: einen Umschlag von der Stadtmühle
Steindamm in Tirschtiegel. Erst nach seinem
Erwerb habe ich festgestellt, daß die Briefhülle
auf den Tag genau 15 Jahre nach dem eingangs
beschriebenen Inflationsbrief abgestempelt
worden war am 10. November 1938, also nach
der Nacht, in der in Deutschland die Synagogen
brannten und das Nazi-Regime jegliche kulturelle
Selbstachtung aufgegeben hatte.
Mich erinnert dieses Stück Papier jedoch weniger
an die Reichsprogromnacht, sondern vielmehr
an unseren unvergessenen Heimatfreund
und HEIMATGRUSS-Macher Joachim Schmidt,
der mir häufiger nicht ohne Stolz von seinem Vater
erzählte, der Obermüller in Steindamm’s Mühle
war. Von ihm weiß ich auch, daß in Tirschtiegel zu
dieser Zeit nur noch eine verschwindend geringe
Anzahl Menschen jüdischen Glaubens lebten:

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