|
|
In Birnbaum wurde der „Deutsche Heimatbund Posener Flüchtlinge“ gegründet
von Dr. Martin Sprungala
Die Flucht des Jahres 1945 hatte bereits eine Generation zuvor in kleinerem Ausmaß einen Vorläufer, nämlich die Flucht der deutschen Zivilisten vor den Kämpfen des Großpolnischen Aufstands 1918. Anders als 1945, als die deutsche Bevölkerung vor der anrückenden Roten Armee und den Schrecken des Krieges fliehen wollte und danach aus ethnischen Gründen vertrieben wurde, waren es 1918/19 weitaus weniger Menschen, die flohen, aber es war bereits eine Massenerscheinung.
Die Zahl der aus der II. Polnischen Republik abgewanderten, verdrängten deutschen Bevölkerung soll sich nach den höchst unterschiedlichen Zahlenangaben auf bis zu einer Million belaufen.
Auslöser war der verlorene 1. Weltkrieg und die Neuordnung Europas danach. Nach über 100 Jahren sollte Polen als Staat wiedererstehen. Die Grenzen des neuen Staates waren aber noch nicht geregelt. Im Osten schuf Polen mittels Kriegen gegen die Nachbarn in Litauen, der Ukraine und Rußland, gegen die junge Sowjetunion, Fakten. Und im Westen wollte man dies mittels eines Aufstands im preußischen Teilungsgebiet erreichen.
Am 27.12.1918 brach der Großpolnische Aufstand aus und innerhalb kurzer Zeit war der Großteil des Posener Landes unter polnischer Kontrolle. Eine Ausweitung nach Westpreußen gelang jedoch nicht, nicht einmal bis nach Bromberg (Bydgoszcz), das ebenso heftig umkämpft wurde wie im Süden die Stadt Lissa (Leszno).
Posener Flüchtlinge (1919-1920)
Bereits damals organisierten sich die Verdrängten, sich vertrieben fühlenden deutschen Bewohner zu einer eigenen Vertriebenenorganisation, über die hier berichtet werden soll. Infolge des Ende Dezember 1918 von polnischen Aktivisten vorangetriebenen Großpolnischen Aufstands und des Bekanntwerdens der Friedensbedingungen im Versailler Vertrag flohen viele Deutsche vor den Kampfhandlungen, aus Angst, unter polnische Herrschaft zu kommen. Viele junge Männer schlossen sich dem Grenzschutz an, viele flohen aus Angst davor, zum polnischen Militär eingezogen zu werden, denn der neue polnische Staat führte Kriege mit seinen östlichen Nachbarn, vor allem mit der Sowjetunion um die Grenzziehung. Hinzu kamen später diejenigen, die Polen verlassen mußten. Es gab im Vertrag die Klausel, daß nur diejenigen, die schon vor 1908 hier gemeldet waren, die polnische Staatsbürgerschaft bekamen. Viele optierten aber auch für Deutschland, wurden dann nicht mehr geduldet und mußten Polen verlassen.
Seit Anfang 1919 ergoß sich daher ein breiter Flüchtlingsstrom aus den ehemaligen preußischen Provinzen Westpreußen und Posen in die beim Deutschen Reich verbleibenden Gebiete. Da der Staat in diesen Monaten durch die Folgen der Novemberrevolution und des verlorenen Krieges weitgehend handlungsunfähig war, bildeten sich rasch Selbsthilfeorganisationen, die auf vielen Gebieten tätig wurden: caritativ, publizistisch, anfangs auch militärisch und vor allem politisch.
Die Gründung des „Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge“
Am 15.3.1919 rief der Grenzschützer Schwalbe in Birnbaum zu einem Zusammenschluß der Posener Flüchtlinge auf. Dies war die Initialzündung zur Gründung des „Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge”. Die erste Sitzung des Gründungsausschusses tagte am 22.3.1919.
Eine Woche später, am 28.3.1919 fand sich die erste Vollversammlung der Flüchtlinge aus Birnbaum und Umgebung im Hotel Sakritz zur Gründung des „Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge“ ein. Bis April bilden sind entlang der Frontlinie des Aufstands 32 Gruppen:
Argenau (Kr. Hohensalza), Bentschen, Betsche, Birnbaum, Bojanowo (Kr. Rawitsch), Bomst (Babimost, Kreisstadt), Bromberg, Filehne (Wielen, Kreisstadt), Fraustadt (Wschowa, Kreisstadt), Glogau (Schlesien), Hammer (wahrscheinlich Kuznica Zbaska, Kr. Bomst), Kempen (Kepno, Kreisstadt), Kolmar i. P. (Chodziez, Kreisstadt), Kreuz/Ostbahn (Krzyz, Kr. Filehne), Lissa i. P. (Leszno, Kreisstadt), Margonin (Margonin, Kr. Kolmar), Meseritz, Militsch (Milicz, Schlesien), Nakel (Naklo nad Notecia, Kr. Wirsitz), Netzthal (Osiek nad Notecia, Kr. Wirsitz), Rawitsch (Rawicz, Kreisstadt), Rothenburg a. d. Obra (Rostarzewo, Kr. Bomst), Schneidemühl (Pila, Kr. Kolmar), Schwiebus, Schönlanke (Trzcianka, Kr. Czarnikau), Thorn (Torun, Westpreußen), Tirschtiegel, Trachenberg (Zmigród, Schlesien), Unruhstadt (Kargowa, Kr. Bomst), Usch (Ujscie, Kr. Kolmar), Zielenzig und Züllichau. Der neu gegründete Verein war schon bald reichsweit aktiv.
Auch wenn sich die Stadt Birnbaum bis zur Umsetzung des Versailler Vertrages im Januar 1920 gegen die polnischen Aufständischen behaupten konnte, so hielt man es dennoch für ratsam, den Hauptsitz des Heimatbundes am 12.4.1919 in das politisch bedeutendere und Berlin nähere Frankfurt/O. zu verlegen. Bereits zwei Tage später fand hier die erste Vollversammlung im Stadtverordnetensitzungssaal der Stadt statt, an der Delegierte der Ortsgruppen und Vertreter des Deutschen Volksrats der Provinzen Posen und Westpreußen teilnehmen.
Politische Aktivitäten des Heimatbundes bis zum 10. Mai 1919
Der Heimatbund war von Anfang an politisch hoch aktiv, denn die Zeit drängte, auch wenn die Kampfhandlungen nach der Verlängerung des Waffenstillstands in Trier (14.2.1919) von beiden Seiten weitgehend eingestellt worden waren. Man bombardierte die Oberste Heeresleitung (OHL) regelrecht mit ständigen Eingaben. Bereits die erste Vollversammlung beschloß die Entsendung einer Dreierkommission zur OHL in deren Hauptquartier in Kolberg.
Zeitgleich organisierten die Ortsgruppen am 20. und 21.4.1919 Demonstrationen und forderten die Rückeroberung der Provinz Posen und ein Verbot des Durchzugs der polnischen Haller-Armee, da man befürchtete, diese aus Frankreich kommende Armee würde die Eroberung weiteren Posener Landes einleiten und den Aufstand nach Westpreußen ausweiten.
Bereits wenige Tage später, am 22.4.1919, fand die zweite Vollversammlung in Frankfurt/O. statt, an der neben den Posener und westpreußischen Vertretern der Volksräte Vertreter der Reichsregierung und des Reichswehrministeriums teilnahmen. Nach den ersten Konsultationen und Rücksprachen sagte die Reichsregierung dem Heimatbund in seiner dritten Vollversammlung in Frankfurt/O. am 1.5.1919 Unterstützung zu und bot an, ihn an den Friedensverhandlungen teilnehmen zu lassen. Eine gewaltsame Rückeroberung, wie weite Teile des Heimatbundes es anstrebten, wurde jedoch ausdrücklich verboten. In den folgenden Tagen sagten der Reichspräsident Friedrich Ebert (gewählt am 11.2.1919), Minister Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann mündlich bzw. telegraphisch dem Bund zu, keinerlei Posener Gebiete abzutreten.
Schon wenige Tage darauf war diese Zusage nur noch Makulatur, denn am 10.5.1919 wurden die Friedensbedingungen des späteren Versailler Vertrages bekannt, die den Verlust des Großteils der Provinzen Posen und Westpreußen vorsah. Es waren dies auch bis dahin vom deutschen Grenzschutz behauptete Gebiete und ihr Verlust war nicht verhandelbar.
Dem Heimatbund blieben damit nur zwei Möglichkeiten: zum einen Abfinden mit den politischen Vorgaben und versuchen auf politischem Feld zu erreichen, was möglich war, oder der Weg in die Militanz.
Einer der führenden politischen Köpfe des Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge war der Geheimrat Dr. Georg Cleinow (1873-1936). Er stammte aus Dolhobyczów bei Lublin im russischen Teilungsgebiet, hatte nach seinem Studium der Nationalökonomie und slawischen Geschichte an zahlreichen europäischen Universitäten als Publizist und Reporter gearbeitet und war so zum Rußlandfachmann geworden und in den preußischen Staatsdienst getreten.
Seit 1909 (bis 1920) gab er die Posener Zeitschrift „Die Grenzboten“ heraus. Während des 1. Weltkrieges (bis 1916) war er Chef der Presseverwaltung beim „Oberbefehlshaber Ost“ und „Generalgouverneur“ Warschau in Lodz und Warschau. Er vertrat die Position nicht nur der Rückeroberung der Provinz Posen, sondern auch der Annexion von Kongreßpolen.
Seit Ende 1918 organisierte er in Posen einen nationalen deutschen Soldatenrat und stellte eine Freiwilligenbatterie auf. Wegen befürchteter Gewaltakte wurde er noch vor Ausbruch des Großpolnischen Aufstands im Dezember 1918 vom preußischen Oberpräsidenten Johann v. Eisenhart-Rothe (1862-1942) aus Posen ausgewiesen und wirkte seither in Bromberg (Bydgoszcz).
Aktivitäten des Heimatbundes seit Bekanntwerden der Friedensbedingungen
Der Heimatbund berief schon zwei Tage nach Bekanntwerden der Versailler Friedensbedingungen für den 12.5.1919 seine vierte Vollversammlung in Frankfurt/O. ein.
Der Heimatbund protestierte gegen die ohne Volksabstimmung beschlossenen Abtretungen. In der Folgezeit fanden intensive Kontakte und Gespräche mit der Reichsregierung statt. Zeitgleich erklärte die Regierung, sie wolle den Friedensvertrag unterzeichnen und rief Truppen und ihre Befehlshaber zurück, um so einen möglichen militärischen Widerstand zu verhindern.
Damit war auch für den Heimatbund die Entscheidung gefallen. Die Front bröckelte erheblich und viele Deutsche flohen aus dem Posener Land und aus Westpreußen.
Bei einer großen Kundgebung am 24.6.1919 zusammen mit den drei Oberpräsidenten der betroffenen preußischen Ostprovinzen Posen, Westpreußen und Schlesien beriet sich der Heimatbund und suchte eine Orientierung über die neuen Ziele und Aufgaben des östlichen Deutschtums. Die Vollversammlung beschloß daraufhin am 20.7.1919, sich der neuen Regierungspolitik anzuschließen.
Schwerpunkt der Arbeit wurde nun immer mehr der karitative, aber auch der publizistische Bereich. Der Heimatbund besaß damals über 300.000 Mitglieder, deren Betreuung man nun vor allem in den Bereichen wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Hilfestellung übernahm und für sie Lobbyfunktionen im gesellschaftlichen und parlamentarischen Bereich wahrnahm.
Am 10.8.1919 wurde die Flüchtlingsfürsorge im großen Stil durch die Eröffnung des ersten Flüchtlingsheims in Frankfurt/O. eingeleitet. Von Anfang an fand hier auch eine Rechts- und Berufsberatung statt. Bis zum 15.5.1920 fanden in diesem Heim 17 922 Personen nach ihrer Flucht eine erste Unterkunft.
Zehn Tage nach der Gründung der ersten Einrichtung wurde am 20.8.1919 ein Flüchtlingsheim in Hannover im Gebiet des Landesverbandes Hannover eröffnet. Gleichzeitig wurde eine erste Publikation herausgegeben. Ab Januar 1920 gab der Heimatbund einen ostmärkischen Heimatkalender heraus. In Meseritz betrieb der Heimatbund eine sog. „Ostmärkische Volkshochschule“ und gab monatlich die Zeitschrift „Die verlorene Ostmark“ heraus. Die Schriftleitung übernahm der aus Bromberg stammende Publizist und Lehrer Dr. Franz Lüdtke (1882-1945).
Auflösung bzw. Umwandlung in den „Deutschen Ostbund“
Am 20.1.1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft und löste nochmals eine weitere Flüchtlingswelle aus, nachdem die bis dahin verteidigten Gebiete an Polen abgetreten werden mußten. Im Sommer 1920 regelte eine Entente-Grenzkommission die letzten Fragen der Grenzziehung zwischen Polen und Deutschland.
Der Heimatbund wandelte sich zum Ende des Jahres immer mehr in eine politische Organisation um. Es gelang ihr, führende Persönlichkeiten des Ostens und des Reiches zu gewinnen. Allen voran der gebürtige Posener Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg (1847-1934), der am 10.10.1919 den ihm angetragenen Ehrenvorsitz des „Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge“ annahm, woraufhin die Zahl der prominenten Ehrenmitglieder weiter anschwoll.
Der Geschäftsbericht nennt u.a. den Admiral Friedrich Graf Baudissin (1852-1921), die Generale Friedrich v. Bernhardi (1849-1930, ehemaliger Kommandeur des V. Armeekorps in Posen), Josias v. Heeringen (1850-1926, ehemaliger Kriegsminister, Präsident des Kyffhäuserbundes), Generalmajor Walther Freiherr v. Lüttwitz (1859-1942) und Paul v. Lettow-Vorbeck (1870-1964, Kommandeur in den deutschen Kolonien Afrikas), den späteren Oberpräsidenten der Grenzmark Posen- Westpreußen, Friedrich v. Bülow (1868-1936), und den Vorsitzenden des Bundes der Landwirte, Conrad Freiherr v. Wangenheim (1849-1926).
Die hohe Anzahl militärischer Ehrenmitglieder belegt die militärische Ausrichtung des Heimatbundes bei seiner Gründung. Auch eine stattliche Anzahl lokaler Prominenz aus dem Gründungsgebiet wurde zum Ehrenmitglied: Generalmajor Hoffmann aus Meseritz, Major a. D. Heinrich v. Tiedemann-Seeheim (1843-1922, Vorsitzender des Deutschen Ostmarkenvereins), Hauptmann Boelke, Kommandeur des Grenzschutzabschnitts Birnbaum, Hauptmann Gerstefeld, Kommandeur des Grenzschutzabschnitts Tirschtiegel, Wilhelm Graf zu Dohna (1884-1945) auf Schloß Hiller-Gärtringen, Kammerherr Leonhard v. Kalckreuth (1927) auf Obergörzig.
Seit Februar 1920 weitete der Heimatbund seine Aktivitäten auf das gesamte Reich aus. Folgerichtig war seine Bezeichnung als „Heimatbund Deutscher Posener Flüchtlinge“ nicht mehr zeit- und aufgabengemäß. Am 29.9.1920 schloß sich der Heimatbund mit dem „Reichsverband Ostschutz “, der die Tätigkeit des Deutschen Ostmarkenvereins unterstützt hatte, zum „Deutschen Ostbund“ zusammen.
Die Bedeutung dieser neu geschaffenen Vereinigung kann man bereits an der Anzahl seiner Mitglieder ablesen, die im Jahr 1922/23 bei weit über 1 Million lag. Ehrenvorsitzender auch dieses Zusammenschlusses blieb Paul v. Hindenburg. Vizepräsidenten waren u.a. Franz Lüdtke (1882-1945, 1928-1930 Präsident) und der ehemalige Posener Verlagsdirektor E. Ginschel. Mitglied des Ostbundes war u.a. auch der später führende zivile Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945) aus Schneidemühl. Der „Deutsche Ostbund“ wurde 1934 aufgelöst.
Weiterführende Literatur:
Geschäftsbericht des Deutschen Heimatbundes Posener Flüchtlinge.
Frankfurt/ O. 1920.
Schulze, Hagen Der Oststaat-Plan 1919, S.132, in:
Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte, Heft 2, April 1970, Stuttgart
|
|