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Die Tirschtiegeler Radarstellung
Was wußten wir von den geheimnisvollen großen Geräten rechts der Bentschener Chaussee mit ihren schwenkbaren, schalenähnlichen Stahlgeflechten und vom Tirschtiegelriegel?
Polnischer Militärhistoriker fragt nach geheimnisvollen Geräten des 2. Weltkrieges bei Tirschtiegel
Hubert Golek
lm Februar dieses Jahres überraschte mich der Besuch
eines jungen Krakauer Studenten. Er stellte sich vor und
sagte, daß er Militärhistorik studiere und daß er schon
in Trzciel/ Tirschtiegel unterwegs gewesen sei, um etwas
über die damals hochmodernen deutschen Funkmeßgeräte
zu erfahren, die einst vor der Stadt standen.
Schließlich habe man ihn an Herrn
Golek nach Lutol Mokry/ Naßlettel
verwiesen. Ich sagte ihm, daß ich mich gut erinnern kann, daß ich die großen Radargeräte mehrfach gesehen habe und nach dem Krieg sogar darin herumgekrochen bin.
Wer die damals geheime
Elektronik der Geräte ausgebaut
hat, ob es nicht sogar noch die
Deutschen waren, das weiß ich
nicht. Ich weiß nur, daß die Stahlkonstruktionen
des Gehäuses und
der Antennen ab Herbst 1945 über
längere Zeit bis 1946 von Polen abgebaut
wurden. Viele Teile gingen schlecht
zu demontieren, allzu Festsitzendes wurde
mit dem Schweißgerät abgetrennt.
Mit dem jungen Studenten,
der mir noch sagte, daß er an einer
größeren Arbeit sitzt, fuhr ich
an den alten Standort der Funkmeßgeräte, um ihm die
Betonsockel zu zeigen, auf denen die großen Geräte
einst standen. Wir haben die Sockel noch fotografiert.
Daß im Frühjahr 1945 in unmittelbarer Nähe der
Geräte gefallene deutsche und russische Soldaten gefunden
wurden, läßt doch darauf schließen, daß die Geräte
im Januar 1945 umkämpft waren.
Von Zeit zu Zeit finden sich immer wieder Interessenten, die nach den Stellungen und nach der Bedeutung des Tirschtiegelriegels fragen einer Verteidigungsanlage, die unter Einbeziehung der Obra mit ihren Seen, den Wäldern und leichten Hügeln schon vor langer Zeit, als die Burg in Tirschtiegel noch stand, bedeutungsvoll war. J. Schmidt.
Geheimnisvolle Horchgeräte bei Tirschtiegel
Helmut Kahl
Im Sommer 1944 erschreckte oftmals der „heulende“ Ton der Luftschutzsirene die Bewohner von Tirschtiegel. Auch wir Schüler mußten die Klassenzimmer der Neustädter Volksschule im Laufschritt verlassen, um in den Kellerräumen Schutz zu suchen. Es war ein Gedränge und die kleineren Schüler weinten vor Angst. Nach der Entwarnung waren alle froh, daß kein Luftangriff erfolgte und nichts zerstört wurde.
Die älteren Schüler der 7. und 8. Klasse wurden
auf dem Schulhof als Luftschutzhelfer ausgebildet. Uns
wurde die Wirkungsweise von Brandbomben vorgeführt,
die erforderlichen Löschmaßnahmen demonstriert und
der Einsatz von Luftschutzmeldern trainiert. Wir fühlten
uns damals fast wie „richtige“ Soldaten, ohne den Ernst
des Krieges zu erkennen.
In dieser Zeit wurden etwa 1,5 km südlich der
Tirschtiegeler Neustadt, in Richtung Eschenwalde
rechts der Straße nach Naßlettel zwei Funkmeßgeräte
in Stellung gebracht, die die Tirschtiegeler Horchgeräte
nannten. Zu erreichen waren die großen, neuartigen
über 10 m hohen Geräte, deren Radarschirme einen
Durchmesser von 7,40 m hatten, über einen Feldweg
von der Vogelwiese aus. Ihre Tarn- und Typenbezeichnung
war uns unbekannt wie ihre Aufgabe.
Heute wissen wir, daß ihre Tarnbezeichnung bei
Tirschtiegel „Tirstein“ hieß und daß es sich um Funk-
Meßgeräte, später Radargeräte genannt, vom Typ FuSE
65 „Würzburg Riese“ handelte.
Sie wurden von der Firma Telefunken gebaut und
waren damals die wichtigsten Radargeräte einer
Luftverteidigungslinie, die sich im Osten Deutschlands
von der Ostsee bis zur südlichen Reichsgrenze erstreckte. 1500 solcher Geräte soll es zur Luftverteidigung
Deutschlands gegeben haben. Ihre Reichweite lag zwischen
70 bis 90 km. Die einzelnen Geräte wurden
jeweils von 6 Soldaten bedient waren es Frauen, so
nannte sie der Volksmund Blitzmädels.
Die neuen Radargeräte
standen unter
Geheimhaltung und
wurden aufmerksam
bewacht. Die einzelnen
Radarstellungen
sollten feindliche
Bomberverbände
oder Jagdflugzeuge
rechtzeitig orten und
der Verteidigunsleitstelle
melden. Von
dort wurden die Abwehrmaßnahmen
organisiert.
Die Marine verfügte
über eine abgewandelte
Form dieser
Funkmeßtechnik.
Die Tirschtiegeler
Radarstellung gehörte
zur 1. schweren Flugmelde-Leit-Kompanie der
1. Abteilung des Luftnachrichtenregiments 231,
das am 02.09.1944 in Frankfurt/Oder aufgestellt
wurde.
Eine wirkungsvolle Ortung feindlicher Kampfverbände
durch das neue Radar wurde vom Sommer 1943 an
von den alliierten Kampfflugzeugen durch den Abwurf
von Stanniolstreifen bald zunichte gemacht.
Wir Kinder fanden später auf den Feldern lange,
schmale Silberpapierstreifen und sammelten sie. Wozu
sie dienen sollten, war uns ein Rätsel. Die abgeworfenen
Stanniolstreifen schwebten längere Zeit in der Luft
und irritierten die deutsche Luftabwehr. Eine Folge war
u.a. der schreckliche Bombenangriff mit dem Feuersturm
auf Hamburg.
Später konnte man mit den neuen Radargeräten
zwischen den schnell fliegenden Kampfverbänden und
den segelnden Stanniolstreifen unterscheiden. Eine wirkungsvolle
Abwehr war jedoch, das hörten wir Kinder
von den Erwachsenen immer wieder, nicht mehr möglich.
Nach der Eroberung Tirschtiegels im Januar 1945 wurden
höchstwahrscheinlich von Fachleuten der Roten Armee
die elektronischen Meßapparate der Geräte demontiert.
Die drehbaren Gehäuse mit den mechanisch
schwenkbaren Antennen waren noch Monate später
willkommenes Spielzeug für Kinder, bis auch sie als
brauchbare Kriegsbeute verschwanden.
Übrigens blieben bis heute bei Tirschtiegel die 2 Betonsockel
der großen Radargeräte erhalten, Zeugen einer
schon damals hochentwickelten deutschen Funkmeßtechnik.
Wenn ich mit meinem Großvater Albert Kahl, geb. 1865,
Landwirt und Korbmacher am Kirchplatz in Tirschtiegel,
mit dem Einspännerwagen zum Acker mitfuhr, mußten
wir in der Nähe der Radargeräte vorbeifahren.
Ich war 12 Jahre alt und bestaunte die Größe
dieser wuchtigen Kolosse. Soweit ich mich erinnere, kam
es zu keinem Kontakt mit den dort tätigen Luftnachrichtensoldaten. H. Kahl.
Zweimal war ich an den Horchgeräten
Helmut Volkmann
Im Sommer 1944 kam es in Tirschtiegel zu Ereignissen,
die wir ältere Schüler aufmerksam beobachtetenund die uns den Ernst des Krieges langsam bewußt
machten: Häufiger Fliegeralarm mit Unterrichtsausfall,
der Beginn eines umfangreichen Stellungsbaues und
zwischendurch immer öfter Nachrichten über gefallene
Soldaten aus unserer Stadt, die bei den Erwachsenen
große Betroffenheit auslösten.
Auf dem Neustädter Markt wurden Baracken für
Grossküchen aufgestellt und irgendwo nach Eschenwalde
und in den Wäldern ringsum würden Stellungen
gebaut. In kurzer Zeit standen auf den Feldern südlich
der Neustadt zwei riesige Horchgeräte, die uns magisch
anzogen. Ob die etwas mit der neuen Wunderwaffe zu
tun haben, mit der wir die Feinde besiegen werden?
Neben dem Bangen wurde alles noch abenteuerlicher
und aufregender. Wir stromerten in unserer freien
Zeit umher, um zu sehen, was sich um uns veränderte.
So zog ich eines Tages mit drei Freunden von
Neugier getrieben über die Bentschener Straße zu den
neuen Horchgeräten, die uns nicht in Ruhe ließen. Außerdem
sollte da noch Spiegelglas liegen, das ich haben
wollte.
Niemand schien uns zur Kenntnis zu nehmen,
bis plötzlich kurz vor den riesigen Geräten ein Wachposten
vor uns stand mit den Worten: „Hier ist militärisches
Sperrgebiet. Ihr habt hier nichts verloren, verschwindet!“
Wir versuchten mit dem Wachposten zu
reden, der schließlich erlaubte, daß jeder ein Stück Spiegelglas
mitnehmen durfte und wir räumten das Feld.
Wieviele Soldaten da waren und was sie machten,
blieb uns verborgen. Ein zweites Mal wagten wir
uns nicht mehr dorthin.
Im März 1945
Der Krieg ist noch nicht zu Ende. Die kämpfenden Fronten
aber sind nach Verwüstungen in Tirschtiegel zur
Oder weitergezogen. Ein Fluchtversuch meiner Mutter
mit uns Kindern vor den Russen scheitert. Wir müssen
Schreckliches, Unbeschreibliches durchleben.
Der furchtbare Winter mit Nachttemperaturen um
30° ist Mitte März gebrochen. Es beginnen Aufräumungsarbeiten.
Sie werden von den neuen Besitzern
unserer Heimat, den Polen organisiert. Wir Kinder, Jungen
über 10 und Mädchen über 12 Jahre und Erwachsene
müssen mithelfen, sonst gibt es kein Brot.
Ein etwas älterer Milizionär, mit einem Karabiner
bewaffnet, beaufsichtigt uns, die im Bereich der Neustadt
gefallenen Soldaten und Tierkadaver, die der geschmolzene
Schnee freigibt, zu suchen und zu begraben.
Der Verwesungsgeruch in der frostfreien Zeit führt
uns schnell zu den Fundstellen.
Einen toten deutschen Soldaten, den wir in der
Nähe der Bentschener Straße finden, soll ich gleich an
Ort und Stelle begraben. Er trägt noch eine Erkennungsmarke,
die ich aufnehmen möchte. Der Milizionär verbietet
mir das mit der Bemerkung, daß deutsche Schweine
das nicht wert sind. Ich konnte mir leider nur den
Vornamen Hans-Joachim und den Wohnort Berlin-
Charlottenburg merken. Mit meinem Spaten bedecke
ich den gefallenen Soldaten im nahen Schützengraben
mit Erdreich.
Ganz in der Nähe der Horchgeräte finden wir noch 2
deutsche Soldaten und 2 russische Offiziere. Mit dem
Auftrag, die gefallenen Soldaten zu begraben, läßt mich
der Milizionär mit meinem Spaten allein zurück. Er sucht
mit den anderen Helfern nach weiteren Toten. Ich bemühe
mich nun allein, den schrecklichen Auftrag so
schnell wie möglich zu erledigen.
Hungrig und übermüdet setze ich mich danach
auf die Treppe an einem der Horchgeräte. Meine Neugier
ist noch geblieben und so steige ich in das an der
großen Antenne befindliche Gehäuse. Die Tür ist offen,
der Raum ist leer, auch die Fächer, in denen sich wohl
einmal elektrische Meßgeräte befanden. Ich drehe an
einem der Räder und stelle fest, daß sich das große
Gehäuse mit der riesigen Antenne mit Leichtigkeit bewegen
läßt. Ein lautes Motorengeräusch weckt meine
Aufmerksamkeit. Ein russischer Doppeldecker kommt
von der Stadt her im Tiefflug auf „mein“ Antennengerät
zugeflogen. Angstvoll verlasse ich schnell mit meinem
Spaten das große „Spielzeug“.
Erinnerung an Ereignisse, die nun 67 Jahre zurückliegen.
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