Integrationsprozesse der Ethnien in der ehemaligen Grenzregion bis 1945
Dr. Martin Sprungala

Anläßlich des 2. Polnisch-Deutschen Begegnungsseminar in Pszczew / Betsche am 31.08.2013 hielt Dr. Martin Sprungala diesen Vortrag.

Deutsche und Polen verbindet eine sehr lange Geschichte, eine tausendjährige Nachbarschaft. Auch wenn man aus dem Wissen um die Erfahrungen der letzten zwei Jahrhunderte vermuten könnte, es sei eine schlechte Nachbarschaft gewesen, so stimmt dies nicht. Über den absolut längsten Zeitraum des letzten Jahrtausends war das Verhältnis ein friedliches und gutes. Etwas, was jeden überraschen dürfte, ist, daß der letzte Krieg zwischen dem Deutschen Reich und dem Staat Polen vor dem 2. Weltkrieg der Feldzug von Kaiser Friedrich I. Barbarossa zur Wiedereinsetzung der schlesischen Piasten des Jahres 1157 war.
Spätere Kriege betrafen den Deutschen Orden, der ein international zusammengesetzter Ordensstaat war und nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation (HRR), oder Teilstaaten des HRR.
Im Jahr 1966 feierte die Volksrepublik Polen ihre zentrale Millenniumsfeier zur Staatsgründung Polens. Das Datum war eine politische Aussage und nicht der reale Akt der Staatsgründung vor 1.000 Jahren. Der Ort war der Berg Jasna Góra bei Tschenstochau / Czêstochowa, dem seit dem 17. Jahrhundert heiligsten Ort Polens. Aber die formal atheistischen Kommunisten wählten nicht den überlieferten Tag der Taufe des ersten urkundlich erwähnten polnischen Fürsten Miseco (= Mieszko I.), den 14. April, sondern den 3. Mai, den heutigen Verfassungstag, der an die Konstitution vom 3.5.1791 erinnert, die damals fortschrittlichste Verfassung Europas.

Beides war problematisch, denn die Kommunisten waren Atheisten, feierten aber nahe des nationalen Wallfahrtsortes mit der berühmten Schwarzen Madonna von Tschenstochau, zum anderen waren sie auch nicht wirklich fortschrittlich und demokratisch, dennoch wählten sie den 3.5.1966 als Feiertag zum Jubiläum „1000 Jahre Polen“ (Tysiaclecie Pañstwa Polskiego). Die katholische Kirche Polens sprach damals nicht von dem Bestehen des Staates, sondern vom „Heiligen Jahrtausend für Polen“ (Sacrum Poloniae Millenium). Dem von der Kirche eingeladenen Papst Paul VI. verweigerten die Kommunisten die Einreise. Diejenigen, die in früheren Zeiten eine polnische Schule besucht haben, werden es wissen, daß man lehrte, daß im Jahr 966 die Taufe Polens (Chrzest Polski) stattfand. Nicht aber wurde gelehrt, daß die vollständige Christianisierung noch sehr viele Jahrzehnte benötigte.

Das polnisch-deutsche Verhältnis befand sich damals vor allem bedingt durch den 2. Weltkrieg auf einem Tiefpunkt, das ist allen bekannt. Kurzgefaßt sei genannt die grausame, menschenverachtende Politik des deutschen NS-Regimes, das die polnische Bevölkerung im besetzten Polen regelrecht versklavte, und als Folge dessen kam es durch die ebenfalls menschenverachtenden stalinistischen Kommunisten zur Vertreibung der z. T. jahrhundertealten deutschen Bevölkerung aus Polen.
Seither gab es nicht mehr wirklich ein deutschpolnisches Verhältnis. Es gab zwei deutsche Staaten: den sozialistischen Bruderstaat DDR, mit dem es seit 1950 das Görlitzer Abkommen gab, in dem die Oder- Neiße-Linie durch die DDR als „Friedensgrenze“ anerkannt wurde. Von einem guten brüderlichen Verhältnis zur DDR konnte jedoch nie die Rede sein und im Ostblock galt die Bundesrepublik Deutschland als der revanchistische Hort der US-hörigen Kapitalisten.

Doch zwei Jahrzehnte des Nicht-Verhältnisses änderten nichts an der Tatsache, daß man Nachbar blieb und einen neuen Weg des Miteinanders finden mußte. An dieser Stelle sei ein Zitat Friedrich II. erwähnt: „Man muß im Krieg stets beachten, daß man nach dem Krieg mit dem Nachbarn weiter lebt.“ Und auch das geteilte Deutschland blieb ein Nachbar Polens. Es waren die katholischen Bischöfe Polens, die den Versuch eines Neuanfangs starteten. Am 18.11.1965 schickten sie im Vorfeld der Millenniumsfeier einen Brief an die deutschen Bischöfe mit dem Titel „Wir verzeihen und bitten um Verzeihung“. Dies war ein sehr mutiger und christlicher Schritt und es zeigt sich: Der Neuanfang ist gelungen, wie man heute sieht.

Zehn Jahre danach, im Jahr 1976, gaben führende Vertreter der Landsmannschaft Weichsel-Warthe (LWW), der Organisation der vertriebenen Deutschen aus Polen (Dr. Richard Breyer und Peter Nasarski), zusammen mit einem Polen (der Auslandspole Janusz Piekalkiewicz) ein gemeinsames Buch mit dem Titel „Nachbarn seit tausend Jahren: Deutsche und Polen in Bildern und Dokumenten“ heraus. Das Vorwort schrieb der damals bekannte, aus dem Posener Land stammende Osteuropawissenschaftler Prof. Dr. Gotthold Rhode von der Universität in Mainz.



Es stellt sich nun die Frage: Wie sah der Beginn vor 1000 Jahren aus?

Auch dieser Anfang, der erste urkundlich erwähnte Kontakt, war kriegerischer Natur. In dieser Zeit enstanden unter anderem an den frühen Grenzen Polens erste Wehranlagen, ringförmige, slawische Sandwälle, die auf ihrer Krone mit Palisaden (Pfählen) verstärkt gesichert waren. Im alten Kreis Meseritz finden wir noch heute drei Reste dieser 1000jährigen Zeugen. Später wurden sie mit Steinen und Ziegelmauerwerk verstärkt und mit Türmen bewehrt. In ihrer ursprünglichen Form blieb jedoch keine dieser Anlagen erhalten:

Burg MeseritzGrafenburg, TirschtiegelRingwall mit Festungsturm längs der Obra bei BentschenFür das Jahr 962/3 werden Grenzkämpfe der aggressiven Markgrafen Gero aus der Ostmark und Wichmann d. Jüngere mit dem polnischen Herrscher „Miseco“ = Mieszko I., (930-992) erwähnt. Er wurde dadurch mit Teilen seines Herrschaftsgebiets Vasall des HRR. Mieszko I. erkannte die Gefahr, die ihm damit drohte und suchte nach Verbündeten, nach einem Ausweg und fand ihn in den christlichen Tschechen/ Böhmen, die ebenfalls Teil des HRR waren. 965 verbündete er sich mit ihnen und heiratete die böhmische Prinzessin Dubrovka (930-977). Die Legenden sind vielfältig, sei es, daß sie ihn vom Christentum überzeugte, sei es, daß die Christianisierung zum Abkommen gehörte, jedenfalls ließ sich Mieszko im Jahr 966 taufen. Selbst der Ort ist in der Überlieferung umstritten.

Welche Gründe auch immer eine Rolle gespielt haben, es war ein kluger und gewagter Schachzug Mieszko I. Christ zu werden, denn damit war er Teil der abendländischen Gemeinschaft und kein legitimes Angriffsopfer mehr, wie die Elbslawen oder später die Pruzzen. Dieser Akt ist durchaus vergleichbar mit der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig I. (466- 511) um 507 (Datum umstritten), der die Christianisierung nach katholischem Ritus West- und Mitteleuropas einleitete.
Die Gefahr dieser Taufe Mieszko I. lag im Inneren seines Reiches, da sich die Herrschaftslegitimation auf die bisherige heidnische Religion mit ihrem Ahnenkult bezog. Diese Gefahr wurde in den 1030er Jahren deutlich, als ein Rückfall ins Heidentum fast das Herrscherhaus beseitigt hätte, hätte Kaiser Heinrich III. nicht seinem Verwandten Kazimierz I. Odnowiciel (der Erneuerer) geholfen seine Macht zu sichern und die Christianisierung neuerlich zu beginnen.

Seit der Taufe Mieszko I. war der Kontakt zwischen beiden Reichen weitgehend friedlich und es waren vor allem die slawischen Böhmen (Tschechen), aber auch Deutsche, die die Christianisierung Polens vorantrieben. In späterer Zeit wurden Polen und Deutsche nicht nur Nachbarn auf staatlicher Ebene, sondern in größter Nähe, als deutsche Siedler ins Land gerufen wurden. Sichtbar wird das enge deutsch-polnische Verhältnis in der polnischen Sprache. Es soll ca. 10.000 Lehnswörter aus dem Deutschen geben, vor allem im Bereich von Kirche (z. B. Biskup/ Bischof, Proboszcz/ Probst), Verwaltung (Ratusz/ Rathaus, Burmistrz/ Bürgermeister), Siedlung (Markt/ rynek – von Ring, Haus/ dom – von lat. domus) und Handwerk (Gerber/ garbarz, Ziegel/ ceglar, Maler/ malarz).
Im Gegenzug fanden aber nur sehr wenige Worte im Deutschen ihre Aufnahme. Es sollen nur ca. 20-30 Wörter sein, wie z. B. Grenze (Granica, und nicht das damals übliche fränkische Wort „Mark“ setzte sich durch), Säbel (szabla), Gurke (ogórek) oder „Dalli, dalli“ (von
dalej = weiter, vorwärts).


1. Große Besiedlungsphase
(1240-1350)


Der polnisch-deutsche Kontakt wurde durch die sog. deutsche Ostsiedlung besonders intensiv. Immer wieder zu bemerken ist dabei, daß die deutschen Kolonisten ins Land gerufen wurden. Einen „deutschen Drang nach Osten“ gab es nicht! Es war die Überbevölkerung in Mitteleuropa, die zum Landesausbau und zur Stadtbildung führte und damit weiteres Bevölkerungswachstum schuf. Das Wissen um moderne Techniken und Anbauverfahren wie die Dreifelderwirtschaft machten deutsche Kolonisten im vielfach noch menschenleeren Raum Ostmitteleuropas so begehrenswert. Bereits seit 1200-1250 wurden Pommern (unter der Greifen-Dynastie stehend) und Schlesien (unter den schlesisch-deutschen Piasten) durch Deutsche und Flamen besiedelt. Wenige Jahrzehnte später reagierte auch der polnische Adel auf die Entwicklung in den Nachbarländern und sie machten deutschen Siedlern verlockende Angebote, sich auf ihrem Territorium niederlassen zu können.
Man gewährte den Deutschen ihre Rechtsform, unter der sie bereits zuhause lebten, denn das sog. polnische Recht stellte den Untertanen, den Bauern oder Handwerker weit schlechter. So entstanden überall Siedlung und Städte nach Deutschem Recht, in den Varianten des Magdeburger Rechts, des Kulmer Rechts, einer Variante von ersterem auf dem Gebiet des Deutschen Ordens und auch in den angrenzenden Gebieten oder des Neumarkter Rechts, der schlesischen Variante, die bis nach Polen hinein verbreitet war.
Das älteste Stadtrecht für einen Ort in Großpolen findet man bei der Erhebung von Strelno (Strzelno) zur Stadt im Jahr 1231. Viele Urkunden gingen im Laufe der Jahrhunderte verloren, so auch die von Meseritz (Miêdzyrzecz), das vor 1248 das Stadtrecht erhielt.

1253 wurde auch die Landeshauptstadt Posen (Poznañ) nach Magdeburger Recht neu gegründet.
Einhundert Jahre später erreichte das deutsche Stadt-recht auch die ukrainische Stadt Lemberg (1356), die später zum Königreich Polen-Litauen gehörte. Im Posener Land erhielten im Laufe der Jahrhunderte der Ansiedlung 173 Städte das deutsche Stadtrecht. Davon verloren 69 das Stadtrecht wieder, weil sie sich nicht entwickelten oder zurückentwickelt hatten. Vier davon verloren den Stadtstatus bereits in altpolnischer Zeit, vor den Teilungen, 23 seit 1920.
Die Einwohnerzahl in der Verwaltungseinheit Großpolen (Wielkopolska) wird um 1200 auf 200.000 Menschen geschätzt. Um 1350 sollen es ca. 300.000 gewesen sein. Dieses Wachstum rührte nur zum Teil von einer natürlichen Steigerung her, sondern vor allem durch den Zuzug von Kolonisten. D. h. jeder 3. bis 4 Einwohner des Posener Landes war zum Ende des Mittelalters deutscher Herkunft.
Die Ansiedlung in den Städten erfolgte zumeist über sogenannte Lokatoren, heute würde man sagen Ansiedlungsunternehmer. Auch auf dem Lande waren solche Fachleute tätig, vor allem im Auftrag von Klöstern, denen der polnische Adel Land zur Gründung von Filialen stiftete. In dem Grenzgebiet waren es vor allem die Zisterzienser, die Klöster in Blesen (Bledzew, Kr. Schwerin a. W.), Paradies (Paradyz, Kr. Meseritz), Obra (Obra, Kr. Bomst) und Priment (Przemêt, Kr. Bomst, heute Wollstein) gründeten. Die Besonderheit die dieser Bevölkerung war, daß sie deutschsprachig und katholisch war - bis zuletzt.
Wie sah es mit der Integration aus? Ja, die deutschen Kolonisten waren integriert, treue Untertanen des polnischen Königs und ihrer adeligen Grundherren. Aber es war keine Assimilation. Sie lebten in eigenen Siedlungsgebieten mit ihrer eigenen Rechtsform, d. h. sie hatten ihre eigene Lebensform, Kultur und Sprache. In jener Zeit entstand der Begriff „Niemcy“ für Deutsche, von dem Wort „stumm“, weil die Siedler stumm waren, d. h. kein Polnisch konnten.
In der Literatur findet man immer wieder die Erläuterung, daß dieses mittelalterliche Deutschtum bis zum 16. Jahrhundert untergegangen ist. Die Kolonisation endete fast schlagartig mit dem ersten Auftreten der Pest in Europa, der ein gewaltiger Anteil der Bevölkerung erlag. Damit war für sehr lange Zeit kein Bevölkerungswachstum mehr vorhanden und damit auch keine Kolonisation.
Viele deutsche Siedlungen waren klein und befanden sich in Streulagen, so daß es nun doch zur Assimilation kam, d. h. zur Vermischung der Bevölkerungsgruppen und auch der sprachlichen Anpassung der Deutschen, zumal seit der Zeit König Wladyslaw I. Lokietek der staatliche Druck wuchs, da in Polen die Angst vor einer deutschen Vormachtstellung auch im eigenen Landes wuchs. In dieser Zeit wechselte in vielen Orten die Schriftsprache vom Deutschen ins Lateinische und Polnische.


2. Besiedlungsphase
(1600-1750 und später)


Es ist vielen wenig bekannt, daß Polen Anfang des 16. Jahrhunderts eines der führenden Länder im Bezug auf die Reformation war. Der Adel genoß sehr große Privilegien und viele Adelige konvertierten zu den verschiedensten protestantischen Konfessionen. Das Verhältnis der Konfessionen zueinander war eines der beherrschenden innenpolitischen Themen unter König Zygmunt II. August (Kg. 1548-72). Er ließ den Adel und Bürgerschaft gewähren, denn er war der Meinung: „Ich bin nicht der König Eures Gewissens!“ Als der letzte Jagiellone starb, besaßen die Protestanten unter den weltlichen Mitgliedern des Senats die absolute Mehrheit. Bei der folgenden Neugestaltung des Staates hin zur Adelsrepublik schlossen sich die Adeligen zu einer Generalkonföderation zusammen und erließen die sog. „Konföderation von Warschau“ (28.1.1573), die die Gleichstellung aller Konfessionen garantierte, weshalb dieser politische Rechtsakt auch „Warschauer Religionsfriede“ genannt wird (lat. pax dissidentium).
Dieser in der europäischen Geschichte so überaus bedeutsame „Meilenstein der Glaubensfreiheit“ schuf die Basis für die nächste Besiedlungsphase, denn Polen war seither ein Hort der religiösen Toleranz, auch wenn ab 1600 die Jesuiten in Polen zu den Vorkämpfern der Gegenreformation wurden.
Bereits im 16. Jahrhundert erreichten die ersten Glaubensflüchtlinge aus den Reihen der Wiedertäufer und Mennoniten (Flamen und Friesen) das Weichseldelta, das ihrer Heimat im Rheindelta so ähnlich war und durften sich hier nach ihrer angestammten Rechtsform, die in Polen holländisches Recht hieß, ansiedeln. Sie wurden zu gefragten Fachleuten zum Trockenlegen von Sumpfland, so auch im Posener Raum, auch wenn die Techniken inzwischen auch von Pommern, Brandenburgern, Schlesiern u.a. deutschen Stämmen angewandt wurden, so daß der Begriff „Holländer“ für sie falsch ist, weshalb die Preußen später auch den Begriff „Hauländer“ prägten. Vor allem im Dreißigjährigen Krieg flohen bedrohte Protestanten in großer Zahl nach Polen, wo man sie nicht nur gerne aufnahm, sondern auch anwarb. In vielen Grenzstädten wie z. B. in Bomst/ Babimost, Fraustadt/ Wschowa und Tirschtiegel/ Trzciel entstand damals eine Neustadt.
Eine Besonderheit stellen die Posener Bamberger dar, die in Absprache der beiden Bischöfe von Posen und Bamberg nach einem Konzil in das durch die große Pest von 1709/10 verwüstete Posener Umland gerufen wurden, denn sie waren katholisch. Es war hier die Überbevölkerung in Franken, die sie zur Auswanderung zwang. Sie wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Politikum, als die preußische Verwaltung erfuhr, daß sie direkt vor ihren Augen um 1850-70 durch polnische Priester und Lehrer polonisiert worden waren. Bis heute haben sie es schwer mit ihrer Herkunft, mal deutsch, mal polnisch fühlend, aber stets katholisch.
Auch in dieser zweiten Besiedlungsphase fand keine Assimilation statt, aber sie waren in all ihrer Unterschiedlichkeit in den Staat als Untertanen des polnischen Königs integriert. Ein familiäres Verschmelzen der Siedlungsgruppen war auch durch die konfessionellen Unterschiede nicht mehr möglich, so wie einst im Mittelalter.

Assimilation (auch Assimilierung) bezeichnet in der Soziologie das Einander-Angleichen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (bis hin zur Verschmelzung).


Zu betonen ist, daß auch die Glaubensflüchtlinge (Dissidenten genannt) gerufen wurden, selbst von der katholischen Kirche, wie die Hauländersiedlung auf dem Klostergebiet von Obra belegen. Diese Besiedlung ging bis ins 19. Jahrhundert hinein, sogar noch unter preußischer Herrschaft.



Unter preußischer Herrschaft
(1793-1806 und 1815-1920)


Auch unter den Preußen fand bis weit ins 19. Jahrhundert hinein keine gezielte staatliche Ansiedlungspolitik statt. Die Versuche um 1800 Schwaben vor allem in den menschenarmen Gebieten Mittelpolens anzusiedeln, waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein und viele wanderten weiter nach Osten. Ansiedlungspolitik war Privatsache, daher fand sie eine geringe Fortsetzung durch adelige Aufrufe bis ins 19. Jahrhundert.
Eine staatliche Lenkung setzte erst in der Kaiserzeit ein, als bekannt wurde, daß die Posener Bamberger vor den Augen der Verwaltung polonisiert wurden und die Abwanderung in die aufstrebenden Industriegebiete des Westens und nach Übersee das Deutschtum in der Provinz Posen auszubluten drohte.
Aus diesem Grunde wurde am 1.4.1886 die Königlich Preußische Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen gegründet. Summa summarum kann man ihre Tätigkeit dahingehend bewerten, daß sie keinen großen Erfolg und Nachhaltigkeit erzielte. Die Gegenmaßnahmen der national gesonnenen polnischen Kräfte verhinderten den Erfolg ebenso wie die stets wachsende Abwanderung der Deutschen verbunden mit einem verstärkten Bevölkerungswachstum der Polen. Die Ansiedlungskommission wurde nur zu einem wirksamen Instrumentarium der negativen Propaganda gegen die Minderheitenpolitik, die unter dem Schlagwort „Germanisierung“ lief.

Burg Meseritz Viele Kolonisten mußten zudem nach 1919 ihre neue Heimat wieder verlassen, da die Verträge der Ansiedlungskommission in polnischen Besitz übergingen und gekündigt wurden.Die Abwanderung war nach 1886 größer als der Zuzug.
Lediglich eines ist im 19. und frühen 20. Jahrhundert feststellbar, daß es z. T. zu einer Akkulturation polnischer Bevölkerung kam – so wie bei den Posener Bambergern in umgekehrter Weise. Gerade im Grenzgebiet ist es eine verwirrende, aber typische Erscheinung, daß Menschen mit polnischen Familiennamen Deutsche waren und umgekehrt. Ein Blick in die Heimatzeitungen belegt dies und viel stärker war diese Tendenz in den Regionen, in denen katholische Deutsche lebten, denn hier konnten die Familien miteinander verschmelzen.

Akkulturation bezeichnet das Hineinwachsen einer Person in ihre kulturelle Umwelt durch Erziehung.


Der Assimilationsdruck auf die preußischen Polen wuchs seit 1871 stetig an. Nach der Wiederentstehung des polnischen Staates seit 1920 geschah dies in umgekehrter Weise.
Während der Kaiserzeit verließ die preußische Politik in ihren Ostprovinzen die alte preußische Sprachenpolitik der Gleichberechtigung beider Sprachen und Deutsch wurde zur Amtssprache und damit auch zur Schulsprache, während Polnischunterricht weitestgehend abgeschafft wurde. Damit konnte nun jeder Pole im Posener Land zwar Deutsch, aber kaum noch ein Deutscher Polnisch. An die letzte Sprachbastion, den Religionsunterricht ging man 1901 heran, was den sog. Wreschener Schulstreik (in Wreschen/ Wrzesnia, Kreisstadt östlich von Posen) auslöste. Das deutsch-polnische Verhältnisse verschlechterte sich im 19. Jahrhundert immer mehr und führte staatlicherseits zu einer Benachteiligung der polnischen Preußen.
Durch den Verlust des 1. Weltkriegs entstand Polen als Staat neu. Es war ein Jahrtausendwunder, daß alle drei Teilungsmächte zu den Verlierern eines großen Krieges zählten, so daß Polen wieder erstehen konnte. Der Versailler Vertrag (1920) regelte auch die Grenzen Deutschlands zu Polen und der Minderheiten- schutzvertrag, der ursprünglich die Rechte der Juden sichern sollte, betraf auch die vielen Minderheiten in der II. Polnischen Republik (1918-1939). Faktisch wurde dieser sog. Kleine Versailler Vertrag aber nicht wirksam, denn der polnische Staat der Zwischenkriegszeit war kein Rechtsstaat sondern eine Militärdiktatur. Der spätere Ministerpräsident Stanislaw Grabski brachte es 1919 auf den Punkt, als er forderte, Polen solle ein Nationalstaat sein, „so klar wie ein Glas Wasser“.

Und er fügte hinzu: „Wir wollen unsere Beziehungen auf die Liebe stützen, aber es gibt eine andere Liebe für die Landsleute und eine andere für die Fremden. Ihr Prozentsatz bei uns ist entschieden zu hoch... Das fremde Element wird sich umschauen müssen, ob es sich anderswo nicht besser befindet. Das polnische Land ausschließlich für die Polen!“
Die militärischen Erfolge des Staatslenkers Marschall Józef Pilsudski schufen jedoch nach 1920 einen Vielvölkerstaat mit zirka einem Drittel Nichtpolen.
Ziel der Politik war es daher, diese loszuwerden und diese „Verdrängungspolitik“ war erheblich erfolgreicher als die deutsche Minderheitenpolitik der Kaiserzeit. Über eine Millionen Deutsche verließen das Land. Es muß auch gesagt werden, daß es Pilsudski war, der Hitler frühzeitig stoppen wollte. Gemeinsam mit den Franzosen wollte er 1933 einen Angriff auf das 3. Reich starten, doch der erhoffte Alliierte war an einem neuerlichen Krieg nicht interessiert.

Sechs Jahre später war es dann Hitler, der den Angriff auf Polen befahl. Es folgte die allseits bekannte rassistisch- nationalistische Politik im besetzten Polen (1939- 45) als deren Fernziel man die Ausrottung der Polen vermuten kann, zumindest im Posener Land. Wie gut, daß es dazu nicht gekommen ist! Damit sind wir wieder beim Anfangspunkt des Referats angekommen, der Stunde Null der deutschpolnischen Beziehung, die, wie man sieht, keine Stunde Null war, denn es gab auf beiden Seiten noch genügend Menschen mit guten gegenseitigen Erfahrungen und der Bereitschaft zur Aussöhnung und zum gutnachbarschaftlichen Neuanfang.



Dieser Vortrag wurde im Rahmen des 2. Polnisch-Deutschen Seminars in Pszczew / Betsche zur Eröffnung gehalten. Mehr Informationen über das Begegnungs-Seminar finden Sie hier!