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Integrationsprozesse der Ethnien in der ehemaligen Grenzregion bis 1945
Dr. Martin Sprungala
Anläßlich des 2. Polnisch-Deutschen Begegnungsseminar in Pszczew / Betsche am 31.08.2013 hielt Dr. Martin Sprungala diesen Vortrag.
Deutsche und Polen verbindet eine sehr lange Geschichte, eine tausendjährige Nachbarschaft. Auch wenn man aus dem Wissen um die Erfahrungen der letzten zwei Jahrhunderte vermuten könnte, es sei eine schlechte Nachbarschaft gewesen, so stimmt dies nicht. Über den absolut längsten Zeitraum des letzten Jahrtausends war das Verhältnis ein friedliches und gutes. Etwas, was jeden überraschen dürfte, ist, daß der letzte Krieg zwischen dem Deutschen Reich und dem Staat Polen vor dem 2. Weltkrieg der Feldzug von Kaiser Friedrich I. Barbarossa zur Wiedereinsetzung der schlesischen Piasten des Jahres 1157 war.
Spätere Kriege betrafen den Deutschen Orden,
der ein international zusammengesetzter Ordensstaat
war und nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches
deutscher Nation (HRR), oder Teilstaaten des HRR.
Im Jahr 1966 feierte die Volksrepublik Polen ihre
zentrale Millenniumsfeier zur Staatsgründung Polens.
Das Datum war eine politische Aussage und nicht der
reale Akt der Staatsgründung vor 1.000 Jahren. Der Ort
war der Berg Jasna Góra bei Tschenstochau /
Czêstochowa, dem seit dem 17. Jahrhundert heiligsten
Ort Polens. Aber die formal atheistischen Kommunisten
wählten nicht den überlieferten Tag der Taufe des
ersten urkundlich erwähnten polnischen Fürsten Miseco
(= Mieszko I.), den 14. April, sondern den 3. Mai, den
heutigen Verfassungstag, der an die Konstitution vom
3.5.1791 erinnert, die damals fortschrittlichste Verfassung
Europas.
Beides war problematisch, denn die Kommunisten
waren Atheisten, feierten aber nahe des nationalen
Wallfahrtsortes mit der berühmten Schwarzen Madonna
von Tschenstochau, zum anderen waren sie auch
nicht wirklich fortschrittlich und demokratisch, dennoch
wählten sie den 3.5.1966 als Feiertag zum Jubiläum
„1000 Jahre Polen“ (Tysiaclecie Pañstwa Polskiego).
Die katholische Kirche Polens sprach damals
nicht von dem Bestehen des Staates, sondern vom
„Heiligen Jahrtausend für Polen“ (Sacrum Poloniae
Millenium). Dem von der Kirche eingeladenen Papst
Paul VI. verweigerten die Kommunisten die Einreise.
Diejenigen, die in früheren Zeiten eine polnische
Schule besucht haben, werden es wissen, daß man
lehrte, daß im Jahr 966 die Taufe Polens (Chrzest Polski)
stattfand. Nicht aber wurde gelehrt, daß die vollständige
Christianisierung noch sehr viele Jahrzehnte
benötigte.
Das polnisch-deutsche Verhältnis befand sich
damals vor allem bedingt durch den 2. Weltkrieg auf
einem Tiefpunkt, das ist allen bekannt. Kurzgefaßt sei
genannt die grausame, menschenverachtende Politik
des deutschen NS-Regimes, das die polnische Bevölkerung
im besetzten Polen regelrecht versklavte, und
als Folge dessen kam es durch die ebenfalls menschenverachtenden
stalinistischen Kommunisten zur Vertreibung
der z. T. jahrhundertealten deutschen Bevölkerung
aus Polen.
Seither gab es nicht mehr wirklich ein deutschpolnisches
Verhältnis. Es gab zwei deutsche Staaten:
den sozialistischen Bruderstaat DDR, mit dem es seit
1950 das Görlitzer Abkommen gab, in dem die Oder-
Neiße-Linie durch die DDR als „Friedensgrenze“ anerkannt
wurde. Von einem guten brüderlichen Verhältnis
zur DDR konnte jedoch nie die Rede sein und im Ostblock
galt die Bundesrepublik Deutschland als der
revanchistische Hort der US-hörigen Kapitalisten.
Doch zwei Jahrzehnte des Nicht-Verhältnisses änderten nichts an der Tatsache, daß man Nachbar blieb und einen neuen Weg des Miteinanders finden mußte. An dieser Stelle sei ein Zitat Friedrich II. erwähnt: „Man muß im Krieg stets beachten, daß man nach dem Krieg mit dem Nachbarn weiter lebt.“ Und auch das geteilte Deutschland blieb ein Nachbar Polens. Es waren die katholischen Bischöfe Polens, die den Versuch eines Neuanfangs starteten. Am 18.11.1965 schickten sie im Vorfeld der Millenniumsfeier einen Brief an die deutschen Bischöfe mit dem Titel „Wir verzeihen und bitten um Verzeihung“. Dies war ein sehr mutiger und christlicher Schritt und es zeigt sich: Der Neuanfang ist gelungen, wie man heute sieht.
Zehn Jahre danach, im Jahr 1976, gaben führende Vertreter der Landsmannschaft Weichsel-Warthe (LWW), der Organisation der vertriebenen Deutschen aus Polen (Dr. Richard Breyer und Peter Nasarski), zusammen mit einem Polen (der Auslandspole Janusz Piekalkiewicz) ein gemeinsames Buch mit dem Titel „Nachbarn seit tausend Jahren: Deutsche und Polen in Bildern und Dokumenten“ heraus. Das Vorwort schrieb der damals bekannte, aus dem Posener Land stammende Osteuropawissenschaftler Prof. Dr. Gotthold Rhode von der Universität in Mainz.
Es stellt sich nun die Frage: Wie sah der Beginn vor 1000 Jahren aus?
Auch dieser Anfang, der erste urkundlich erwähnte Kontakt, war kriegerischer Natur. In dieser Zeit enstanden unter anderem an den frühen Grenzen Polens erste Wehranlagen, ringförmige, slawische Sandwälle, die auf ihrer Krone mit Palisaden (Pfählen) verstärkt gesichert waren. Im alten Kreis Meseritz finden wir noch heute drei Reste dieser 1000jährigen Zeugen. Später wurden sie mit Steinen und Ziegelmauerwerk verstärkt und mit Türmen bewehrt. In ihrer ursprünglichen Form blieb jedoch keine dieser Anlagen erhalten:
Für das Jahr 962/3 werden Grenzkämpfe der aggressiven
Markgrafen Gero aus der Ostmark und Wichmann
d. Jüngere mit dem polnischen Herrscher
„Miseco“ = Mieszko I., (930-992) erwähnt. Er wurde
dadurch mit Teilen seines Herrschaftsgebiets Vasall des
HRR.
Mieszko I. erkannte die Gefahr, die ihm damit
drohte und suchte nach Verbündeten, nach einem Ausweg
und fand ihn in den christlichen Tschechen/ Böhmen,
die ebenfalls Teil des HRR waren. 965 verbündete
er sich mit ihnen und heiratete die böhmische Prinzessin
Dubrovka (930-977). Die Legenden sind vielfältig,
sei es, daß sie ihn vom Christentum überzeugte,
sei es, daß die Christianisierung zum Abkommen gehörte,
jedenfalls ließ sich Mieszko im Jahr 966 taufen.
Selbst der Ort ist in der Überlieferung umstritten.
Welche Gründe auch immer eine Rolle
gespielt haben, es war ein kluger und gewagter
Schachzug Mieszko I. Christ zu werden, denn damit
war er Teil der abendländischen Gemeinschaft und kein
legitimes Angriffsopfer mehr, wie die Elbslawen oder
später die Pruzzen. Dieser Akt ist durchaus vergleichbar
mit der Taufe des Frankenkönigs Chlodwig I. (466-
511) um 507 (Datum umstritten), der die Christianisierung
nach katholischem Ritus West- und Mitteleuropas
einleitete.
Die Gefahr dieser Taufe Mieszko I. lag im Inneren
seines Reiches, da sich die Herrschaftslegitimation
auf die bisherige heidnische Religion mit ihrem Ahnenkult
bezog. Diese Gefahr wurde in den 1030er Jahren
deutlich, als ein Rückfall ins Heidentum fast das Herrscherhaus
beseitigt hätte, hätte Kaiser Heinrich III. nicht
seinem Verwandten Kazimierz I. Odnowiciel (der Erneuerer)
geholfen seine Macht zu sichern und die
Christianisierung neuerlich zu beginnen.
Seit der Taufe Mieszko I. war der Kontakt zwischen beiden Reichen weitgehend friedlich und es waren vor allem die slawischen Böhmen (Tschechen), aber auch Deutsche, die die Christianisierung Polens vorantrieben. In späterer Zeit wurden Polen und Deutsche nicht nur Nachbarn auf staatlicher Ebene, sondern in größter Nähe, als deutsche Siedler ins Land gerufen wurden. Sichtbar wird das enge deutsch-polnische Verhältnis in der polnischen Sprache. Es soll ca. 10.000 Lehnswörter aus dem Deutschen geben, vor allem im Bereich von Kirche (z. B. Biskup/ Bischof, Proboszcz/ Probst), Verwaltung (Ratusz/ Rathaus, Burmistrz/ Bürgermeister), Siedlung (Markt/ rynek von Ring, Haus/ dom von lat. domus) und Handwerk (Gerber/ garbarz, Ziegel/ ceglar, Maler/ malarz).
Im Gegenzug fanden aber nur sehr wenige Worte
im Deutschen ihre Aufnahme. Es sollen nur ca. 20-30
Wörter sein, wie z. B. Grenze (Granica, und nicht das
damals übliche fränkische Wort „Mark“ setzte sich durch),
Säbel (szabla), Gurke (ogórek) oder „Dalli, dalli“ (von
dalej = weiter, vorwärts).
1. Große Besiedlungsphase
(1240-1350)
Der polnisch-deutsche Kontakt wurde durch die sog. deutsche Ostsiedlung besonders intensiv. Immer wieder zu bemerken ist dabei, daß die deutschen Kolonisten ins Land gerufen wurden. Einen „deutschen Drang nach Osten“ gab es nicht! Es war die Überbevölkerung in Mitteleuropa, die zum Landesausbau und zur Stadtbildung führte und damit weiteres Bevölkerungswachstum schuf. Das Wissen um moderne Techniken und Anbauverfahren wie die Dreifelderwirtschaft machten deutsche Kolonisten im vielfach noch menschenleeren Raum Ostmitteleuropas so begehrenswert. Bereits seit 1200-1250 wurden Pommern (unter der Greifen-Dynastie stehend) und Schlesien (unter den schlesisch-deutschen Piasten) durch Deutsche und Flamen besiedelt. Wenige Jahrzehnte später reagierte auch der polnische Adel auf die Entwicklung in den Nachbarländern und sie machten deutschen Siedlern verlockende Angebote, sich auf ihrem Territorium niederlassen zu können.
Man gewährte den Deutschen ihre Rechtsform,
unter der sie bereits zuhause lebten, denn das sog. polnische
Recht stellte den Untertanen, den Bauern oder
Handwerker weit schlechter. So entstanden überall Siedlung
und Städte nach Deutschem Recht, in den Varianten
des Magdeburger Rechts, des Kulmer Rechts, einer
Variante von ersterem auf dem Gebiet des Deutschen
Ordens und auch in den angrenzenden Gebieten
oder des Neumarkter Rechts, der schlesischen Variante,
die bis nach Polen hinein verbreitet war.
Das älteste Stadtrecht für einen Ort in Großpolen
findet man bei der Erhebung von Strelno (Strzelno) zur
Stadt im Jahr 1231. Viele Urkunden gingen im Laufe der
Jahrhunderte verloren, so auch die von Meseritz
(Miêdzyrzecz), das vor 1248 das Stadtrecht erhielt.
1253 wurde auch die Landeshauptstadt Posen
(Poznañ) nach Magdeburger Recht neu gegründet.
Einhundert Jahre später erreichte das deutsche Stadt-recht auch die ukrainische Stadt Lemberg (1356), die später zum Königreich Polen-Litauen gehörte. Im Posener Land erhielten im Laufe der Jahrhunderte der Ansiedlung 173 Städte das deutsche Stadtrecht. Davon verloren 69 das Stadtrecht wieder, weil sie sich nicht entwickelten oder zurückentwickelt hatten. Vier davon verloren den Stadtstatus bereits in altpolnischer Zeit, vor den Teilungen, 23 seit 1920.
Die Einwohnerzahl in der Verwaltungseinheit
Großpolen (Wielkopolska) wird um 1200 auf 200.000
Menschen geschätzt. Um 1350 sollen es ca. 300.000
gewesen sein. Dieses Wachstum rührte nur zum Teil
von einer natürlichen Steigerung her, sondern vor allem
durch den Zuzug von Kolonisten. D. h. jeder 3. bis 4
Einwohner des Posener Landes war zum Ende des Mittelalters
deutscher Herkunft.
Die Ansiedlung in den Städten erfolgte zumeist
über sogenannte Lokatoren, heute würde man sagen
Ansiedlungsunternehmer. Auch auf dem Lande waren
solche Fachleute tätig, vor allem im Auftrag von Klöstern,
denen der polnische Adel Land zur Gründung von
Filialen stiftete. In dem Grenzgebiet waren es vor allem
die Zisterzienser, die Klöster in Blesen (Bledzew, Kr.
Schwerin a. W.), Paradies (Paradyz, Kr. Meseritz), Obra
(Obra, Kr. Bomst) und Priment (Przemêt, Kr. Bomst, heute
Wollstein) gründeten. Die Besonderheit die dieser
Bevölkerung war, daß sie deutschsprachig und katholisch
war - bis zuletzt.
Wie sah es mit der Integration aus? Ja, die
deutschen Kolonisten waren integriert, treue Untertanen
des polnischen Königs und ihrer adeligen Grundherren.
Aber es war keine Assimilation. Sie lebten in
eigenen Siedlungsgebieten mit ihrer eigenen Rechtsform,
d. h. sie hatten ihre eigene Lebensform, Kultur
und Sprache. In jener Zeit entstand der Begriff „Niemcy“
für Deutsche, von dem Wort „stumm“, weil die Siedler
stumm waren, d. h. kein Polnisch konnten.
In der Literatur findet man immer wieder die Erläuterung,
daß dieses mittelalterliche Deutschtum bis
zum 16. Jahrhundert untergegangen ist. Die Kolonisation
endete fast schlagartig mit dem ersten Auftreten der
Pest in Europa, der ein gewaltiger Anteil der Bevölkerung
erlag. Damit war für sehr lange Zeit kein
Bevölkerungswachstum mehr vorhanden und damit
auch keine Kolonisation.
Viele deutsche Siedlungen waren klein und befanden
sich in Streulagen, so daß es nun doch zur Assimilation
kam, d. h. zur Vermischung der Bevölkerungsgruppen
und auch der sprachlichen Anpassung
der Deutschen, zumal seit der Zeit König Wladyslaw I.
Lokietek der staatliche Druck wuchs, da in Polen die
Angst vor einer deutschen Vormachtstellung auch im
eigenen Landes wuchs. In dieser Zeit wechselte in vielen
Orten die Schriftsprache vom Deutschen ins Lateinische
und Polnische.
2. Besiedlungsphase
(1600-1750 und später)
Es ist vielen wenig bekannt, daß Polen Anfang des 16.
Jahrhunderts eines der führenden Länder im Bezug auf
die Reformation war. Der Adel genoß sehr große Privilegien
und viele Adelige konvertierten zu den verschiedensten
protestantischen Konfessionen. Das Verhältnis
der Konfessionen zueinander war eines der beherrschenden
innenpolitischen Themen unter König
Zygmunt II. August (Kg. 1548-72). Er ließ den Adel und
Bürgerschaft gewähren, denn er war der Meinung: „Ich
bin nicht der König Eures Gewissens!“
Als der letzte Jagiellone starb, besaßen die Protestanten
unter den weltlichen Mitgliedern des Senats
die absolute Mehrheit. Bei der folgenden Neugestaltung
des Staates hin zur Adelsrepublik schlossen sich die
Adeligen zu einer Generalkonföderation zusammen und
erließen die sog. „Konföderation von Warschau“
(28.1.1573), die die Gleichstellung aller Konfessionen
garantierte, weshalb dieser politische Rechtsakt auch
„Warschauer Religionsfriede“ genannt wird (lat. pax
dissidentium).
Dieser in der europäischen Geschichte so
überaus bedeutsame „Meilenstein der Glaubensfreiheit“
schuf die Basis für die nächste Besiedlungsphase, denn
Polen war seither ein Hort der religiösen Toleranz, auch
wenn ab 1600 die Jesuiten in Polen zu den Vorkämpfern
der Gegenreformation wurden.
Bereits im 16. Jahrhundert erreichten die ersten
Glaubensflüchtlinge aus den Reihen der Wiedertäufer
und Mennoniten (Flamen und Friesen) das Weichseldelta,
das ihrer Heimat im Rheindelta so ähnlich war
und durften sich hier nach ihrer angestammten Rechtsform,
die in Polen holländisches Recht hieß, ansiedeln.
Sie wurden zu gefragten Fachleuten zum Trockenlegen
von Sumpfland, so auch im Posener Raum, auch wenn
die Techniken inzwischen auch von Pommern, Brandenburgern,
Schlesiern u.a. deutschen Stämmen angewandt
wurden, so daß der Begriff „Holländer“ für
sie falsch ist, weshalb die Preußen später auch den
Begriff „Hauländer“ prägten.
Vor allem im Dreißigjährigen Krieg flohen bedrohte
Protestanten in großer Zahl nach Polen, wo man sie
nicht nur gerne aufnahm, sondern auch anwarb. In vielen
Grenzstädten wie z. B. in Bomst/ Babimost, Fraustadt/
Wschowa und Tirschtiegel/ Trzciel entstand
damals eine Neustadt.
Eine Besonderheit stellen die Posener
Bamberger dar, die in Absprache der beiden Bischöfe
von Posen und Bamberg nach einem Konzil in das durch
die große Pest von 1709/10 verwüstete Posener Umland
gerufen wurden, denn sie waren katholisch. Es war
hier die Überbevölkerung in Franken, die sie zur Auswanderung
zwang. Sie wurden im ausgehenden 19.
Jahrhundert zum Politikum, als die preußische Verwaltung
erfuhr, daß sie direkt vor ihren Augen um 1850-70
durch polnische Priester und Lehrer polonisiert worden
waren. Bis heute haben sie es schwer mit ihrer Herkunft,
mal deutsch, mal polnisch fühlend, aber stets
katholisch.
Auch in dieser zweiten Besiedlungsphase fand keine Assimilation statt, aber sie waren in all ihrer Unterschiedlichkeit in den Staat als Untertanen des polnischen Königs integriert. Ein familiäres Verschmelzen der Siedlungsgruppen war auch durch die konfessionellen Unterschiede nicht mehr möglich, so wie einst im Mittelalter.
Assimilation (auch Assimilierung) bezeichnet in der Soziologie das Einander-Angleichen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (bis hin zur Verschmelzung). |
Zu betonen ist, daß auch die Glaubensflüchtlinge (Dissidenten
genannt) gerufen wurden, selbst von der katholischen
Kirche, wie die Hauländersiedlung auf dem
Klostergebiet von Obra belegen.
Diese Besiedlung ging bis ins 19. Jahrhundert
hinein, sogar noch unter preußischer Herrschaft.
Unter preußischer Herrschaft
(1793-1806 und 1815-1920)
Auch unter den Preußen fand bis weit ins 19. Jahrhundert
hinein keine gezielte staatliche Ansiedlungspolitik
statt. Die Versuche um 1800 Schwaben vor allem
in den menschenarmen Gebieten Mittelpolens anzusiedeln,
waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein
und viele wanderten weiter nach Osten.
Ansiedlungspolitik war Privatsache, daher fand
sie eine geringe Fortsetzung durch adelige Aufrufe bis
ins 19. Jahrhundert.
Eine staatliche Lenkung setzte erst in der Kaiserzeit
ein, als bekannt wurde, daß die Posener Bamberger
vor den Augen der Verwaltung polonisiert wurden und
die Abwanderung in die aufstrebenden Industriegebiete
des Westens und nach Übersee das Deutschtum in
der Provinz Posen auszubluten drohte.
Aus diesem Grunde wurde am 1.4.1886 die Königlich
Preußische Ansiedlungskommission für Posen
und Westpreußen gegründet. Summa summarum kann
man ihre Tätigkeit dahingehend bewerten, daß sie keinen
großen Erfolg und Nachhaltigkeit erzielte. Die Gegenmaßnahmen
der national gesonnenen polnischen
Kräfte verhinderten den Erfolg ebenso wie die stets
wachsende Abwanderung der Deutschen verbunden mit
einem verstärkten Bevölkerungswachstum der Polen.
Die Ansiedlungskommission wurde nur zu einem
wirksamen Instrumentarium der negativen Propaganda
gegen die Minderheitenpolitik, die unter dem Schlagwort
„Germanisierung“ lief.
Viele Kolonisten mußten zudem nach 1919 ihre
neue Heimat wieder verlassen, da die Verträge der Ansiedlungskommission
in polnischen Besitz übergingen
und gekündigt wurden.Die Abwanderung war nach 1886
größer als der Zuzug.
Lediglich eines ist im 19. und frühen 20. Jahrhundert feststellbar, daß es z. T. zu einer Akkulturation polnischer Bevölkerung kam so wie bei den Posener Bambergern in umgekehrter Weise. Gerade im Grenzgebiet ist es eine verwirrende, aber typische Erscheinung, daß Menschen mit polnischen Familiennamen Deutsche waren und umgekehrt. Ein Blick in die Heimatzeitungen belegt dies und viel stärker war diese Tendenz in den Regionen, in denen katholische Deutsche lebten, denn hier konnten die Familien miteinander verschmelzen.
Akkulturation bezeichnet das Hineinwachsen einer Person in ihre kulturelle Umwelt durch Erziehung. |
Der Assimilationsdruck auf die preußischen Polen wuchs seit 1871 stetig an. Nach der Wiederentstehung des polnischen Staates seit 1920 geschah dies in umgekehrter Weise.
Während der Kaiserzeit verließ die preußische
Politik in ihren Ostprovinzen die alte preußische
Sprachenpolitik der Gleichberechtigung beider Sprachen
und Deutsch wurde zur Amtssprache und damit
auch zur Schulsprache, während Polnischunterricht weitestgehend
abgeschafft wurde. Damit konnte
nun jeder Pole im Posener Land zwar
Deutsch, aber kaum noch ein Deutscher Polnisch.
An die letzte Sprachbastion, den
Religionsunterricht ging man 1901 heran,
was den sog. Wreschener Schulstreik (in
Wreschen/ Wrzesnia, Kreisstadt östlich von
Posen) auslöste. Das deutsch-polnische
Verhältnisse verschlechterte sich im 19.
Jahrhundert immer mehr und führte
staatlicherseits zu einer Benachteiligung der
polnischen Preußen.
Durch den Verlust des 1. Weltkriegs
entstand Polen als Staat neu. Es war ein
Jahrtausendwunder, daß alle drei Teilungsmächte
zu den Verlierern eines großen Krieges
zählten, so daß Polen wieder erstehen
konnte. Der Versailler Vertrag (1920) regelte
auch die Grenzen Deutschlands zu Polen und der Minderheiten-
schutzvertrag, der ursprünglich die Rechte
der Juden sichern sollte, betraf auch die vielen Minderheiten
in der II. Polnischen Republik (1918-1939). Faktisch
wurde dieser sog. Kleine Versailler Vertrag aber
nicht wirksam, denn der polnische Staat der Zwischenkriegszeit
war kein Rechtsstaat sondern eine Militärdiktatur.
Der spätere Ministerpräsident Stanislaw Grabski
brachte es 1919 auf den Punkt, als er forderte, Polen
solle ein Nationalstaat sein, „so klar wie ein Glas
Wasser“.
Und er fügte hinzu: „Wir wollen unsere Beziehungen auf die Liebe stützen, aber es gibt eine andere Liebe für die Landsleute und eine andere für die Fremden. Ihr Prozentsatz bei uns ist entschieden zu hoch... Das fremde Element wird sich umschauen müssen, ob es sich anderswo nicht besser befindet. Das polnische Land ausschließlich für die Polen!“
Die militärischen Erfolge des Staatslenkers Marschall Józef Pilsudski schufen jedoch nach 1920 einen Vielvölkerstaat mit zirka einem Drittel Nichtpolen.
Ziel der Politik war es daher, diese loszuwerden und
diese „Verdrängungspolitik“ war erheblich erfolgreicher
als die deutsche Minderheitenpolitik der Kaiserzeit. Über
eine Millionen Deutsche verließen das Land.
Es muß auch gesagt werden, daß es Pilsudski
war, der Hitler frühzeitig stoppen wollte. Gemeinsam mit
den Franzosen wollte er 1933 einen Angriff auf das 3.
Reich starten, doch der erhoffte Alliierte war an einem
neuerlichen Krieg nicht interessiert.
Sechs Jahre später war es dann Hitler, der den Angriff
auf Polen befahl. Es folgte die allseits bekannte rassistisch-
nationalistische Politik im besetzten Polen (1939-
45) als deren Fernziel man die Ausrottung der Polen
vermuten kann, zumindest im Posener Land. Wie gut,
daß es dazu nicht gekommen ist!
Damit sind wir wieder beim Anfangspunkt des
Referats angekommen, der Stunde Null der deutschpolnischen
Beziehung, die, wie man sieht, keine Stunde
Null war, denn es gab auf beiden Seiten noch genügend
Menschen mit guten gegenseitigen Erfahrungen
und der Bereitschaft zur Aussöhnung und zum gutnachbarschaftlichen
Neuanfang.
Dieser Vortrag wurde im Rahmen des 2. Polnisch-Deutschen Seminars in Pszczew / Betsche zur Eröffnung gehalten. Mehr Informationen über das Begegnungs-Seminar finden Sie hier!
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