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ZEITZEUGENBERICHTE
Jugendbewegungen in Meseritz
von Elisabeth Laubner (1995)
Ich bin bis 1933 Mitglied in der zuletzt den Namen tragenden Freischar junger Nation gewesen, gehörte aber von 1930 1933 keiner Gruppe mehr an, da ich nach dem Abitur meinen Heimatort Meseritz / Grenzmark Posen- Westpreußen verließ und vom neuen Heimatort Osterode / Harz an verschiedenen Universitäten Religion, Deutsch und Latein studierte.
Die älteste Jugendbewegung ist der Wandervogel,
der schon vor dem 1. Weltkrieg unter dem Motto:
zurück zur Natur, zum einfachen Leben, gegen das
Spiessbürgertum, gegen materialistische Welteinstellung,
für die Pflege des Volksstums wie Volkstanz
und Volkslied (Zupfgeigenhansl) war.
Es gab gewisse Tendenzen der Romantik Anfang
des 19. Jahrhunderts, „Wer die blaue Blume finden will,
der muß ein Wandervogel sein“. Der Idealismus des
Wandervogeldichters Walter Flex ist kennzeichnend für
seine Einstellung. Er sah noch einen Sinn darin, sein
Leben einzusetzen für das, was ihm lieb und wert war.
Der 1. Weltkrieg brachte zum Teil eine Entillusionierung,
eine herbe Enttäuschung und auch bei großen Teilen
der Bevölkerung Kummer über den Verlust der Monarchie
und vor allem über den Verlust weiter Gebiete nach
Versailles. Das Nationalgefühl war schwer angeknackst,
wobei man sagen muß, daß normales Nationalgefühl,
Volk, Heimat und Vaterland noch nicht Begriffe waren,
die negativ besetzt waren und durch eine Überstrapazierung
im 3. Reich entwertet und verdächtig
waren.
Etymologisch hängt Volk mit Wortstämmen von
„voll“ und „viel“ zusammen. Im Humanismus wurde unter
Volk dann unser heutiger Begriff verstanden: Menschen,
die durch gemeinsame Sprache, Herkunft und
Kultur zusammenhängen. In der Romantik kamen wie
gesagt die Begriffe wie Volkslied, Volkstanz, Volksmärchen
dazu, die dann kennzeichnend für die Identität
eines Volkes waren.
Eine negative Entwicklung setzt bei dem Dichter Bogislaw v. Selchow ein: „Ich bin geboren, deutsch zu fühlen, bin ganz auf deutsches Denken eingestellt, erst kommt mein Volk dann die anderen vielen, erst meine Heimat, dann die Welt.“ Da sind schon Ansätze von Selbstüberschätzung und Rassismus. Mehr Unheil hat fast noch, da anspruchsvoller als der Selchowvers, Emanuel Geibel im 19. Jahrhundert mit dem Wort: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ angerichtet. Dieser Hochmut hat den Blick für Selbstkritik verstellt.
Doch zurück zur Jugendbewegung. Nach dem 1.
Weltkrieg formten sich neben Wandervogel und Adler
und Falken neue Jugendbünde; in Erinnerung sind mir
Pfadfinder, Freischaren und unser Bund, der sich 1922,
als ich nach Meseritz kam, deutschnationaler Jugendbund
nannte und noch eine Affinität zur deutsch-nationalen
Volkspartei hatte. Er löste sich ganz schnell von
der Partei und seinem Namen, nannte sich Großdeutscher
Jugendbund und schlug sich ins parteilich nicht
gebundene Lager der bündischen Jugend. Politisch
machte sich in der bündischen Jugend, auch in unserem
Bund, ein Antiamerikanismus breit, man wollte nicht
überfremdet werden und die persönlichen Eigenheiten
des eigenen Volkes bewahren in Pflege von Volkslied,
Volkstanz und vor allem der Verbindung zur Natur und
zum einfachen Leben und gegen alle Spiessbürgerlichkeit.
Wir durften keine Schulfeste mitmachen, nicht
amerikanische Tänze wie Jimmy und Foxtrott tanzen
und bildeten so eine Gruppe für uns. Das züchtete einen
gewissen moralischen Hochmut und Pharisäismus,
der mich als Studentin aus der Gruppe entfernte; und
ich trauere so manchen entgangenen harmlosen
Jugendfreuden noch heute nach und finde diese Strenge
und Abgrenzung nicht gut.
Absolut verpönt waren Alkohol und Rauchen. Übrigens machte sich auch ein stark christlicher Einfluß bemerkbar, viele unserer Bundesbrüder wurden Pastoren und gehörten nachher zur Bekennenden Kirche. Unserem Bundesführer Admiral v. Trotha, der uns bis 1933 von sämtlichen politischen Einflüssen fernhielt, ist nachher verübelt worden, daß er auf dem letzten Bundestag, ich glaube 1934, in der Lüneburger Heide die Freischar junger Nation, wie unser Bund zuletzt hieß, in die HJ überführte. Ob freiwillig oder unter Druck weiß ich nicht mehr. Ich war damals der Jugendbewegung entwachsen und hatte andere Interessen.
Aber noch etwas zur Arbeit in der bündischen Jugend. Sie bestand aus Heimabenden, Fahrten und Musik und Volkstanzabenden. An den Heimabenden wurde gesungen, vorgelesen, gebastelt. Was wir lasen, weiß ich nur noch dunkel: Lely Kempin, „Die Heilige Insel“ (daher kam auch unsere Festtracht, das Inselkleid: Bunte Bluse, weißer Nesselrock). Sonst sollte man schlicht und stoffgerecht angezogen sein, Indanthrenstoffe im Sommer, Beiderwand im Winter (kratzte schrecklich). Ansonsten: Gertrud Prellwitz, „Drude“, Walter Flex „Wallensteins Antlitz“, Das Lichtgebet des Malers Fidus. Auf Fahrten zogen Jungs und Mädchen gemeinsam mit Rucksack, Affen und Kochtopf, draußen wurde eine Feuerstelle gebaut und abgekocht, sehr oft brannte es an.
Dann gab es Sport und
Schwimmen in den
Seen, die Jungen
machten manchmal
sportliche Geländespiele,
von paramilitärischer
Ausbildung keine
Spur, nur sportliches
Speerwerfen.
Meinen eigenen Speer
brachte ich 1928 noch nach Osterode mit und übte auf Ebrechts Wiese, wo
damals noch keine Häuser standen.
Das Schönste im Jahr war der Bundestag zu
Pfingsten, wo alle Gruppen aus ganz Deutschland zusammenkamen;
anschließend gab es eine achttägige
Wanderung. Mein erster Bundestag war 1924 auf dem
Ludwigstein. Anschließend eine Wanderung durchs
Werratal bis Eisenach. Der nächste war 1925 auf der
Flossenburg bei Weiden, Oberpfalz.
Da tanzte unsere Meseritzer Mädchengruppe mit
Kornblumenkränzen im Haar und weißen Nesselkleidern
zum Lied „Großer Gott wir loben dich“. Ich durfte
nicht mittanzen, weil ich zu ungraziös und jungenhaft
war! Geführt wurden die Gruppen von etwas älteren,
etwa 18jährigen Jugendlichen. Manchmal machten auch
verständnisvolle Mütter (z.B. Mutter Susanne) mit.
Meine Großmutter fand das Jugendleben herrlich und
bedauerte sehr, daß es in ihrer Jugend keine Jugendgruppen
gegeben hatte. Aus diesem Bericht läßt sich
ersehen, daß wir eigenständig waren, nicht für irgendetwas
mißbraucht wurden oder Vorläufer für die Nazis
waren.
Das Erbe der bündischen Jugend hat mir geholfen,
Schulfahrten sinnvoll und inhaltsreich zu gestalten,
Abende in der Jugendherberge mit Inhalt zu füllen. Die
Schüler danken mir diese Erlebnisse noch heute.
Nur noch ein Wort dazu, wie heute oft „wissenschaftlich“
an Zeitbeurteilung herangegangen wird. Oft
ist die Objektivität einer pragmatischen Geschichtsbetrachtung
nicht mehr gegeben. Der Wissenschaftler
projiziert seine persönliche Einstellung in das Ergebnis,
weiß von vornherein, was er finden möchte und
muß und ist dadurch nicht mehr in der Lage, ein Bild
der Dinge zu geben, wie sie wirklich waren.
Das war wirklich zu unserer Zeit anders, wo völlig
vorurteilsfrei an die Studien und Ergebnisse heragegangen wurde. Der junge Student glaubt seinen Professoren,
sie wissen mehr als er, aber er manipuliert
sie doch in seine Richtung. Das ist eine Gefahr für die
vorurteilsfreie Wissenschaft. Natürlich gibt es verschiedene
Sichtweisen und auch verschiedene Ergebnisse,
was wir ja bei den wissenschaftlichen Gutachten oft
genug erkennen können, aber sie sollten aus den Ergebnissen
der Forschung und nicht aus einer oft fanatisch
fixierten politischen Einstellung kommen.
Sicher werden bei meinem Bericht nur zaghafte
Ansätze einer Kritik zu spüren sein, aber wir haben es
noch erlebt wie anders es in der bündischen Jugend
war als nachher in der HJ. Woher die große Anfangszustimmung
für die NSDAP kam? Das in seinem Nationalgefühl
verletzte Volk hoffte die nationale Identität
wiederzufinden. Zu welch fürchterlichen Auswirkungen
das führte, haben die meisten auch echte Idealisten
erst nach dem Kriegsende erfahren. Es nicht rechtzeitig
gemerkt zu haben, ist unser aller Schuld, aber es
berechtigt nicht dazu, alles was vorher lag in Grund und
Boden zu verdammen.
Ich hoffe, dieser Erinnerungsbericht hilft ein
bißchen, die Vergangenheit zu verstehen.
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