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Die Polen und der 1. Weltkrieg
Dr. Martin Sprungala
Polen und der 1. Weltkrieg, da wird sich jeder
kundige Leser fragen, was das bedeutet, denn
1914 gab es kein Polen als politischer Staat. Daher
heißt dieser Aufsatz auch „Die Polen und der
1. Weltkrieg“, denn beteiligt waren auch sie alle
daran, als deutsche, russische oder österreichisch-
ungarische Untertanen, sogar als Auslandspolen
in den Heeren der alliierten Mächte.
Die politische Lage in Europa vor 1914
Seit vielen Jahren bereits schlitterte Europa von
einer Krise in die nächste. Eine „Krieg-in-Sicht“-
Krise folgte der nächsten.
Die Reichseinigung Deutschlands in drei
sog. Einigungskriegen (1864 Deutsch-Dänischer
Krieg, 1866 Österreichisch-Preußischer Krieg
und 1870/71 Deutsch-Französischer Krieg)
brachte das seit dem Wiener Kongreß bestehende
Gleichgewicht der Mächte, der seit langem
bestehenden Pentarchie, der Herrschaft der fünf
europäischen Großmächte (Großbritannien,
Frankreich, Österreich-Ungarn, Preußen/ später
Deutschland und Rußland) durcheinander, da
nun das vereinte Deutsche Reich als zu mächtig
betrachtet wurde und der letzte Einigungskrieg
zudem zur „deutsch-französischen Erbfeindschaft“
geführt hatte.
Der französische Revanchegedanke bereitete
deutschen Politikern seither größte Probleme,
da dem Deutsche Reich durch seine Mittellage
in Europa ein Zweifrontenkrieg drohte.
Bereits im Jahr 1875 kam es zur ersten Kriegsgefahr,
der sog. Krieg-in-Sicht-Krise, weil Frankreich
nach dem Abzug der deutschen Besatzungstruppen
(1873) schnell wieder erstarkt war und mit der Wiederaufrüstung
begonnen hatte, was publizistisch
heiß diskutiert wurde, und sich zu einer diplomatischen
Krise entwickelte.
Bismarck konnte beschwichtigen, doch nach
seinem Abgang aus der Politik forcierte Kaiser
Wilhelm II. eine aggressive Außenpolitik, die
Deutschland isolierte und die anderen Großmächte
geradezu in ein Bündnis, in die Entente, trieb.
Die Jahre vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs
waren geprägt von diplomatischen Krisen, Kolonialund
Stellvertreterkriegen. Wie die neuen Publikationen
zum Weltkrieg belegen, stolperten alle europäischen
Mächte in diesen Krieg hinein und träumten
von großen Siegen und Gewinnen.
Die Abrechnung nach 1918, vor allem durch
Wirtschaftswissenschaftler, ist bezeichnend. Sie stellen
fest, was auch logisch ist, daß keine Großmacht
wirtschaftlich gewonnen hatte, daß der Verlust an
Menschenleben und Material sowie der totale Zusammenbruch
der Wirtschaft und die Kosten für die
Kriegsführung gewaltig waren. Hier war nichts zu
gewinnen!
Die Faschoda-Krise (1898) stellte den Höhepunkt
der kolonialen Streitigkeiten zwischen Frankreich
und Großbritannien im sog. Wettlauf um Afrika
dar. Im Sudanvertrag einigten sich beide Großmächte
und steckten ihre kolonialen Interessengebiete
ab.
Dieses Abkommen gilt heute als wichtige Voraussetzung
für das folgende Abstecken der Interessen
beider Mächte auch in Europa, der Entente
cordiale (1904), zumal Deutschland durch seine
Sympathien für die Buren im Burenkrieg in Südafrika
(1899-1902) das deutsch-englische Verhältnis
erheblich gestört hatte, hinzu kam die deutsche
Flottenpolitik.
Der Sudanvertrag und die dadurch entstandenen
Ängste in Deutschland waren Auslöser für
die 1. Marokkokrise (1905/06). Weitere Krisen folgten:
die 2. Marokko-Krise (1911), der 1. und 2.
Balkankrieg (1912/13) u. v. a. m. Das imperialistische Verhalten aller Staaten jener Zeit führte zu zwei großen Bündnisblöcken: die Mittelmächte um Deutschland und Österreich und die Entente-Mächte um England, Frankreich und Rußland.
Europa erwies sich damals als unfähig, seine
Krisen friedlich zu lösen und stolperte in einen
großen Krieg, von dem alle unsinnigerweise glaubten,
er werde zu einem schnellen Sieg führen.
Die polnische Frage als
europäische Frage
Europa hatte viele offene nationale Fragen. Erst
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden
die großen Staaten Deutschland (1871)
und Italien (1861).
Auf dem Balkan kämpften die Völker um ihre
Eigenständigkeit und Freiheit vom Osmanischen
Reich, aber inmitten in der Interessensphären von
Österreich-Ungarn und Rußland.
In Ostmitteleuropa war die polnische Frage
das Hauptproblem. Seit den Teilungen Polen (1772,
1793, 1795), die im Wiener Kongreß (1815) erneuert
wurde, stand der Wunsch der Polen nach
einem eigenen Staat im politischen Raum. Mit dem
Aufstand des Kosciuszko (1794) begann der Widerstand
gegen die drei Teilungsmächte Rußland,
Preußen und Österreich.
Ein wichtiger Verbündeter war bereits zu jener
Zeit Frankreich, daher haben die Polen Napoleon
noch heute in bester Erinnerung, auch wenn
es de facto dazu wenig Anlaß gibt.
Bereits in der deutschen Reichseinigungsphase
protestierten polnische Politiker und Abgeordnete
gegen den Anschluß der einst polnischen
Gebiete an das Deutsche Reich, aber erfolglos.
Das Reich von 1871 war ein Staatenbund
und Preußen wurde der wesentliche Teil dieses
Bundes. Zudem gab es noch kein Völkerrecht,
keinen Völkerbund oder Vereinte Nationen, die sich
für die Rechte der nicht staatlich organisierten
Völker einsetzen konnte.
Mit der Reichseinigung wurde es jedem national
orientierten Polen klar, daß die Wieder- erstehung
Polens in noch weitere Ferne gerückt war als zuvor.
In mehreren Aufständen (1830, 1846, 1848,
1863) hatten die Polen vergeblich versucht, sich
von der Übermacht der drei Teilungsmächte zu befreien.
Daß eine Situation eintreten würde, in der
alle drei Teilungsmächte als Verlierer da stehen
würden, war nicht vorstellbar gewesen, denn stets
stand mindestens eine dieser europäischen Großmächte
auf der politisch-militärischen Gegenseite.
Daß die polnische Frage einer Lösung bedurfte,
war auch den Mittelmächten Deutschland
und Österreich-Ungarn klar. Bereits im Jahr 1916
riefen sie ein indifferentes Königreich Polen aus,
dessen Grenzen weder umrissen waren, noch
deren Herrscher bestimmt war. Aus diesem geplanten
Vasallenstaat auf ehemals russischem
Herrschaftsgebiet entwickelte sich die Organisationszelle
für die Wiederentstehung Polens
nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte im
Jahr 1918.
Die Polen hofften bereits seit Adam
Mickiewicz`(1798-1855) Worten zu diesem Thema
auf den „Allgemeinen Krieg“ zur Lösung der
Polen-Frage. Daß man dies 1914 nicht für realistisch
ansah, merkt man daran, wie wenig einig man
sich beim kommenden Vorgehen war, wie wenig
vorbereitet man letztlich bei Kriegsende 1918 war.
Die polnischen nationalen Kräfte entwickelten
zwei sehr unterschiedliche „Reichsideen“ für
ein wiedererstandenes Polen. Zum einen war da
die Gruppe unter der Leitung von Roman Dmowski
(1864-1939), die die piastische Reichsidee vertrat.
Sie wollte ein Polen in den Grenzen des mittelalterlichen
Piastenstaates, d. h. bis zur Oder. Die
genaue Grenzziehung gen Westen wurde dabei
sehr unterschiedlich gesehen.
Die zweite Reichsidee war die von Józef
Pilsudski (1867-1935) vertretene jagiellonische
Reichsidee eines polnischen Staates wie er z. Zt.
der Teilung existiert hatte. Das Schlagwort „vom
Meer bis zum Meer“ machte bei ihnen die Runde;
gemeint waren das Baltische Meer (= Ostsee) und
das Schwarze Meer. Ethnisch reine Gebiete entstanden
so weder für die eine, noch für die andere
Gruppe.
Nach dem 1. Weltkrieg waren beide Gruppen
im wiederentstehenden Polen aktiv: Pilsudski
als Machthaber im russischen und österreichischen
Teilungsgebiet, als oberster Militärchef,
als Marschall von Polen, und Dmowski als polnischer
Verhandlungsleiter bei den Friedensverhandlungen
in Versailles.
Polen als Soldaten
an allen Fronten, auf allen Seiten
Der 1. Weltkrieg ist in Polen bis heute eigentlich
kein Thema er ist ein vergessener und verdrängter
Krieg. Wenn man durch das Posener Land reist,
findet man massenhaft Denkmäler für den Großpolnischen
Aufstand von 1918/19 und seine Opfern.
Man errichtet sie heute sogar auf dem Gebiet,
daß 1920 bei Deutschland blieb und versucht
irgendeine Legitimation dafür ausfindig zu machen
bzw. zu konstruieren.
Doch für die polnischen Opfer dieses Völkerschlachtens
gibt es nur sehr, sehr wenige
Erinnerungsorte. Das einzige wirklich polnische
Denkmal für die Opfer des 1. Weltkriegs fand ich
in der 1914 schon fast rein polnischen Gemeinde
Weine (Wijewo, damals Kr. Fraustadt, seit 1920
Kr. Lissa/ Leszno). 40 Namen des damals 1.078
Einwohner zählenden Dorfes und Gutes sind darauf
zu lesen und nur ein Name ist eindeutig
deutsch: H. Bierwagen. In Weine gab es zudem
polnische Familien mit deutschem Namen wie
Schmidt.
Denkmäler für Weltkriegsopfer fand ich ansonsten
nur in ehemals deutschen Kirchen auf polnischem
Staatsgebiet von 1920-39, wie in Wollstein
(Wolsztyn). Oder auf deutschem Staatsgebiet, so
wie in Meseritz (Miedzyrzecz) oder in der katholischen
Erzengel-Michael-Kirche in Schussenze
(Ciosaniec, Kr. Bomst), wo der Probst Remigiusz
Król bei den Renovierungen in den 1990er Jahren
unter dem Putz alte gemalte Gefallenentafeln mit
deutschen und polnischen Namen fand und sie
wiederherstellen ließ.
Polen als Staat gab es 1914 nicht und die
Polen, die in ihrer Heimat lebten, waren russische,
deutsche oder österreichische Untertanen und
wurden als solche auch zum Militär eingezogen.
Trotz allen Suchens ließ sich keine Zahl polnischer
Kriegsverluste im 1. Weltkrieg finden. Insgesamt
fielen ca. 10 Millionen Soldaten und es starben
ca. 7 Millionen Zivilisten kriegsbedingt. Darunter
dürfte sich ein enorm hoher Anteil Polen befinden,
der vielleicht die Millionengröße erreicht.
Dennoch gibt es keine Denkmäler für sie.
Allein die folgenden Verluste der Entstehungskämpfe
für das Wiedererstandene Polen im Polnisch-
Sowjetischen Krieg (1919-21) werden auf
etwa 202.000 gefallene Soldaten geschätzt, hinzu
kommen die zivilen Opfer.
Bereits während des Krieges bereiteten führende
polnische Vertreter die Wiedererstehung
ihres Staates vor, wobei die Aussichten auf Erfolg
wie geschildert eher als schlecht zu bewerten
waren und dennoch geschah das „Jahrtausendwunder“
der polnischen Geschichte.
Die Bilder von kriegsbegeisterten Freiwilligen auf
allen Seiten sind bekannt. Wenigen bekannt sein
dürfte, daß im freiheitlichsten Teilungsgebiet, im
österreichischen Krakau (Kraków) das Attentat von
Sarajewo mit einer gewissen Genugtuung zur
Kenntnis genommen wurde. Man hoffte auf den
großen Krieg, aus dem Polen als Sieger hervorgehen
würde.
Doch schon bald schwand das „Glücksgefühl“,
als man sich auch in Krakau bewußt wurde,
daß dieser Krieg auch viele polnische Menschenleben
kosten würde. Auch die nationalen
Kräfte hofften darauf, von der siegreichen Seite
ein Territorium für einen eigenen Nationalstaat zu
erhalten. So kämpften Polen für Russen, Österreicher
und Preußen. Das Gros der Bevölkerung
war ohnehin eher um sein eigenes Leben besorgt,
als um ein hohes politisches Ideal.
Alle zogen in den Krieg, der im Industriezeitalter
verheerender und menschenverachtender
wurde, als sich das je ein Mensch vorstellen konnte.
Seit der Großen Französischen Revolution
(1789) hatte sich die Kriegsführung bereits dahingehend
verändert, daß Massenheere seither üblich
wurden, da die durch Kunststraßen verbesserte
Logistik und die Mobilisierung der gesamten
Bevölkerung dies möglich machte.
Im amerikanischen Bürgerkrieg (Sezessionskrieg
1861-65) kam erstmals die Eisenbahn als
Transportmittel hinzu, zudem die industrielle Versorgung mit Kriegsgerät und Lebensmitteln. Die
Nordstaaten setzten über 2,8 Millionen Soldaten
ein, die schwächeren Südstaaten über 1 Million.
Der Krieg wurde letztendlich durch die Industrie
des Nordens über den landwirtschaftlichen Süden
entschieden. Über 700.000 Menschen verloren in
diesem vierjährigen Ringen das Leben und weitere
400.000 wurde z. T. schwer verwundet und verkrüppelt.
Europa blieb in der Folgezeit, in der Zeit seiner
eigenen Industrialisierung, von längeren großen
Kriegen verschont und so erkannte niemand
die Gefahr, die in einem künftigen Krieg lag.
Der Deutsch-Französische Krieg (1870/71)
zeigte bereits in seiner kurzen Dauer wie verheerend
moderne Kriege sein können. Bei Kriegsende
hatte Deutschland 1,2 Millionen Soldaten
mobilisiert und die bereits bei Sedan geschlagenen
Franzosen hatten keine offizielle Armee mehr.
Deutschland hatte 70.000 Tote oder Verwundete
zu beklagen, Frankreich 150.000. Damals
hätte man ahnen können, was ein neuerlicher
Krieg bringen würde!
Dieser Massenkrieg war auch ein Materialkrieg.
Die gesamte Industrie war dem Kriegseinsatz untergeordnet.
Zig Millionen von Bomben und Abermillionen
Kugeln wurden auf den Feind abgefeuert.
Neue Waffen wie Flammenwerfer, Giftgas, Luftfahrzeuge
und die kriegsentscheidenden alliierten
Panzer machten den Krieg zum blanken Horror
für die Menschen und anonymisierte gleichzeitig
das Töten.
Die Arbeit am Wiedererstehen Polens im 1. Weltkrieg
Österreich-Ungarn hatte von Anfang an größte Schwierigkeiten, den Krieg zu führen. Selbst mit dem kleinen und schwachen Gegner Serbien hatte man Probleme, dessen Angriffe abzuwehren.
Das Militär muß die Schwäche seiner eigenen
Truppe gekannt haben. Nicht umsonst gewährte
man die Gründung der Polnischen Legionen
bereits am 16.8.1914 im bedrohten Galizien (polnisches
Teilungsgebiet), das schon bald zu einem
der Hauptschauplätze von Kämpfen an der Ostfront
werden sollte.
Die Initiative zur Bildung einer polnischen Armee
ging von der Provisorischen Kommission der
Konföderierten Unabhängigkeitsparteien (Komisja
Tymczasowa Skonfederowanych Stronnictw
Niepodleglosciowych) und den polnischen Mitgliedern
des österreichischen Parlaments aus. Diese
Einheit war eine unabhängige Formation innerhalb
der k. u. k. Armee.
Die I. Brigade leitete der spätere Marschall
von Polen, Józef Pilsudski [später Kazimierz
Sosnkowski (1885-1969) und Marian Zegota-
Januszajtis (1889-1973)], die II. Brigade Ferdynand
Küttner [später Józef Haller (1873-1960)] und die
später gegründete III. Brigade Wiktor Grzesicki
[später Stanislaw Szeptycki (1867-1950), Zygmunt
Zielinski (1858-1925) und Boleslaw Roja (1876-
1940 im KZ Sachsenhausen)].
Damit verfügte der neu zu gründende Staat
bereits über eine ausgerüstete und kriegserfahrene,
gut motivierte Armee von 25.000 Mann
(Stand 1916).
Der Krieg wurde verheerend. Die „russische
Dampfwalze“ überrollte zwar nicht Ostpreußen, wie
befürchtet, dafür aber den Süden. Die Russen siegten
in Galizien und nahmen im März 1915 die große
Festung Przemysl ein und drohten sogar gen
Krakau vorzustoßen, ehe die deutsche Armee ihren
österreichischen Verbündeten zur Hilfe kam,
die Festung im Juni zurückeroberten und sich
danach auch hier die Front zum Stellungskrieg
verfestigte.
Man spricht immer davon, daß Nord-Frankreich
ganz erheblich unter dem Krieg leiden mußte,
da es Stellungskriegsgebiet war. Dasselbe gilt aber
auch für den Osten Polens. Ungefähr 80 bis 90
Prozent des Territoriums wurden komplett verwüstet
und seine Infrastruktur vernichtet.
Am Ende des Krieges (1918) waren allein in
Galizien 700.000 Menschen obdachlos. Polens
Neuanfang 1918 war sehr schwer.
Das Regentschaftskönigreich Polen
Den Anstoß zur Wiedererstehung Polens kam schon während des Krieges von den Mittelmächten. Bereits zu Beginn des 1. Weltkriegs dachte Kaiser Wilhelm II. daran, nach einem etwaigen Sieg über Rußland auf dem Gebiet Kongreßpolens, dem sog. Königreich Polen, einen preußischen Vasallenstaat zu schaffen, in dem er, bzw. seine Nachfolger, auch das militärische Oberkommando über die Armee inne hätten.
Im Spätsommer 1915 verhärtete sich die
Front, nachdem der Großteil Kongreßpolens hatte
erobert werden können. Die beiden Mittelmächte,
die sich das Gebiet teilten, errichteten eine
zivile Verwaltung in Form von Generalgouvernements,
in Warschau unter dem deutschen Generaloberst
Hans v. Beseler (1850-1921) und in Lublin
unter dem österreichischen General Karl Kuk
(1853-1935).
Die beiden Besatzungsmächte verkündeten
am 5.11.1916 im Säulensaal des Warschauer
Königsschlosses die Einrichtung eines Königreichs
Polen, ohne einen König und exakte Grenzen zu
benennen. Gleichzeitig veröffentlichte der
österreichische Generalgouverneur Kuk dieselbe Proklamation in Lublin. Bereits am 9.11.1916 warben
die Vertreter der beiden Generalgouvernements
für die Aufstellung einer „polnischen Armee“,
die natürlich nur den Mittelmächten dienen sollte.
Die Bevölkerung durchschaute diese Absicht sofort
und es kam zu Protesten.
Das Regentschaftskönigreich war kein Erfolg,
daher wurde auch nie ein König bestimmt und
weitergehende Maßnahmen getroffen. Es wurde
am 1.12.1916 eine 25-köpfige provisorische Regierung
unter der Leitung eines Kronmarschalls
berufen und am 9.12.1916 gründete der
Verwaltungschef Wolfgang v. Kries eine polnische
Notenbank, die eine neue Währung, die Polnische
Mark (bis zur Inflation 1924 gültig) einführte.
Die aussichtsreichsten Kandidaten auf den
Thron waren Erzherzog Karl Stephan v. Österreich
(1860-1933), der in Saybusch (Zywiec, bei Krakau)
wohnte, sowie dessen ältester Sohn Erzherzog
Karl Albrecht von Habsburg-Lothringen (1888-
1951, nach 1919 als polnischer Staatsbürger: Karol
Olbracht Habsburg-Lotarynski), der von seinem
Vater auf den polnischen Thron vorbereitet worden
war. Beide sprachen fließend Polnisch.
Auch wenn die II. Polnische Republik und ihre
Nachfolgestaaten zu Recht diese „Staatsgründung“
nie als Ursprung der Wiedererstehung
anerkannt haben, war sie doch ein wichtiger Schritt
auf dem Weg zur Wiedererstehung.
Der Preis an Menschleben und Material war
gewaltig. Der 1. Weltkrieg hat kaum etwas Gutes
hervorgebracht. Die Lösung der „polnischen Frage“
war für die Polen jedoch überaus wichtig. Es
bedurfte eines weiteren Völkerschlachtens und
einer langen Nachkriegszeit bis Europa den Weg
zur Problemlösung durch Verhandlungen fand. Aus
heutiger Sicht war die Lösung der polnischen Frage
für Europa richtig und wichtig, aber der Preis
war auf allen Seiten höchst schmerzhaft und
verlustreich. Und die Wunden sind noch immer
nicht alle verheilt.
Anmerkungen zum Kriegsausbruch 1914
Leonhard v. Kalckreuth
Meine Großmutter, die Muchociner Gutsfrau Klara-
Alexandra v. Kalckreuth (1880-1969) berichtet in
ihren Lebenserinnerungen über die Tage der
Mobilmachung. Nachfolgend ein Auszug aus dem
Original, wobei zu betonen ist, daß sie ebenso wie
mein Großvater stets um ein gutes Verhältnis zu
ihrer in der Mehrheit aus Polen bestehenden
Muchociner Arbeiterschaft bemüht und im Dorf,
dem westlichsten Ort des Kreises Birnbaum,
entsprechend angesehen war.
Am 28. Juni 1914 wurde in Sarajevo der österr.- ungarische Thronfolger Franz Ferdinand von großserbischen Nationalisten ermordet. Mein Mann wollte nicht an Krieg glauben und verbat sich jedes Gespräch darüber.
Am 1. August ritten wir, wie immer in den
Ferien, mit den Kindern. Wie herrlich war das
Gelände dafür in Muchocin. Die großen Koppeln
an der Warthe, so malerisch, wo unser Vieh
zwischen einzelnen Baumgruppen weidete. Da
setzten sich die Pferde ganz allein in Galopp auf
dem elastischen Geläuf und welche Lust war es,
da, auf dem eigenen Grund und Boden, zu
galoppieren.
Dabei trafen wir einen Viehhändler und
erfuhren von ihm die Nachricht von der
Mobilmachung.
Mein Mann ritt sofort nach Hause und ich
folgte ihm mit den Kindern. Unser junger deutscher
Diener empfing uns voll Begeisterung, dagegen
der polnische, verheiratete Kutscher mit Tränen in
den Augen.
Im Dorf heulten die Weiber und sahen mich
wütend an, daß ihre Männer für die „Preissen“
sterben sollten! Zum ersten Mal hatte ich das
Gefühl, nicht unter Deutschen zu sein.
Mein Sohn Jochen wurde in die Gutsschmiede
geschickt, um den Säbel schärfen zu
lassen. Ich sah zu wie mein Mann packte, dabei
fiel mir eine runde Medaille auf, ich fragte
ahnungslos es war die Erkennungsmarke!
Mein Mann sah so gut, aber fremd aus in
der Landwehruniform. Wir durften ihn dann auf die
Bahn nach Birnbaum begleiten mit dem
Versprechen, uns tapfer zu halten. Er kam
zunächst nach Posen.
Da es ihm verboten war den Kriegsschauplatz,
auf den man ihn beordert hatte,
anzugeben, schrieb er mir daß Champagner doch
besser schmecke als Wodka so wußte ich
Bescheid. Viele Wochen bekam ich keine Nachricht
von ihm.
Für mich war es sehr schwer, mich ohne
Inspektor, nur mit dem Brenner, in den Betrieb
einzuarbeiten, denn mein Mann hatte ja Alles allein
gemacht. Es war noch Ernte. Die Kinder fuhren
eifrig mit ein, mit ihrem Schimmelpony, dabei wurde
mein Sohn Jochen recht krank an Asthma. Das
Wetter war günstig und so gelang es, die Ernte
rechtzeitig zu bergen, obwohl so viele Männer und
Pferde fehlten. Es wurden junge Stiere eingespannt
von der Weide.
Tag und Nacht hörte man die Eisenbahnzüge
rollen, kein Privatmann konnte mehr reisen.
Zuversichtlich hofften Alle, Weihnachten wieder zu Hause zu sein, später hofften sie auf Ostern,
spätestens Pfingsten.
Mein Mann hatte mir geraten, Amtsrat Keibel aus
Groß Münche als Ratgeber zu nehmen. Es
arbeitete sich gut mit ihm, er war sehr optimistisch,
meinte, bei der Vernichtungskraft der damaligen
Waffen könnte ein Krieg ja gar nicht lange dauern!
Die herrlichen Siege im Anfang begeisterten uns
alle, immer wieder wurde geflaggt und gefeiert.
Mein Mann sah ernster. Nach dem unglückseligen
Rückzug an der Marne sprach er zum Entsetzen
von Allen schon von vier Jahren Krieg.
Als der erste Muchociner Arbeiter fiel traf ich
die Frau beim Kartoffelhacken und sagte mir:
„Solche einfachen Leute kommen nicht zum
Nachdenken, haben es leichter, den Kummer
durch Arbeit zu überwinden.“ Doch die Kriegerfrauen
bekamen so viel Geld, daß sie nicht mehr
arbeiten wollten und von Anderen beneidet
wurden!
Das Schicksal, Kriegerwitwe zu werden, ereilte
meine Großmutter im November 1915. Mein
Großvater, der altershalber nicht mehr in den
Grabenkämpfen des Argonner Waldes eingesetzt
werden durfte, hatte sich zum Beobachter bei der
„Fliegertruppe“ schulen lassen. Im Raum Metz
wurde sein von Uffz. Blank gesteuerter
schwerfälliger „Albatros“ von einem wendigeren
französischen „Farman“ abgeschossen.
Heute vor 100 Jahren
Barbara Weber schreibt am 4.8.2014.
Am 4. August 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Genau
an diesem Tage wurde meine Cousine Margarete
(Gretel) Matthes geboren. Ihre Eltern sind Elisabeth
(Lieschen) Matthes geb. Sommer und Willi Matthes, der
Bäckermeister mit eigenem Geschäft in Bentschen.
(Alt-Bentschen wurde das Städtchen erst benannt,
nachdem es polnisch wurde und gegenüber auf
der deutschen Seite der neue Ort Neu Bentschen aus
dem Boden gestampft wurde).
Lieschens fürsorgliche Eltern in Betsche sorgten
für Hilfe. Die jüngste Tochter Martha, die gerade 15
Jahre alt war, (meine Mutter), mußte ihre Schwester in
Bentschen unterstützen. Die fünf Jahre ältere Schwester
Hulda wurde im Bäckerladen zu Hause gebraucht,
da der Bruder Johannes keine Frau fand.
Lieschen und Marthchen schafften es mit der Hilfe eines Gesellen, das Bäckergeschäft in Bentschen weiterzuführen. Schwierig wurde es, so erzählte meine Mutter, als auch der Geselle zum Kriegsdienst eingezogen wurde, und sie mit einem Lehrling die Backstube übernahm, ein Langschläfer, den sie morgens oft aus dem Bett holen mußte.
Mit dem Verlauf des Krieges waren, wie alle Lebensmittel, auch die Backzutaten, wie z.B. Hefe, immer schlechter zu bekommen. Es muß 1919 gewesen sein, als meine Mutter für die Bäckerei in einer westlich gelegenen Stadt, (vielleicht Frankfurt/O.) einkaufte. Erst am Abend kam sie mit dem Zug zurück und konnte die Ortsmitte von Bentschen nicht betreten, da zu dieser Zeit noch Kämpfe zwischen polnischen und deutschen Soldaten stattfanden.
Bis zur Festlegung der Grenzen wollten die Polen
unbedingt noch Land erobern! Marthchen mußte
die Nacht auf einer Bank bei dem deutschen Vorposten
verbringen.
Nachdem Bentschen polnisch geworden war,
zogen die Bäckerfamilie und meine Mutter nach Frankfurt
an der Oder. Dort konnten sie gegenüber von den
Kasernen ihre Bäckerei weiterführen.
Für Marthchen wurden es die schönsten Jahre
ihres Lebens. Dort lernte sie die „Großstadt“ Frankfurt
kennen mit dem schönen Theater. Marthchen und Gretel
verband lebenslang eine liebevolle Zuneigung.
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