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Das Geheimnis von
Hohenlübbichow/Lubichow Gorny
Albrecht Fischer von Mollard
Wenn in das Internet-Gästebuch des HKr Meseritz e.V. ein neuer Eintrag geschrieben wird, erhält der Vorsitzende automatisch eine E-Mail mit dem Text der Eintragung Wunder der Informationstechnik. So war es auch am 13. Oktober 2018, als ich las:
Sehr geehrte Damen und Herren,
weiss jemand, seit wann die Malereien an der Mauer des Gutshofs in Hohenlübbichow (heute Lubichow Gorny) existieren oder wer diese Malereien angebracht hat?
Freundliche Grüsse
R. W., Schweiz
Zunächst einmal ärgerte ich mich über mich selbst, weil mir dieser Ort und seine Lage unbekannt waren, bis ich recherchiert hatte, daß er direkt östlich der Oder in Höhe von Eberswalde oder genauer gegenüber Hohensaaten liegt und somit jedenfalls nicht in unserer unmittelbaren Heimatregion Meseritz-Birnbaum. Wer von unseren Heimatfreunden könnte diese Frage also überhaupt beantworten?
Deswegen schrieb ich der in der Schweiz
wohnenden Fragestellerin, ich sei als Vorsitzender
unseres Heimatkreises stets bemüht, die im
Internet-Gästebuch hinterlegten Fragen gezielt an
Heimatfreunde weiterzuleiten, die möglicherweise
Auskunft geben könnten. Im vorliegenden Fall jedoch
müsse ich „passen“, würde mich aber bemühen,
ihr über andere Kontakte zu helfen.
Anschließend leitete ich die Anfrage an einen
mir namentlich bekannten Mitarbeiter der
Martin-Opitz-Bibliothek in Herne weiter sowie an
unsere Freundin und „Korrespondentin“ Prof. Dr.
Malgorzata Czabanska-Rosada in Posen.
Schließlich sprach ich auch den polnischen
Restaurator Z. an, der zeitweise in der Kirche in
Klastawe/Chlastawa gearbeitet und den HKr
Meseritz vor Jahresfrist auf der Suche nach Bildern
vom Kircheninneren aus der Zeit vor 1907
um Unterstützung gebeten hatte.
Während der Bibliothekar der MOB
krankheitsbedingt nicht antworten konnte, schrieb
mir bereits am nächsten Tag unsere
Freundin aus Posen und schickte ein
Foto mit:
Das von Frau R. W. erwähnte
Gebäude Hohenlübbichow (heute
Lubichow Gorny) ist eine Feldsteinkirche
aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.
Die „Malerei“, nach der die Dame
fragt, ist in der Wirklichkeit ein auf dem
Portal sichtbarer Schachbrettstein. Das
Schachbrettmuster ist ein Zeichen, das
oft in Westpommern auftritt, und das sich
vor allem auf den im 13. Jahrhundert für
Templerritter errichteten Kirchen befindet.
Es gibt verschiedene Theorien
zur Bedeutung des Schachbrettmusters.
Eine von ihnen sagt, daß es ein Symbol
Christi und Illustration der Idee des Templerordens
sei.
Eine andere weist auf das Symbol
der Maurerzunft hin. Ähnliche
Schachbrettmuster findet man an Kirchen
auf der sog. Templerritterstraße
(Westpommern), wie etwa in Moryñ (Mohrin) oder Debno (Neudamm). Ich hoffe, ein wenig
geholfen zu haben...
Der hilfsbereite polnische Restaurator Z. hatte parallel direkt Kontakt zu Frau W. aufgenommen und ihr folgende Nachricht gesendet:
... Ich bin Kunstdenkmalrestaurator und habe
auch Kontakte mit dem Denkmalpflegedienst
Koszalin/Szczecin [Köslin/Stettin].
Ich brauche mehr Konkretes: Geht es um historische
oder zeitgenössische Malerei an der Mauer
(z.B. Graffiti - der Kontext ist nicht deutlich)?
Irgendwelche Fotoaufnahmen oder Reproduktionen
werden gebraucht bzw. wären hilfreich.
Nach Wikipedia stammt der Gutshof
Hohenlübbichow (poln. Lubiechów Górny) aus der
II. Hälfte des XVIII Jhds., also können früheste historische
Ausmalungen wahrscheinlich klassizistisch
sein.
Die Dekorationen sind vielleicht in:
Voss, Georg. Hoppe, Willy. Hohenlübbichow. W:
Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Schriftleitung
E. Blunck, Bd. VII, T. 1: Kreis Königsberg (Neumark), H. III: Die nördlichen Orte. Berlin 1927
beschrieben?
An diese Stellungnahme, die großes Interesse, Engagement und Hilfsbereitschaft von Herrn Z. erkennen läßt, schloß sich direkt eine Anfrage in Richtung Schweiz an:
Bei dieser Gelegenheit habe ich eine persönliche Frage. Wie populär ist heute in der Schweiz noch die Bezeichnung „Burgunder Beute”? Esg eht um große Beute der Schweizer, die während des Krieges zwischen Burgund und Schweiz in den 70er Jahren des XV Jhds. die Schlacht bei Grandson gewonnen haben.
Die Antwort ist wichtig für meine Untersuchungen der Episode [Geschichte] des 13-jährigen Krieges zwischen Polen und Deutschordensstaat - der Schlacht bei Konitz(1454.
Noch heute bin ich von der Entwicklung fasziniert, wie aus einem Eintrag in unser Internet-Gästebuch, d.h. aus einer Anfrage an den HKr Meseritz, ein kleiner „multinationaler Recherche-Verbund“ entstanden war.
Inzwischen hatte ich die Antwort von Prof. Dr. Czabanska-Rosada aus Posen/Poznan („Schachbrettmuster an der Feldsteinkirche“) an Frau W. in die Schweiz gesendet und erhielt zusammen mit 3 Fotos folgende Antwort von dort:
... Es handelt sich hier um ein Missverständnis. Die Kirche haben wir auch besucht. Da wurde übrigens mein Grossvater, A. L., nach seinem Tod am 3. Dezember 1935 beerdigt.
Nein, an der Mauer im Gutshof von Hohenlübbichow befinden sich die im Anhang abgebildeten Malereien. Diese sehen zwar neu aus, ich habe aber das Gefühl, daß die Farben aufgefrischt wurden.
Es hätte mich interessiert, seit wann sich die Malereien an der Mauer befinden. Es könnte sein, daß es mit der Geschichte zwischen meinem Großvater und meiner Großmutter zu tun hat. Es wäre schön, wenn auch diese Frage geklärt werden könnte ...
„Der geneigte Leser“ wird zugeben müssen: das alles klingt recht geheimnisvoll! Mit Hilfe unseres „Chefhistorikers“ und Beiratsmitgliedes Dr. Martin Sprungala wandte ich mich nun an die Präsidentin des Pommerschen Kreis- und Städtetages, schilderte ihr alle mir bis dahin bekannten Informationen und bat sie, die weitere Bearbeitung der Anfrage zu übernehmen. Sie reichte „zuständigkeitshalber“, wie sie schrieb, das von mir geschnürte „bebilderte Informationspäckchen mit Originalanfrage“ an den Kulturreferenten des Heimatkreis Greifenhagen e.V. weiter. Der Kulturreferent seinerseits setzte sich direkt mit der Schweizerin in Verbindung und schrieb ihr:
... Ja, ja, wie die Zeit vergeht. Vor 1000 Jahren [möglicherweise in Anspielung auf das „tausendjährige Reich“? d. Red.] gehörte Hohenlübbichow tatsächlich zu Pommern, aber dann war es Ostbrandenburg, wie der gesamte Kreis Königsberg/ Nm. Das ist wichtig, weil wir nur so den richtigen Ansprechpartner finden ...
Und dann nannte er drei für diese Anfrage Kompetenz verheißende Anschriften, die er zu kontaktieren empfahl.
Ich selbst erhielt am gleichen Tage von Frau W.-W. aus der Schweiz eine E-Mail, deren Inhalt mich noch immer anrührt:
... Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen für Ihre Hilfe bedanken.
Wir kennen erst seit letztem Jahr die
Familie meines Großvaters, A. L.. Aber
etwas weiß ich ganz bestimmt. Es muß
eine große, aber auch tragische Liebe
zwischen den Großeltern gewesen sein.
Meine Großmutter hat meinen Großvater
in Davos kennengelernt. Er war lungenkrank.
Dabei haben sie sich verliebt,
und sie wurde schwanger. Mein Vater hat
seinen Vater leider nie kennengelernt. Meine
Großmutter ist zwischen 1933 und
1935 nicht zurück nach Innsbruck, war aber während
dieser Zeit auch nicht in der Schweiz.
Aufgrund meiner Recherchen hatte ich das
Glück, einen Familienforscher kennenzulernen.
Dieser half mir, die Familie meines Großvaters zu
finden. Zumindest diejenigen, die noch leben.
Mein Großvater ist in Hohenlübbichow geboren
und wie bereits erwähnt am 3. Dezember
1935 in Hohenlübbichow verstorben. Er war nie
verheiratet. Er lebte auch in Markenthum sowie auf
dem Gutshof in Hohenlübbichow zusammen mit
seiner Mutter und Schwester.
Um noch mehr zu erfahren war ich mit meinem
Mann in Hohenlübbichow, Markenthum,
Bellinchen a. d. Oder und in Lunow, wo es noch
Verwandte gibt. Ich spürte die Verbundenheit zu
dieser Gegend. Wir konnten auch meine Tante Mia
kennenlernen.
Außerdem durften wir ebenfalls andere nette Menschen von Lunow kennenlernen. Vor unserer Abreise zurück in die Schweiz wollte ich unbedingt noch einmal zum Gutshof und zur Kirche in Hohenlübbichow, wo auch mein Großvater begraben liegt. Natürlich sieht man keinen Grabstein. Im Innenhof des Gutshofs angekommen schaute ich herum und wollte eigentlich gerade wieder gehen. Da sah ich die Malereien an der alten Mauer. Eine junge Frau mit drei Füssen. Zwischen ihren Beinen ein Kinderfuss ... Im Hintergrund die Kirche von Hohenlübbichow ... usw.
Es gibt dieses Geheimnis in unserer Familie. Niemand sprach darüber. Mein Vater wußte nichts, meine Mutter auch nichts. Meine Tante wollte nichts sagen, und meine Großmutter konnte nichts mehr sagen. Und ich wußte nichts ... Ich wünsche Ihnen alles Gute und noch einmal vielen lieben Dank für Ihre Bemühungen ...
PS: Mein Vater ist in Innsbruck bei seinen Großeltern
aufgewachsen und 1956 aus beruflichen
Gründen nach Augsburg. Meine Mutter ist in
Oschersleben a. d. Bode aufgewachsen und 1956
nach Augsburg. 1958 haben sie sich dort kennengelernt
und Ende 1959 war ich da.
Die komplette Kommunikation zu dieser eingangs zitierten Anfrage habe ich aus mehreren Gründen hier nachgezeichnet. Zum einen möchte ich mich bei allen in diesen „kniffligen Fall“ Involvierten für ihr Engagement und die an den Tag gelegte Schnelligkeit bedanken. Vom Eintrag in unser Gästebuch bis zur zuletzt zitierten e-mail aus der Schweiz sind ganze 5 Tage vergangen unglaublich! Außerdem hat mich die Effektivität der internationalen Zusammenarbeit im Kreise der Beteiligten beeindruckt und zugleich auch begeistert. Darüber hinaus möchte ich alle Leser dazu animieren, immer mal eine Blick in unser Gästebuch bzw. in die direkten Anfragen an die Redaktion zu werfen. Sie enthalten Suchmeldungen, bzw. Bitten um Aufklärung, die für die Fragesteller von großer Bedeutung sein können, wie auch der oben beschriebene Fall zeigt, und zu deren Beantwortung Sie möglicherweise hätten beitragen können.
Das Rätsel ist gelöst!
Dem überaus hilfsbereiten Restaurator Z.
aus Polen ist es mit großem Engagement gelungen,
Licht in das Dunkel zu bringen bzw. die Herkunft
der Bilder an der Wand des Gutshofes in
Hohenlübbichow zu klären. Er befragte zunächst die Ortsvorsteherin des Dorfes, die daraufhin den Künstler ansprach und ihn bat, Kontakt zu Restaurator Z. aufzunehmen, was jener auch tat. Anfang November 2018 erfuhr der Kunstrestaurator schließlich vom Schöpfer der Hohenlübbichower Wandmalereien deren Geschichte und ihre Hintergründe.
Nach der Wende in Polen gelangte das Gut
in Hohenlübbichow wieder in Privatbesitz. Sein damaliger
Eigentümer war ein großer Naturfreund und
liebte Blumen, die Arbeiten auf dem Dorf, Bienen,
Vögel, eben die Natur. Etwa um die Jahrtausendwende
bat er einen „einheimischen, plastisch begabten
Jungen“, eine Dekoration für das kahle
Mauerwerk des Waagehäuschens und der Wand
des Gutshofes zu entwerfen und zu realisieren.
Auf diese Weise entstanden die gerade
einmal 20 Jahre alten Wandmalereien von
Hohenlübbichow.
Nach Aussage des Erschaffers der Malerei
symbolisieren die Bienen mit der Pergola und dem
Schlüsselloch die Schlüsselrolle, die die Immen in
der Natur spielen. „Sie sind Schlüssel für Alles“.
Das dreifüssige Mädchen steht für das Wirken des
Menschen, sein ständiges Herumwirtschaften auf
dem Hof und auf dem Felde. Als examinierter Kunsthistoriker erläutert der Restaurator in seiner E-Mail-Kommunikation, daß sich der Maler in seinen Werken an Muster der kaschubischen Volkskunst angelehnt habe. Das Fazit seiner vielen Recherchen, das er Frau W.-W. schrieb, war eindeutig und ließ keine Zweifel zu:
Also es scheint, dass der dritten Fuß des Mädchens und das geheimnisvolle Schlüsselloch leider keine Verbindung mit der Geschichte Ihrer Großeltern haben...
Ob er im Verlauf der „multinationalen“ Kommunikation eine zufriedenstellende Antwort auf seine eingangs gestellte Frage zum Begriff der „Burgunder Beute“ erhalten hat, ist mir nicht bekannt. Zumindest habe ich ihm die Adresse meines Schweizer Neffen mitgeteilt, aus dem es nur so heraus sprudelte, als ich ihn telefonisch nach der Burgunder Beute fragte.
Die Schweizerin aber schrieb mir Mitte Januar 2019:
Wir waren vom 27. Dezember 2018 bis am
3. Januar 2019 in Cedynia (Zehden)
[Hohenlübbichow ist ein Ortsteil dieser Gemeinde]
und wohnten zusammen mit unserem Hund
im Kloster.
Während dieser Zeit durften wir ebenfalls die
sympathischen Bewohner von Hohenlübbichow/
Lubiechow Gorny kennenlernen. Wir durften u. a.
Fotos aus der Zeit vor dem Krieg anschauen und
fotografieren sowie einen Dorfplan von
Hohenlübbichow, bei welchem das Haus von meiner
Urgroßmutter und deren Familie eingezeichnet
war...
Außerdem hat uns eine Dame des Ortes 3
wunderschöne, selbstgefertigte Papierrosen geschenkt...
Aber schlußendlich hat mich die Suche
nach den Wurzeln zu unserer neuen Familie
gebracht, die ich nicht mehr missen möchte.
Ob meine Großmutter jemals in
Hohenlübbichow/ Lubiechow Gorny war, kann ich
nicht bestätigen. Zuhause an unserer Wand hängt
eine Pferdeglocke mit dem Wappen von Cedynia.
Diese Glocke hat mir meine Großmutter
1979 geschenkt und mich gebeten, gut darauf aufzupassen ...
Ich werde ganz sicher wieder an den Ort
meines Großvaters zurückkehren. Immer
wieder ...
Mein abschließender Dank für diese zu Herzen gehende Geschichte und für das großartige Erlebnis einer engagierten, effizienten Zusammenarbeit über Länder- und Sprachgrenzen hinweg geht in die Schweiz und insbesondere nach Polen.
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