Die jüdische Gemeinde in Meseritz vor 1989
Text : Andrzej Kirmiel (übersetzt von Matthias Diefenbach) – Fotos: Archiv Heimatgruß


Geschichte
Es ist nicht bekannt, wann Juden zum ersten Mal in der Stadt erschienen. Die vorherrschende Meinung in der Literatur ist, daß sie bereits spätestens im 14. Jahrhundert in Meseritz waren und zusammen mit Deutschen eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Stadt spielten.(Heppner A., Herzberg J.: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Bromberg 1909, S. 622.) Das jüdische Viertel befand sich im nordöstlichen Teil der Stadt. Sein Areal lag zwischen dem Oval der Stadtmauer und der Hohen Straße und Judenstraße (Becker, P.: Geschichte der Stadt Meseritz, Meseritz 1930, S. 117. Heute ist das das Areal zwischen den Straßen ul. 30 Stycznia, ul. ks. Skargi, ul. Murarska und ul. OEciegiennego).


Die jüdische Gemeinde in Meseritz


Die Beziehungen zwischen Christen und Juden in Meseritz/ Miêdzyrzecz waren immer angespannt, und die Stadtchroniken erwähnen ständige Konflikte und Vertreibungen (Zacherts Chronik der Stadt Meseritz, Posen 1983.). Neben einer traditionellen religiösen Abneigung gab es auch wirtschaftliche Konflikte und Versuche, die Position der Juden gegenüber dem Starosten und der Stadt klar zu definieren.
Entsprechend den allgemeinen königlichen Privilegien sollten die Juden der Staatsgewalt unterworfen sein und ihr Steuern zahlen. Die städtischen Behörden versuchten, dies zu ändern und die Juden zusätzlich ihrer Herrschaft zu unterstellen, sowie ihnen neue Steuern aufzuerlegen.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Meseritz ist bis zum Ende des 18. Jahrhunderts durch einen ständigen Konflikt mit der Stadt geprägt und dem Wunsch, die alleinige Abhängigkeit von der staatlichen Autorität, d.h. vom Starosten, zu bewahren. Die Juden verfolgten diese Politik mit wechselndem Erfolg, wurden dreimal aus der Stadt vertrieben, kehrten aber jedes Mal zurück.

Das erste dieser ernsten Geschehnisse ergab sich 1520, als nach einem Brand in der Stadt und einer drohenden Abwanderung der Stadtbewohner König Sigismund I. der Alte der Ausweisung der Juden zustimmte. Die Bedingung war, daß nach einer zwölfjährigen Ermäßigung die Bürger die Abgaben der Juden an die königliche Schatzkammer übernehmen würden. Diese 10 Mark (Griwna) in Silber waren für die Stadtbewohner offenbar sehr belastend, denn die Juden kehrten in die Stadt zurück.
Es ist nicht bekannt, wann genau wieder Juden in Meseritz erschienen. Ein Privileg des brandenburgischen Markgrafen Joachim I. aus dem Jahr 1532, das polnischen Juden den Handel in der Mark erlaubte, erwähnte auch die Juden aus Meseritz (Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. 2, 6, Berlin 1858, S. 385.).

Auch eine Inspektion der königlichen Güter aus den Jahren 1564-1565, die auch die königliche Stadt Meseritz umfasste, erwähnt Juden. Demnach gab es wieder 18 jüdische Häuser in Meseritz, von denen jedes 30 Groschen und zwei Pfund Pfeffer an die Burg zahlte. Außerdem zahlte ein Jude 15 Groschen und ein Pfund Pfeffer für eine Verkaufsstelle. Weiterhin versorgten alle Juden zusammen den Starosten jedes Jahr mit einem Krug Olivenöl und 1/2 Pfund Safran (Lustracja województwa wielkopolskich i kujawskich 1564-1565, Teil I, (Hrsg.) A. Tomczak, Cz. Wlodarska, J. Wlodarczyk, Bydgoszcz 1961, S. 162.).
Außerdem gab es noch eine jüdische Kopfsteuer, die die Gemeinde in Höhe von 30 Gulden zahlte. Dieses Geld wurde über den Vorstand der jüdischen Gemeinden in Gniezno an die königliche Schatzkammer abgeführt (6Ebd., S. 273.).

Zahlreiche Gebühren verlangten von den Juden Einfallsreichtum und die Fähigkeit, Geld zu verdienen. Dies führte häufig zu Konflikten mit der christlichen Konkurrenz, weil die zur Einkommenssuche gezwungenen Juden die von den Christen auferlegten Einschränkungen nicht respektierten. 1607 führte das zu einem weiteren königlichen Erlass, der ihnen befahl, die Stadt zu verlassen. Es ist nicht bekannt, ob das Dekret ausgeführt wurde, denn bereits 1611 kam es zu einem weiteren schweren Konflikt, diesmal religiöser Natur.
Entgegen der weit verbreiteten Meinung über die polnische Toleranz zwangen die Katholiken den Andersgläubigen, einschließlich der Lutheraner und Juden, die Einhaltung ihrer Feiertage auf. Als 1611 am Himmelfahrtstag die Juden beim Abriss eines Hauses arbeiteten, verlangte der Pfarrer von St. Johannes, daß sie die Arbeit einstellen. Als sie nicht gehorchten, wurde der Fall vor einem vom Bischof von Poznañ einberufenen Gericht verhandelt. Der Fall endete mit einem weiteren, von König Sigismund III. Wasa unterzeichneten Dekret über eine weitere Vertreibung der Juden aus der Stadt (1613).

Daß in Meseritz wieder Juden auftauchten, begründete sich ausschließlich aus den Bedürfnissen der königlichen Schatzkammer. Letztendlich waren die jüdischen Gelder immer wichtiger, sogar als religiöse Phobien.
Am 27. September 1633 sanktionierte König Wladyslaw IV. ihre Stellung in der Stadt und ließ sie sogar eine Synagoge und eine Jeschiwa bauen. Der Frieden hielt jedoch nicht lange an.
Im Jahr 1636 überfielen die Tuchmacher aus Meseritz, die die jüdische Konkurrenz nicht ertrugen, jüdische Häuser und zerstörten ihre Werkstätten und Werkzeuge. Als es so nicht gelang, die Juden loszuwerden, beschlossen die Stadtbewohner schließlich ein Jahr später einen Kompromiss. Als Gegenleistung für die Duldung der Juden in Meseritz mussten sie sich den folgenden Bedingungen unterwerfen:
1. Sie durften innerhalb des Stadtbezirks keine Tücher herstellen oder Strickwaren verkaufen, stattdessen stand es ihnen frei, fertige Tücher zu kaufen und zu verkaufen. 2. Sie mussten der Stadt jährlich vier Mark in Silber und sechs Unzen Pfeffer zahlen. 3. Für neu erworbene Häuser in der Hohen Straße mussten jährliche Steuern von 3 Mark und 1,5 Mark für solche in der Ziegenstraße gezahlt werden. 4. Sie durften kein Hornvieh auf der Straße schlachten (Becker, a.a.O., S. 117.).

Der Abschluss des Vertrages bedeutete nicht, daß die Christen ihren Wunsch aufgaben, die Juden aus der Stadt zu vertreiben. Im Jahr 1645 wurden sie in einem Brief an König Wladyslaw IV. der Beleidigung der katholischen Religion beschuldigt, und 1792 baten die Stadtbewohner in einer Beschwerde an König Stanislaw August Poniatowski erneut um die Ausweisung der Juden aus Meseritz.
Das Jahr 1656 war ein besonders tragischer Moment in der Geschichte des Meseritzer Judentums, als etwa 100 jüdische Familien von den Soldaten des Hetman Czarniecki in der Stadt ermordet wurden, weil sie zu Unrecht beschuldigt wurden, die Schweden zu unterstützen (Lewin, L.: Judenverfolgungen 1655-59, Posen 1901, S. 9.).
Für eine gewisse Zeit hörte die Gemeinde auf zu existieren, um dann allmählich wieder aufzuerstehen.

Infolge der zweiten Teilung Polens im Jahre 1793 kam Meseritz unter preußische Herrschaft. Eine zu dieser Zeit durchgeführte Volkszählung (Indaganda) ergab, daß von 2.202 Einwohnern 700 Juden waren. Die Quellen enthalten Informationen über die Zeremonie vom 7. Mai 1793. An diesem Tag huldigten die Einwohner von Meseritz und seiner Umgebung dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. Die Juden aus Meseritz taten es ihnen gleich, und die Hauptfeier, zu der der preußische Kommandant und seine Offiziere eingeladen waren, fand in der Synagoge statt. In der hell erleuchteten Synagoge versammelte sich die gesamte Gemeinde, und der Kantor sang, begleitet von Trompeten und Trommeln, ein Gebet für das Wohlergehen des gesamten Königshauses, was von allen Anwesenden mit großartigem Beifall belohnt wurde (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 623.).
Die Juden aus Meseritz verbanden gewisse Hoffnungen mit dem Übergang unter preußische Herrschaft. In Polen waren sie eine Gruppe, die keinerlei Rechte hatte und am unteren Ende der sozialen Hierarchie stand. Sie wurden mehr verachtet als Bauern, die nichts hatten, aber Christen waren. Die preußischen Könige hatten eine andere Philosophie des Denkens über ihre Untertanen. Dies übertrug sich auch auf ihre Haltung gegenüber Juden. Kurzfristig verbesserte sich die Lage der Juden deutlich, was nicht ohne Einfluss auf ihre Haltung gegenüber dem Staat blieb (Mehr zu diesem Thema: Kemlein, S.: Jydzi w Wielkim Ksiestwie Poznanskim 1815-1848, Poznan 2001.).

Der Prozess der „Einbürgerung“ der Juden verlief nicht überall gleich. Obwohl Meseritz relativ weit westlich gelegen war, präsentierten die dort lebenden Juden einen eher östlichen Typus des Judentums. Heinrich Heine hinterließ ein interessantes Porträt der Juden der Region Meseritz aus dieser Zeit. In seinem Werk „Über Polen“ von 1823 beschreibt er sie wie folgt:
Das Äußere des polnischen Juden ist schrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich daran denke, wie ich hinter Meseritz zuerst ein polnisches Dorf sah, meistens von Juden bewohnt. (...) Dennoch wurde der Ekel bald verdrängt von Mitleid, nachdem ich den Zustand dieser Menschen näher betrachtete und die schweinestallartigen Löcher sah, worin sie wohnen, mauscheln, beten, schachern und – elend sind. Ihre Sprache ist ein mit Hebräisch durchwirktes und mit Polnisch fassioniertes Deutsch. (Heine, H.: Werke und Briefe in zehn Bänden, Bd. 3, Berlin und Weimar 1972, S. 564.).

Offensichtlich änderte sich dieser Typus in der zeitlichen Perspektive, wobei ein starker orthodoxer Einfluss in der Gemeinde Meseritz mindestens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sichtbar blieb (Heimatgruss, Nr. 60, September 1976, S. 3.).
Die Gewährung der vollen staatsbürgerlichen Rechte an die Juden befreite ihre Tätigkeit, die bis dahin durch verschiedene Beschränkungen eingeschränkt war.

Der Autor eines der Artikel, die im „Heimatgruss“, der Zeitschrift der früheren Einwohner von Meseritz veröffentlicht wurden, schreibt:
Sie hatten eine unglaubliche Nase für Geschäfte, und würden jede wirtschaftliche Gelegenheit ergreifen, bei der es etwas zu verdienen gab, auch wenn sie gering bezahlt war. (Ebd.)
Ihr Einfluss und ihre Geschäfte reichten weit über die Provinz Posen hinaus. In Westfalen erinnerten sich ältere Menschen noch in den 1970er Jahren an einen populären Spruch: Wo kommen die Juden her? Aus Meseritz, aus Meseritz, da kommen die Juden angeflitzt! (Ebd.)
Tatsächlich ließen sich im provinziellen Meseritz eher keine großen Geschäfte machen, deshalb nahm, wie auch anderswo im deutschen Osten, die Zahl der jüdischen Einwohner ständig ab. Während es 1842 noch 1.190 Juden in der Stadt gab, waren es vor dem Ersten Weltkrieg zehnmal weniger(Becker, a.a.O., S. 267.).


Im Jahr 1918 betrug die Liste der stimmberechtigten Mitglieder der Gemeinde Meseritz nur 28 Personen. Das waren:
1. Bab Salomon Rentner
2. Bab Karl Händler
3. Baum Hermann Kaufmann
4. Baß Isidor Händler
5. Blumenfeld Alfred Amtsmann, mit dem Kult verbunden
6. Kadisch Adolf Rentner
7. Kadisch Georg Fuhrmann
8. Korn Naphtalie Kaufmann
9. Labositin Max Händler
10. Lewin Adolf Händler
11. Lewin Heinrich Kaufmann
12. Levy Arthur Kaufmann
13. Michaelis Abraham Rentner
14. Michaelis Bernhard Kaufmann
15. Michaelsohn Max Arzt
16. Rathe Max Händler
17. Rothe Salomon Fleischer
18. Rothe Martin Händler
19. Riesenburg Isidor Geselle
20. Segall Hermann Glaser
21. Schneider Moses Händler
22. Schneider Max Händler
23. Striemer Max Händler
24. Weltmann Karl Händler
25. Wollstein Lesser Händler
26. Wolff Max Händler
27. Kron Moritz Händler (Meseritz Winitze)
28. Kron Heymann Händler (Meseritz Winitze)
(Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin (=GStA PK), XVI HA, Abt. I Polizeisachen, Volkskultur, Juden. Meseritz, Rep. 32 (D), Nr. 138.)


Nach dem Ersten Weltkrieg hatte die Gemeinde nicht einmal einen eigenen Rabbiner. Nach Meseritz kam Rabbi Artur Rosenzweig aus Schneidemühl (Pila). Trotz der immer schwieriger werdenden Situation beschloß die Gemeinde, die Synagoge zu renovieren.

Nach der Renovierung, am 30. September 1929, fand eine Zeremonie zur Einweihung des Gotteshauses statt. Im Archiv des Centrum Judaicum erhielt sich ein Artikel, der dieses Ereignis beschreibt:

„Am Sonntagnachmittag lud der Vorstand der örtlichen jüdischen Gemeinde zu einem feierlichen Gottesdienst anläsßlich der Einweihung des renovierten Gotteshauses ein.
Die Nachbargemeinde Schwerin (Warthe) (heute Skwierzyna) schickte ihre wichtigen Vertreter sowie einen Religionslehrer, der auch den Kindern der Gemeinde Meseritz Religionsunterricht erteilt.
Eine große Menschenansammlung füllte die große Gebetshalle, die mit vielen Blumen geschmückt und mit hunderten von Kerzen festlich beleuchtet war. Das neue Dekor der Halle ist eine bewusste Anlehnung an den klassischen Altar. Der bescheiden bemalte Innenraum schafft (...) eine festliche und feierliche Atmosphäre.
Zur festgesetzten Zeit brachten Rabbiner Dr. Elsaß aus Landsberg (Warthe), der erste Vorsteher und ein weiteres Vorstandsmitglied die festlich geschmückte Thora in den Tempel, begrüsst vom Gemeindekantor mit einem dreifachen „Sei gesegnet“. Das heilige Lied „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott - der Herr allein“ erklingt. Die Thora- Rolle (...) wird in den Altarschrank gelegt.

Nach einem Psalm, einem großen Halleluja, hält Dr. Elsaß seine Rede. In Anbetracht der Tatsache, daß zwei Jahre zuvor das 100-jährige Jubiläum gefeiert wurde (der Tempel in seiner jetzigen Gestalt wurde 1827 nach einem großen Brand erbaut), teilt er uns mit, daß die Reparatur notwendig geworden war und nur dank der aufopferungsvollen Großspenden der früheren Gemeindemitglieder, dank der finanziellen Unterstützung der hiesigen Gemeindemitglieder und in erster Linie dank der Hilfe des Preußischen Verbandes der jüdischen Gemeinden durchgeführt werden konnte.

„Die Pforten der Heiligkeit öffnen sich, wir treten ein, um Gott zu verherrlichen. Es ist ein Tor, das uns zu Gott führt.“ Es sind diese Worte des Psalmisten, deren goldene Buchstaben den Eingang des Tempels zieren, die er als Grundlage für seine weiteren geistigen Überlegungen nimmt. Nicht für den Ewigen bauen wir die Häuser Gottes, denn seine Herrlichkeit und Macht umfasst Himmel und Erde, das ganze Universum. Wir bauen Tempel für Menschen. Auch das Gebet eines einzelnen Menschen aus einer stillen Zelle erreicht Gott.
„Ich werde zu dir kommen an jedem Ort, wo du an mich denkst, und ich werde dich segnen.“ Aber das „Gemeindehaus“, wie Juden ihre Gebetshäuser nennen, soll die Gemeinde vereinen; hier lernen sie - im Volksmund spricht man zu Recht von jüdischen Gebetsschulen - die heiligen Lehren aus der Thora ein Leben lang. Die Gemeinde ist der Träger der Mission des Judentums: „Ihr sollt ein auserwähltes Volk für mich sein.“

Die Rede des Predigers, voller heiligem Eifer, endete mit einem Gebet für das Wohlergehen des Vaterlandes, der Stadt und der Gemeinde. Sie hinterließ einen tiefen Eindruck nicht nur bei den Gemeindemitgliedern, sondern sicher auch bei den vielen Teilnehmern der Feier, die Anhänger anderer Glaubensrichtungen sind. Das Nachmittagsgebet und die allgemeine Schlusshymne beendeten die bescheidene Feier.
Am Abend versammelten sich die Gemeindemitglieder im Veranstaltungssaal des Hotels Spielhagen, um eine angenehme Zeit miteinander zu verbringen. In guter Stimmung wurden in Versen die Verdienste des Vorstandes und der Vertreter zum Wohle der Gemeinde erwähnt (Archiv des Centrum Judaicum in Berlin (=CJA), 1.75 A, Me 4, Nr. 17 #5026, Bl. 131. Originaltext enthält Verluste, teilweise rekonstruiert.).


Die jüdische Gemeinde in Meseritz

Obwohl die Nationalsozialisten in Meseritz nicht besonders beliebt waren, änderte sich die Situation, nachdem Hitler an die Macht kam (Bei den Reichstagswahlen 1928 wurden 7 von 4.451 Stimmen für die NSDAP abgegeben. Die beliebtesten Parteien in Meseritz waren SPD - 1.049 Stimmen, Deutschnationale Volkspartei - 1.239 Stimmen, Zentrumspartei - 941 Stimmen, KPD - 245 Stimmen. Siehe: Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadtgemeinde Meseritz für die Zeit vom 1. April 1928 bis 31. März 1929. Druck von P. Mattias in Meseritz 1929, S. 46-47.).

Man begann, die Juden für die schwierige wirtschaftliche Lage von Meseritz verantwortlich zu machen (Nach den Verträgen von Versailles befand sich Großpolen, der natürliche Markt für die Stadt, jenseits der Staatsgrenze.). Sie wurden auch beschuldigt, verdächtige Kontakte zu Polen zu haben und Brunnen vergiften zu wollen (Im Jahre 1656 wurden sie beschuldigt, Kontakte mit Schweden zu unterhalten, was der Grund für das Pogrom war, das von der Armee des Hetman Czarniecki durchgeführt wurde.). Dies führte am 15. Juli 1933 zu Ausschreitungen, bei denen die Parole „Die Juden müssen nach Hammerstein, sonst schmeißen wir sie in die Obra rein!“ skandiert wurde (Stadt und Kreis Meseritz. Ein Heimatbuch, Band 2, Herne 1989, S. 265.). Mehrere jüdische Bewohner wurden kurzzeitig verhaftet.

Während der Reichspogromnacht wurde die Synagoge nicht niedergebrannt (n der Encycloapedia of Jewish Life heißt es auf S. 813 fälschlicherweise, dass die Synagoge verbrannt wurde). SA-Männer griffen jedoch jüdische Häuser und Geschäfte an. Die jüdische Bevölkerung wurde verhaftet, und einige jüdische Männer wurden für kurze Zeit im KZ Sachsenhausen inhaftiert.

Laut der Encycloapedia of Jewish Life sollte die jüdische Bevölkerung von Meseritz im März 1940 in das Durchgangslager Bürgergarten bei Schneidemühl deportiert worden sein. Dies stimmt nicht mit den Berichten ehemaliger Bewohner des Kreises und der Stadt Meseritz aus der Zeit vor 1945 überein (Wanda Srósczyñska, Martin Meissner), die besagen, daß noch 1942 Juden in der Gegend anwesend waren.

Demografische Daten

Jahr Jüdische Bevölkerung
1765 1.077 (Meseritz und umliegende Dörfer)
1793 700
1828 904
1840 1.155
1842 1.190
1845 1.080
1867 546
1885 310
1890 260
1900 206
1906 170
1910 144
1926 129
1933 105
Die numerischen Daten über die Anzahl der Juden in Meseritz entstammen folgenden Quellen:
1. Becker, P.: Geschichte der Stadt Meseritz, Meseritz 1930, S. 267.
2. Heppner A., Herzberg J.: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Bromberg 1909, S. 627.
3. Zahl der jüdischen Köpfe in der Krone aus den Tarifen des Jahres 1765, Krakau 1898, S. 6.
4. The Encycloapedia of Jewish Life, New York 2001, S. 812.
5. GSTA PK Berlin, II HA Generaldirektorium,VI Meseritz, Nr. 1679, (Indaganda)


Die jüdische Gemeinde in Meseritz
Organisationen und Verbände
1. Chewra Kadischa.
2. Jüdischer Krankenverein.
3. Israelitischer Frauenverein.

Organisationen und Verbände
1. Chewra Kadischa.
2. Jüdischer Krankenverein.
3. Israelitischer Frauenverein.


Denkmäler
Synagogen und Gebetshäuser
Es ist nicht bekannt, wann die erste Synagoge in Meseritz gebaut wurde und wie sie aussah. Vermutlich befand sie sich im Zentrum des jüdischen Viertels, im nordöstlichen Teil der Stadt. Der älteste erhaltene Plan aus dem Jahr 1780 zeigt die Synagoge im Viertel zwischen dem nordöstlichen Oval der Stadtmauer und der Hohen und der Judenstraße. Es ist anzunehmen, daß das erste Synagogengebäude dort im 14. Jahrhundert entstand und ein religiöses und kulturelles Zentrum der Meseritzer Gemeinde war (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 622.).

Die jüdische Gemeinde in MeseritzDie jüdische Gemeinde in MeseritzDie jüdische Gemeinde in MeseritzDas Gebäude der Synagoge hob sich zwar sicher von den umliegenden Häusern ab, aber man braucht nicht anzunehmen, daß es ein besonders interessantes architektonisches Objekt war. Vermutlich gab es bis in die 1830er Jahre, als die heutige Synagoge gebaut wurde, mehrere Gotteshäuser an diesem Ort, da Synagogen durch Brände zerstört wurden und sie vom stets ungewissen politischen Schicksal der jüdischen Gemeinde abhingen (Zachert schreibt von 28 Bränden, die die Stadt allein in den Jahren 1674-1766 verzehrten, siehe: Blick auf die Synagoge von Nordosten vor 1945 Zachert, a.a.O., S. 98- 106.).

Dreimal erließen die polnischen Könige Beschlüsse zur Vertreibung der Juden aus Meseritz (Sigismund I. der Alte im Jahr 1520 und Sigismund nIII. Wasa zweimal, 1607 und 1613; siehe Zachert, a.a.O., S. 34. 26). In dieser Situation musste die jüdische Gemeinde der Rückkehrer in die Stadt eine Genehmigung für den Bau eines neuen Gotteshauses beantragen. Eine solche Situation trat 1633 ein, als König Wladyslaw IV. den Juden aus Meseritz erlaubte, eine Synagoge und eine Religionsschule zu bauen. Es ist schwer anzunehmen, daß die Juden bis zu diesem Zeitpunkt ohne eine Synagoge gelebt hatten.
Wenn sie nun den König um eine solche baten, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie eine frühere verloren, nicht durch einen Brand, sondern durch antijüdische Stadtunruhen oder Vertreibungen.
Es ist schwer zu sagen, wie lange die Synagoge, die aufgrund des königlichen Privilegs von 1633 erbaut wurde, überdauerte, aber es ist bekannt, daß die bekannte talmudische Schule, die sich neben oder in der Synagoge befand, 1656 von den Truppen des Hetmans Stefan Czarniecki zerstört wurde. In jedem Fall müssen wir davon ausgehen, daß das Schicksal der Gemeinde und des Gebäudes, das sie symbolisierte, immer ungewiss war und ständigen und unvorhersehbaren Veränderungen unterlag.

Die nächste Information über die Synagoge steht im Zusammenhang mit dem großen Brand, der Meseritz am 18. April 1824 heimsuchte. Infolge des Brandes brannte der östliche Teil der Stadt nieder, zusammen mit dem jüdischen Viertel und der Synagoge (Becker, a.a.O., S. 189.). Im folgenden Jahr begann die Gemeinde mit dem Wiederaufbau der Synagoge (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 624.) Die Fertigstellungsarbeiten dauerten noch zwei Jahre.

Das wiederaufgebaute Gotteshaus, das heute noch steht, ist eine typische orthodoxe Synagoge vom Typ beit ha-kneset (Haus /Ort/ der Versammlung). Die Wahl eines solchen Synagogenmodells in den 1830er Jahren sagt viel über die in Meseritz und Umgebung lebende jüdische Gesellschaft aus.
Die Synagoge ist ein einschiffiges, an einer Ost- Westachse orientiertes Gebäude. Es ist auf einem rechteckigen Grundriss mit den Maßen 17,40 x 22,60 m gebaut. Die Höhe der Halle beträgt ca. 6,5 m.28 Ursprünglich war der Boden einige zehn Zentimeter tiefer gelegt und man gelangte über Stufen ins Innere. Dies ergab sich aus früheren kirchlichen Vorschriften, die den Bau hoher Synagogen untersagten (Solche Regelungen waren in Preußen in den ,1830er Jahren nicht mehr in Kraft, siehe u.a.: Diekmann I., Schoeps J. H. (Hrsg.): Wegweiser durch das jüdische ,Brandenburg, Berlin 1995, S. 268.).

Diese Art der Vorgehensweise ermöglichte es, das Niveau des Innenraums zu senken und auf diese Art hohe Gebetsräume in relativ niedrigen Gebäuden zu erhalten. Die Absenkung des Bodenniveaus hatte auch einen religiösen Aspekt. Sie bezog sich auf den Psalm „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, o Herr“ (Psalm 130).
Ursprünglich befand sich die Bima in der Mitte der Gebetshalle. Es ist wahrscheinlich, daß später, nach 1865, als die erste Renovierung der Synagoge durchgeführt wurde, die Bima (entsprechend der damals vorherrschenden Mode in den deutschen Synagogen) in Richtung des wichtigsten Platzes in der Synagoge, d.h. des Aron hakodesh (Altarschrank), versetzt wurde (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 627.). Die erhaltenen Fotografien des Innenraums zeigen Reihen von Bänken in der Männerabteilung gegenüber dem Altarraum.
Äußerlich ist der Körper der Synagoge ein freistehender Quader. Bis 1945 war er von jüdischen Häusern und Werkstätten umbaut. Die Synagoge wurde im spätklassizistischen Stil erbaut. Die Gesamthöhe des Gebäudes beträgt ca. 14 m und das Verhältnis der Höhe der Wände zur Höhe des Walmdaches ist 1:1.

Der Aufriss der Synagoge zeichnet sich durch edle Schlichtheit und Klarheit der Gliederung aus. In der vertikalen Anordnung gibt es eine deutlich sichtbare Gliederung durch Pilaster, deren Kapitelle mit einem Zwischengeschossgesims verbunden sind. Die Vertikalität des Gebäudes wird auch durch längsrechteckige Fenster (Verhältnis von Breite zu Höhe 1:2,5) betont, die sich zwischen den Pilastern befinden, die derzeit zugemauert sind.

Im horizontalen Grundriss sind die Hauptelemente, die die Komposition der Fassade bestimmen, das bereits erwähnte profilierte Zwischengeschossgesims und eine Reihe von runden Fensteröffnungen in den Längswänden. In den Giebelwänden wird diese Rolle von den halbrunden Fensteröffnungen erfüllt, die sich auf beiden Seiten des Gesimses befinden. Die äußere Form der Synagoge ist ohne wesentliche Veränderungen bis heute erhalten geblieben. Die Eingriffe der Nachkriegszeit beschränkten sich auf das Zumauern von Fenstern und das Herstellen einer neuen Eingangsöffnung in der Ostwand der Synagoge.

Anders stellt sich der Erhaltungszustand des Innenraums dar. Umgewandelt in eine Lagerhalle, verlor die Synagoge fast vollständig ihre ursprüngliche Ausstattung.
Aus den wenigen erhaltenen Quellen aus der Wende des 19. und 20. Jahrhunderts wissen wir, daß die Synagoge, außer den Bänken, ausgestattet war mit:
1. „einem kleinen zweireihigen Messinglüster, bekrönt von einem doppelköpfigen deutschen Adler aus dem späten 17. Jahrhundert,
2. einem Altaraufbau mit vier Kandelabern aus ziseliertem Messing vom Anfang des 18. Jahrhunderts,
3. drei Schilden (Wappen) für die Thorarollen aus modelliertem Silber (darunter zwei verschieden aussehende Rokoko-Schilde mit dem Berliner Stempel - dem Buchstaben F hinter dem Bären - und dem Meisterstempel von Müller, und einem neoklassizistischen Schild mit dem Berliner Stempel mit dem Buchstaben I und einem undeutlichen Meisterstempel)“ (Kohte, J.: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Posen, Bd. 3, Berlin 1895, S. 119.),
4. mehreren silbernen Glocken zur Schmückung der Thorakrone, montiert auf die Griffe der Holzstäbe [um die die Tora gerollt wurde], die laut einer eingravierten Widmung 320 Jahre alt waren. (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 627.)

Von den Archivalien aus der Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich erhalten: Das Buch der „Chewra Bikkur Cholim“ mit Aufzeichnungen aus den Jahren 1796-1895, zwei Protokollbücher des Gemeindevorstandes aus den Jahren 1838-1845 und 1845-1869, das Protokoll des Beschwerdeausschusses aus den Jahren 1842-1861 und ein Protokoll der Gemeinderepräsentanten aus den Jahren 1843-1870 (Ebd.).

Das Schicksal der genannten Ausstattung ist unbekannt. Wir wissen nicht, bis wann Gottesdienste in der Synagoge abgehalten wurden. Bis zur Machtergreifung Hitlers informierte die lokale Presse über sie (Z.B. Märkisch-Posener Zeitung – Meseritzer Kreiszeitung, Nr. 115, 19 Mai 1932.).

Es ist wahrscheinlich, dass sie nach 1933 immer seltener abgehalten wurden. Die tragischen Ereignisse der Reichspogromnacht in Deutschland haben die Synagoge in Meseritz nicht betroffen (In der Region blieben auch die Synagogen in Schwerin, Birnbaum (Miêdzychód), Betsche (Pszczew), Schermeisel (Trzemeszno Lubuskie) undTirschtiegel (Trzciel) erhalten.).

Sie wurde in ein Lagerhaus umgewandelt und wahrscheinlich wurde ihr bewegliches Inventar damals zerstreut. In diesem Nutzungszustand überlebte sie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch nach dem Krieg war das Schicksal nicht gnädiger mit ihr. Sie wurde verstaatlicht und als postdeutsches (sic!) Eigentum von der Staatskasse übernommen. Staatliche Betriebe, die die Synagoge nutzten, führten das Gebäude mehr und mehr dem Verfall zu. Sie passten den Innenraum an ihre Bedürfnisse an und gestalteten ihn frei um. Unter anderem wurde ein Eingang durch die Ostwand und durch den Aron ha-kodesh herausgeschlagen, dessen dekorativer Rahmen aber teilweise erhalten blieb.

Trotz der Tatsache, daß die Synagoge 1976 in das Register der historischen Denkmäler eingetragen wurde, wurde in der Nachkriegszeit keine Restaurierung des Gebäudes durchgeführt. Es wurden lediglich konservatorische Empfehlungen formuliert, die den Baukörper, die Komposition der Fassade und Elemente der ursprünglichen Innenausstattung schützen: eine Empore und den Rahmen des Altarschranks.

Nach 1989 konnten jüdische Religionsgemeinschaften die Rückgabe von jüdischem Eigentum beantragen, das nach dem Zweiten Weltkrieg vom Staat beschlagnahmt worden war. Eine Zeit lang schien es wahrscheinlich, daß die jüdische Gemeinde in Szczecin die Synagoge in Miêdzyrzecz übernehmen würde.


Die jüdische Gemeinde in MeseritzAm 17. März 1999 beantragte sie sogar die Übertragung der Rechte an dem Grundstück. Eine Zeit lang schien es so, als ob eine renovierte und zu einem Zentrum der jüdischen Kultur umgestaltete Synagoge einen ihrer Bestimmung gemäßen Platz finden würde.
Das Museum des Lebuser Landes in Zielona Góra bot Hilfe bei der Organisation des Ausstellungsortes und einige seiner eigenen Exponate an. Leider zwang die schlechte finanzielle Situation der Stettiner Gemeinde sie, von der Idee zurückzutreten, die Synagoge
zu übernehmen und dort ein Zentrum einzurichten. Auch der Stadt Meseritz fehlten Ideen und Mittel, um das Gebäude für originelle und unkonventionelle Zwecke zu nutzen. Der mit alarmierender Geschwindigkeit fortschreitende Verfall erzwang ehrgeizigere Ziele aufzugeben und das Synagogengebäude an einen privaten Eigentümer zu übergeben.

Gegenwärtig ist das Gebäude für kommerzielle Zwecke adaptiert und beherbergt einen Chinaladen, was dazu führte, daß das Gebäude in der Umgangssprache der Einwohner von Meseritz „Chinesische Synagoge“ genannt wird (siehe auch: Das jüdische Erbe in Polen).
Die vorhandenen Fragmente des Aron ha-kodesh sind jedoch erhalten geblieben und werden ordnungsgemäß ausgestellt.


Die jüdische Gemeinde in Meseritz

Friedhöfe
Meseritz

Der Friedhof der Gemeinde Meseritz wurde auf dem sog. Judenberg (Er lag etwa 65 Meter über dem Meeresspiegel. Quelle: Deutsches Messtischblatt im Maßstab 1:25000 von 1944, Kopie in der Sammlung des Autors.) angelegt, der sich an der Straße nach Schwerin an der Warthe /Skwierzyna, etwa 2 km nördlich des Stadtzentrums befindet. Der Hügel gehörte zu Georgsdorf / Swiêty Wojciech, das im Mittelalter Teil der Landgüter von Betsche /Pszczew war. Dort wurde eine Pachtgebühr bezahlt, die nach Zachert eine Unze Safran und ein Pfund Pfeffer betrug (Zachert, a.a.O., S. 36.). Vermutlich gab es auch zusätzliche Gebühren für jede Bestattung Reiß, E.: Der jüdische Friedhof im Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt, heute Slubice, in: Mitteilungen des historischen Vereins, Heft. 1 1995, Frankfurt/Oder, 1995, S. 9.).

Der Übergang der Gemeinde unter die Jurisdiktion des Starosten und wahrscheinlich auch die Einstellung der Zahlungen an die Stiftung Betsche führten zu einem ernsten Konflikt mit dem Besitzer von Betsche, Andrzej Boczkowski, der 1682 auf dem Friedhof einen Galgen errichtete und damit den Ort entweihte. Erst als sich die Gemeinde unter den Schutz des Wojewoden der Provinz Poznañ, WojciechBreza (1696) stellte, wurde der gewünschte Effekt erzielt (Zachert, a.a.O., S. 36.).
Es ist auch bekannt, daß der Rabbiner Meirmben Elisakim Goetz aus Schneidemühl /Pila auf dem Friedhof in Meseritz begraben wurde. Er starb1656 auf der Flucht vor dem Pogrom, das die Truppen des Hetmans Stefan Czarniecki in Meseritz durchführten (Heppner, Herzberg, a.a.O., S. 624.).


Die jüdische Gemeinde in Meseritz



Heute ist es schwer festzustellen, wie groß die Fläche des Friedhofs in Meseritz war. Vermutlich sah er ähnlich aus, wie der jüdische Friedhof im nahe gelegenen Schwerin (Warthe). Die Gemeinde Meseritz war vergleichbar mit der etwas größeren Gemeinde Schwerin, so daß der Friedhof in Meseritz, wie der in Schwerin, wahrscheinlich eine Fläche von etwa 2,5-3 ha hatte.
Friedhöfe dieser Art wurden in der Regel chronologisch belegt, Reihe für Reihe, beginnend an der Spitze des Hügels und die Grabsteine in östlicher Richtung ausgerichtet. Als der Hügel und seine östlichen, nördlichen und westlichen Hänge voll waren, wurden Begräbnisstätten in Richtung der Straße von Meseritz nach Schwerin angelegt.

Entsprechend ritueller Vorschriften muß ein jüdischer Friedhof eingezäunt sein, und in der Regel wurde auf dem Friedhofsgelände ein Taharahaus errichtet. So war es auch im Fall des Friedhofs von Meseritz. Große Teile eines Metallzauns und des zerstörten Taharahauses, das auf der erwähnten Karte aus dem Jahr 1944 eingezeichnet ist, waren 1946 noch sichtbar (Augenzeugenbericht von Stanislaw Cyraniak, Einwohner bvon Miêdzyrzecz. Interview mit dem Autor im Januar 2007).

Aufgrund des Mangels an verfügbaren Quellen ist es schwer zu sagen, ob der Friedhof während des Nationalsozialismus verwüstet wurde. Zwei dem Autor bekannte Berichte von Juden, die vor dem Krieg in Meseritz lebten, erwähnen keine Zerstörung (Inge Murell, Simon Dach.)
Bezeichnend ist auch, daß andere jüdische Friedhöfe in der Umgebung, z.B. in Landsberg an der Warthe /Gorzów Wielkopolski, Schwerin/Warthe, Tirschtiegel /Trzciel, Schermeisel /Trzemeszno Lubuskie und Brätz /Brójce, weder vor noch während des Krieges Schaden nahmen. Dies sagt natürlich nichts über das Schicksal des Friedhofs in Meseritz aus, insbesondere, da auf der oben erwähnten Karte von 1944 am Hang des Judenbergs neben dem Taharahaus ein Tagebaugebiet eingezeichnet ist. Bemerkenswert ist, daß Stanislaw Cyraniak, der 1946 den jüdischen Friedhof inspizierte, kein Abbaugebiet bemerkte und außer einer allgemeinen Unordnung (umgestürzte Grabsteine, Taharahaus in Ruinen, mit Unkraut und Efeu bewachsenes Gelände) nichts weiter seine Aufmerksamkeit erregte.
Wie auch immer, die Verwüstung und das Verschwinden des Friedhofs begannen endgültig im Jahr 1947, als der Umbau der Straße von Miêdzyrzecz nach Skwierzyna begann.

Florian Wisniewski, der bei den Straßenbauarbeiten angestellt war, gab an, daß Grabsteine und Kies vom Friedhof beim Bau des Straßenabschnitts zwischen Miêdzyrzecz und dem Tiefensee (Jez. Glêbokie) verwendet wurden. Dieses Material diente als Schotter (Bericht von Florian Wisniewski, über Stanislaw Cyraniak).
Die nächste Etappe der Liquidierung des Friedhofs fiel in die Jahre 1955-1956, als ein Strand am Tiefensee eingerichtet wurde.

Der private Fuhrunternehmer Firlej aus Meseritz holte im Rahmen eines gesellschaftlichen freiwilligen Dienstes Kies vom Judenberg und brachte ihn zum Strand am Tiefensee. Der Sand enthielt manchmal Knochen, die aufgesammelt und weggebracht wurden (Stanislaw Cyraniak, Bericht vom Januar 2007).
Ende der 1960er Jahre wurde auf dem bereits teilweise abgebauten Berg ein Schießstand betrieben, der u.a. von Schülern des örtlichen Gymnasiums genutzt wurde. Überall auf dem Gelände des liquidierten Friedhofs lagen menschliche Überreste herum, um die sich niemand kümmerte (Jerzy Dabrowski, Einwohner von Meseritz, Bericht vom Januar 2007).

Ähnlich wie auf anderen Friedhöfen kam es auch hier ab Ende der 1940er Jahre zu individuellen und organisierten Diebstählen von Grabplatten aus Granit und Marmor. Die Diebe interessierten sich nicht für Grabsteine aus Sandstein, denn deren Nachbearbeitung war nicht rentabel. Deshalb konnte man noch in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren Mazewot aus Sandstein sehen.


Die jüdische Gemeinde in MeseritzDer rechtliche Prozess der Liquidierung des Friedhofs in Meseritz begann in den sechziger Jahren. In den gesetzlichen Bestimmungen über Bestattungen und Friedhöfe von 1959 (Gesetz vom 31. Januar 1959 über die Friedhöfe und die Bestattung der Toten.) hieß es zwar, daß „die Nutzung eines Friedhofsgeländes (...) nicht vor Ablauf von 40 Jahren nach der letzten Beisetzung einer Leiche auf dem Friedhof erfolgen darf“ (Gesetz vom 31. Januar 1959 über die Friedhöfe und die Bestattung der Toten. Gesetzblatt Nr. 11, Pos.62, Art. 6.), doch Ausnahmen wurden für Zwecke des öffentlichen Nutzens, der Landesverteidigung oder der Notwendigkeit zur Umsetzung nationaler Wirtschaftspläne gemacht.
Es ist schwer, eindeutig festzustellen, wann die letzte Beerdigung auf dem Friedhof in Meseritz stattfand. Laut einem Schreiben des Präsidiums des Nationalen Rates der Wojewodschaft Zielona Góra vom 23. Dezember 1969 über eine vorzeitige Liquidierung des jüdischen Friedhofs in Meseritz soll diese im Jahr 1935 erfolgt sein (Staatsarchiv in Zielona Góra (=APZG), mPWRN, Abteilung Stadtwirtschaft).

Es ist jedoch bekannt, daß die letzten Juden bis mindestens 1942 in Meseritz lebten. In jedem Fall hätte die Liquidierung des Friedhofs laut Gesetz nicht vor 1975 erfolgen dürfen. Es kam anders.
Die Haltung der damaligen polnischen Behörden zum jüdischen Erbe wird u.a. in einem Dokument beschrieben, das 1965 vom Wojewodschaftsverband der Kommunal- und Wohnungswirtschaft in Zielona Góra erstellt wurde (APZG, Abteilung für Kommunalwirtschaft, Nr. WZ GKM - VII/19/7/65.). Darin werden 875 stillgelegte und verlassene Friedhöfe in der Wojewodschaft Zielona Góra erwähnt (Bestehend in den Jahren 1950-1975. Das Gebiet deckte sich mehr oder weniger mit der heutigen Wojewodschaft Lubuskie.)

Das Dokument ordnet unter anderem an, diese Friedhöfe in Ordnung zu bringen, bezogen auf Aspekte wirtschaftlicher, ästhetischer und politischer Art, da das der negativen öffentlichen Meinung in Polen und im Ausland entgegenwirkt (APZG, Abteilung für Kommunalwirtschaft, Nr. WZ GKM - VII/19/7/65.).

In den meisten Fällen bedeutete das Aufräumen der Friedhöfe ihre Beseitigung, die so effektiv war, daß heute fast keine Spur mehr von ihnen vorhanden ist.

Ausgangspunkt für die nun offizielle Beseitigung des Friedhofs in Meseritz war der Antrag des Präsidiums des Nationalen Rats des Kreises Miêdzyrzecz auf vorzeitige Beseitigung des Friedhofs. In einem Schreiben vom 10. November 1969 an das Präsidium des Nationalen Rates der Wojewodschaft in Zielona Góra wird gefordert, daß der Friedhof „zur Kiesgewinnung“ (APZG, PWRN, Abteilung für Kommunalwirtschaft.) genutzt werden soll. Der Beschluss des Wojewodschaftsrates vom 23. Dezember 1969 entsprach den Erwartungen der Behörden in Meseritz.
In der Begründung heißt es u. a.: In dem Gebiet wurden bedeutende Kiesvorkommen entdeckt, daher wird das Gebiet des ehemaligen Friedhofs für den Kiesabbau umgewidmet, nach dessen Ausbeutung wird es rekultiviert und begrünt (Ebd.).

Die Entscheidung über die beschleunigte Liquidierung wurde auf der Grundlage des Artikels 6 des bereits erwähnten Gesetzes aus dem Jahr 1959 getroffen. Im Fall des Friedhofs von Meseritz wurde seine Beseitigung mit der Notwendigkeit der Umsetzung der nationalen Wirtschaftspläne begründet, die offensichtlich von den bereits teilweise abgebauten Kiesvorkommen auf dem Judenberg abhing. Das Dekret trat offiziell am 17. Januar 1970 in Kraft, nachdem es vom Minister für Gemeindewirtschaft genehmigt worden war (APZG, Prezydium Wojewódzkiej Rady Narodowej w Zielonej Górze, Wydzia³ Gospodarki Komunalnej, Schreiben Nr. UZ-c/I/3/70 vom 17. Januar 1970 § 1:
Es wird die Erlaubnis erteilt, den Friedhof der mosaischen Konfession in Miêdzyrzecz, der durch den Beschluss des Ministers für Gemeindewirtschaft vom 10. März 1961, Nr. UZ - c/14/6/59, geschlossen wurde, für die Durchführung von Volkswirtschaftsplänen zu nutzen /Beschluss 31/69 des Präsidiums des Wojewodschaftsnationalrates in Zielona Góra vom 23. Dezember 1969.).


Auf diese Weise war die Beseitigung des Friedhofs der jüdischen Gemeinde von Meseritz, die etwa 700 Jahre in der Stadt lebte, rechtlich vorbereitet. Die entscheidende Phase der Liquidierung des Friedhofs in Meseritz fiel in die 1970er Jahre und war das Ergebnis der Abbaus des Friedhofshügels durch die Firma PUBR aus Miêdzyrzecz. Die Arbeiter des Betonmischwerks berichteten, daß sie im Kies, der vom Judenberg abtransportiert wurde, auf Knochen trafen.
Nachdem der Kies abgebaut war, wurde das Gelände des nun nicht mehr vorhandenen Hügels als Betonschrottplatz und schließlich als Mülldeponie genutzt. Dieser Zustand hielt sich bis in die frühen 1990er Jahre.

Edward Klusek, der den Friedhof zu dieser Zeit besuchte, schreibt: Zwischen Müllbergen, Lumpenhaufen, in einer surrealen Landschaft, unter verkümmerten Bäumen, entdeckte ich einen Friedhof. (...) Ich begann zu suchen, seltsame Bruchstücke von Tafeln lagen in einem Durcheinander zwischen Autoreifen und schwelenden Lumpen. Ich zählte dann einige, etwa 6, ich sah Fragmente von schönen, marmornen und ein paar kleine bescheidene, aus einem unbehauenen Stein (Klusek, E.: Zamordowany cmentarz, in: ‚Kurier Miedzyrzecki‘ Nr. 5, Juli 1991, S. 11.)

Die jüdische Gemeinde in Meseritz Die endgültige Rekultivierung des Geländes fand Anfang der 1990er Jahre statt. Das Gelände wurde mit Bulldozern eingeebnet und einige Zeit später für den Bau einer Stadtumgehungsstraße und die Schnellstraße S3 genutzt, die heute mitten durch den nicht mehr existierenden Friedhofshügel verläuft. Aus dieser Zeit stammen die wenigen Funde, die mit dem Gräberfeld in Verbindung stehen.

Insgesamt sieben Mazewot und ein Foto aus den 1960er Jahren, das das Friedhofsgelände und die Grabsteine des Ehepaars Schwarz zeigt, sind heute noch erhalten. Im östlichen Teil des Friedhofsgeländes in Richtung der ehemaligen Straße Meseritz – Schwerin (Warthe) haben sich einige wenige metallene und steinerne Reste von Grabanlagen bis heute bewahrt, auch Bruchstücke von Mazewot mit noch lesbaren Inschriften. Im September 2015 wurde auf Antrag des Sozialen Organisationskomitees und des Museum des Meseritzer Landes ein Gedenkstein in der Nähe des Friedhofsgeländes aufgestellt.

Miêdzyrzecz-Obrzyce
Innerhalb der Verwaltungsgrenzen des heutigen Miêdzyrzecz befindet sich ein weiterer jüdischer Friedhof. Es handelt sich um ein abgetrenntes Gräberfeld auf dem Friedhof der Nervenheilanstalt in Obrawalde /Miêdzyrzecz-Obrzyce.
Auf dem Grundriss des Krankenhauses aus den 1930er Jahren befindet sich der jüdische Teil des Krankenhausfriedhofs nördlich des evangelischen und katholischen Teils. Begraben wurden hier Patienten jüdischen Glaubens, noch in den sechziger Jahren konnte man auf einzelne Grabsteine treffen (Interview des Autors mit Jerzy D¹browski im Januar 2007).

Bis zum Nationalsozialismus fanden in einem Raum des Verwaltungsgebäudes jüdische Gottesdienste statt.
Im November 2004 wurde auf dem Gelände des Friedhofs ein Denkmal zum Gedenken an die ermordeten Krankenhauspatienten errichtet. Die Symbolik des Denkmals bezieht sich auch auf das Judentum und erinnert gleichfalls an Opfer jüdischer Herkunft, die während des 2. Weltkriegs in Obrawalde ermordet wurden.


Quellen
1. Archiv des Centrum Judaicum, Berlin, 1.75 A, Me 4, Nr. 17 #5026, Bl. 131.
2. Staatsarchiv in Zielona Góra, PWRN, AbteilungGemeindewirtschaft.
3. Staatsarchiv in Zielona Góra, Abteilung für Kommunalwirtschaft, Nr. WZ GKM - VII/19/7/65.
4. Bericht über die Verwaltung und den Standder Gemeindeangelegenheiten der StadtgemeindeMeseritz für die Zeit vom 1. April 1928 bis 31.März 1929. Druck von P. Mattias in Meseritz 1929.
5. Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltungund Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932- 33, hrsg. vom Zentralwohlfahrtsverband der deutschen Juden, Berlin, o. J.
6. Indaganda in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, II HA Generaldirektorium, VI Meseritz, Nr. 1679.
7.Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. 2, 6, Berlin 1858.
8. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, XVI. HA, Abt. I Polizeisachen, Volkskultur, Juden. Meseritz, Rep. 32 (D), Nr. 138.
9. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, XVI. HA, Abt. II Schulsachen. Schwerin a. W., Rep. 32 (D), Nr. 5403.
10. Zacherts Chronik der Stadt Meseritz, Posen 1983.



Archive
Staatsarchiv in Gorzów Wielkopolski
Grottgera Straße 24/25
66-413 Gorzów Wlkp.

Staatsarchiv in Poznañ
Straße 23. Lutego 41/43
60-967 Poznañ

Archiv des Centrum Judaicum
Stiftung Neue Synagoge
Berlin - Centrum
Judaicum, Archiv (CJA)
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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
Archivstraße 12-14
14195 Berlin (Dahlem)

Bundesarchiv
Finckensteinallee 63
12205 Berlin

Literaturverzeichnis
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2. Becker, P.: Geschichte der Stadt Meseritz, Meseritz 1930.
3. Bergman E., Jagielski J.: Zachowane synagogi i domy modlitwy w Polsce, Warszawa 1996.
4. Burchard, P.: Pamiatki i zabytki kultury zydowskiej w Polsce, Warszawa 1990.
5. Diekmann I., Schoeps J. H. (Hrsg.): Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Berlin 1995.
6. Heimatgruss, Nr. 60, September 1976. 7. Heine, H.: Dziela wybrane, Bd. 2, Warszawa 1956.
8. Heppner A., Herzberg J.: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Bromberg 1909.
9. Kemlein, S.: Zydzi w Wielkim Ksiêstwie Poznañskim 1815-1848, Poznañ 2001. 10. Kirmiel, A.: Miêdzyrzeckie Judaica, in: Lubuskie Materialy Konserwatorskie, Bd. 4 2006- 2007, Zielona Góra 2007, S. 162-181.
11. Kirmiel, A.: Skwierzyna - miasto pogranicza. Historia miasta do 1945, Bydgoszcz 2004.
12. Klusek, E.: Zamordowany cmentarz, in: „Kurier Miêdzyrzecki“ Nr. 5, Juli 1991.
13. Kohte, J.: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Posen, Band 3, Berlin 1895.
14. Krajniak, J: Ziemia miêdzyrzecka kraina lasów i jezior, Gorzów Wlkp. 2004.
15. Lewin, L.: Judenverfolgungen 1655-59, Posen 1901.
16. Anzahl der jüdischen Köpfe in der Krone aus den Tarifen des Jahres 1765, Krakau 1898.
17. Lustracja województwa wielkopolskich i kujawskich 1564-1565, Teil I, (Hrsg.) A. Tomczak, Cz. Wlodarska, J. Wlodarczyk, Bydgoszcz 1961.
18. Reiß, E.: Der jüdische Friedhof im Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt, heute Slubice, in Mitteilungen des historischen Vereins, Heft 1, 1995, Frankfurt/Oder, 1995.
19. Stadt und Kreis Meseritz. Ein Heimatbuch, Band 2, Herne 1989.
20. The Encycloapedia of Jewish Life, New York 2001.