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Neuweihe der Gedenkstätte auf dem ehemaligen
ev. Friedhof in Tirschtiegel/ Trzciel
Text von Albrecht Fischer von Mollard, Fotos von A.F.v. M., Claus-Ekkehard F. v. M.
und T. Czabanski
Im HGr Nr. 223 wurde über die Schändung der Gedenkstätte auf dem ehemaligen ev. Friedhof in Tirschtiegel/Trzciel berichtet. Es ist einerseits dem guten Willen von Bürgermeister Kaczmarek und Pfarrer Bednarek aus Tirschtiegel zu verdanken und andererseits dem unermüdlichen Einsatz unserer Freunde Prof. Dr. Malgorzata Czabanska-Rosada und Tomasz Czabañski aus Posen/Poznan geschuldet, daß am 10. Juni 2018 nach einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Adalberts-Pfarrkirche das wiederhergestellte Kruzifix neu geweiht werden konnte.
Deshalb waren meine Frau und ich gemeinsam mit Thea Schmidt am Donnerstag, dem 07. Juni morgens in Wuppertal aufgebrochen, um trotz Baustellen bedingter Staus die etwa 700 km in die Heimatregion um Meseritz/Miedzyrzecz zügig zu überwinden.Wir hatten uns vorgenommen, an der für diesen Tag um 16 Uhr vorgesehenen Enthüllung eines Gedenksteins auf dem ehemaligen ev. Friedhof in Politzig/Policko teilzunehmen. Tatsächlich stießen wir in Bobelwitz/ Bobowicko auf die Reisegruppe aus der Prignitz, die unter der Leitung von Herybert Schulz dort eine letzte Pause eingelegt hatten, um pünktlich in Politzig einzutreffen. Dort waren auch Ehepaar Wanda und Joachim Gladisch aus Paderborn hingekommen, die zu der Zeit zu Besuch bei Verwandten in Scharzig/Szarcz weilten.
In einer bewegenden Zeremonie wurde direkt neben der auf dem Friedhof neu errichteten Kirche ein eindrucksvoller Gedenkstein seiner Bestimmung übergeben. Ich fand es besonders erfreulich, daß an dieser Veranstaltung auch eine Reihe von heutigen Bewohnern des Dorfes inkl. einer offiziellen Abordnung der örtlichen Feuerwehr teilnahmen, der Ortsbürgermeister die Errichtung des Gedenksteines unterstützt hatte und in seiner Rede die Bedeutung von guten polnisch- deutschen Beziehungen hervorhob. Auch Lukasz Robak vom Folwark Pszczew ergriff das Wort und forderte dazu auf, die Verbindungen zwischen Polen und Deutschland auf allen Ebenen zu vertiefen und auszubauen. Leider hatte der örtliche Pfarrer wenige Tage zuvor seine bereits zugesagte Beteiligung an der Feierstunde zurückgezogen. Von Politzig war es anschließend nur noch ein Katzensprung nach Betsche, wo wir auf dem Folwark Pszczew für die kommenden Tage bei Zaneta und Lukasz Robak unser Quartier aufschlugen und dort am Abend auch noch meinen Bruder mit seiner Frau aus Hamburg begrü.en konnten, die mit uns das Wochenende in der ehemaligen Heimat verbringen wollten.
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Am Freitag, 8. Juni, waren wir mit den Heimatfreunden Helmut Kahl und Gerd Gritsch sowie seiner Bekannten verabredet, die sich für ihr individuelles Programm einige Stunden von ihrer Reisegruppe getrennt hatten. Herr Gritsch wohnte in Kindertagen für mehrere Jahre auf dem Sägewerk. Sein Vater war hier in den 1930er Jahren als Schmiedemeister tätig und hatte dabei u.a. eine Ponykutsche für meine älteren Geschwister, die „Kinder vom Schloss“, gebaut. Wir fuhren gemeinsam zum Sägewerk, wo wir von freundlichen Bewohnern zu einer Tasse Kaffee eingeladen wurden und Herr Gritsch als Dank ein paar Kostproben seines Könnens auf seiner Gitarre zum Besten gab. Die Weiterfahrt nach Waldvorwerk, dem früheren Landwirtschaftsbetrieb meines Vaters, führte uns in eine zwar noch bewohnte, aber triste, fast bizarre Ruinenlandschaft, in der lediglich ein paar große, alte, in voller Blütenpracht stehende Lindenbäume etwas Positives ausstrahlten.
An diesem Tag hatten wir noch zwei weitere Termine wahrzunehmen, denn im Vorfeld unserer Reise hatte ich mir ein Treffen mit Bürgermeister Kaczmarek sehr gewünscht, das unsere Freunde aus Posen dann auch irgendwie haben realisieren können. Wir sollten um 14 Uhr im Rathaus sein und hatten bis dahin noch Zeit, uns auf dem Rückweg von Waldvorwerk im Freizeitzentrum am Koninsee ein schattiges Plätzchen zu suchen, einen Imbiss zu nehmen und bei sommerlichen Temperarturen die wunderschöne Landschaft zu genießen. Nachdem auch das Ehepaar Gladisch wie verabredet zum Übersetzen am Rathaus eingetroffen war, bestand unsere Delegation aus insgesamt 10 Personen, so daß uns der Bürgermeister nach kurzer Begrüßung statt in seinem Amtszimmer im Ratssaal der Stadt empfing.
Hier hatte ich die Gelegenheit, mich bei ihm als neuer Vorsitzender des HKr Meseritz vorzustellen, ihm im Namen aller Heimatfreunde für die Wiederherstellung der Gedenkstätte auf dem ev. Friedhof zu danken und ihm den kleinen Bildband Tirschtiegel in alten Ansichten zu überreichen. Er seinerseits hieß uns in seiner Stadt herzlich willkommen, drückte sein Bedauern über die Schändung des Kruzifixes aus und gab uns einige interessante Informationen zu der nicht eben einfachen wirtschaftlichen Situation der Kommune. In entspannter Atmosphäre hatten wir die Möglichkeit, Fragen zu stellen, und im Handumdrehen waren 40 Minuten vergangen höchste Zeit, uns bei Herrn Kaczmarek für den Empfang zu bedanken und zu verabschieden.
Die Prignitzer Heimatfreunde mußten zurück zu ihrem Hotel in Regenwurmlager, Ehepaar Gladisch fuhr zurück zu den Verwandten und wir übrigen Fünf brachen Richtung Meseritz auf, wo wir um 15 Uhr am Museum hätten sein sollen, um Andrzej Kirmiel und später Wojtek Derwich zu treffen. Die überfüllten Straßen der Kreismetropole am Freitagnachmittag ließen uns unser Ziel erst mit 50-minütiger Verspätung erreichen. Der Hausherr der Burg, Andrzej Kirmiel, erwartete uns am Eingang, begrüßte uns herzlich und führte uns durch sein Museum. Mit Stolz präsentierte er uns nicht nur Polens umfangreichste Sammlung von Sargportraits, sondern führte uns auch zu den drei Kirchenmodellen, die der HKr Meseritz dem Museum als Dauerleihgabe überlassen und wenige Wochen zuvor in Paderborn in einer kleinen Zeremonie dem Museumsleiter übergeben hatte. Die Exponate haben inzwischen einen würdigen Platz in der Ausstellung gefunden und sind dort als Eigentum des Heimatkreis Meseritz e.V. deklariert. Dem wegen unseres verspäteten Eintreffens verkürzten Rundgang durch das Museum schloß sich ein mit interessanten Erläuterungen von Andrzej und Wojtek ergänzter Spaziergang in den Parkanlagen der Burg und ein Bummel über den Marktplatz an. Ihm folgte schließlich gegen 18 Uhr der kulinarische Höhepunkt des Tages, ein ausgiebiges, köstliches, von Irena, Andrzejs Frau, zubereitetes mehrgängiges Abendessen.

Am folgenden Samstagvormittag fuhren wir gemeinsam mit Wanda und Joachim Gladisch nach Paradies. Sie hatten dort für uns eine deutschsprachige Führung durch die Klosteranlage organisiert. Während beide anschließend nach Neu Bentschen fuhren, um dort Altbischof Dr. Launhardt vom Bahnhof abzuholen und in sein Quartier im kath. Pfarrhaus in Tirschtiegel zu bringen, machten wir noch einen Abstecher nach Schwiebus zur Christus- Statue und fuhren von dort direkt zum Spargelfest auf dem Festplatz an der Obra, um uns bei bestem Wetter an einem kühlen piwo zu erfrischen und mit leckerem Fleisch vom Grill und Schmalzbroten zu stärken.
Vorher waren wir noch am Friedhof vorbei gefahren und hatten uns von dem einwandfreien Zustand der Gedenkstätte überzeugt, die am nächsten Tag neu geweiht werden sollte. Um 17 Uhr trafen wir vor der Kirche mit Dr. Launhardt zusammen und waren alle recht irritiert, als er uns erzählte, daß der kath. Pfarrer ihm gesagt hätte, der ökumenische Gottesdienst am Sonntag sei weder geplant noch möglich. Zwar hatten die Czabanskis dankenswerterweise für unsere kleine Gruppe von 8 Personen bereits im Vorfeld eine Führung durch die St.-Adalberts-Kirche vor der Abendmesse vereinbart, die auch stattfand; dennoch kreisten unsere Gedanken ständig um den fraglich gewordenen ökumenischen Gottesdienst am Sonntagvormittag und unsere Freunde aus Posen waren noch nicht vor Ort und konnten uns bei der Lösung des Problems nicht helfen. Es war schließlich Johannes Launhardt, der im Laufe des Abends im Pfarrhaus in freundschaftlichen Gesprächen mit seinen kath. Amtsbrüdern unter Zuhilfenahme von Fotos von der gemeinsamen Weihe des Kruzifixes aus dem Jahre 2003 die Zustimmung von Pfarrer Bednarek zu einem gemeinsamen deutsch-polnischen ökumenischen Gottesdienst erreichte, wofür wir beiden sehr dankbar sind.
Am Sonntag, dem 10. Juni, brachen wir so rechtzeitig in Betsche auf, daß wir um 10 Uhr zunächst in Rybojadel/Rybojady am Gedenkgottesdienst zum 11. Jahrestag der Einweihung des Gedenksteins auf dem kath. Friedhof zumindest großenteils teilnehmen konnten. Sodann ging es weiter nach Tirschtiegel zur St.-Adalberts-Pfarrkirche, wo wir von Dr. Launhardt mit Erleichterung von der glücklichen Wende zur ökumenischen Gottesdienstfeier erfuhren und dann Prof. Dr. Malgorzata Czabanska-Rosada mit Ehemann Pawel und Bruder Tomasz aus Posen sowie unseren Freund Wojtek Derwich aus Meseritz begrüßen konnten. Um 11 Uhr begann im vollbesetzten Gotteshaus die ökumenische Feier, an der u.a. auch Bürgermeister Kaczmarek teilnahm und später auch die Gruppe der Heimatfreunde, die zuvor in Rybojadel beim Gedenkgottesdienst war. Für die Tirschtiegeler Kirchgänger war es sicherlich ein ungewohntes Bild: Auf der rechten Seite des Altars saßen Altbischof Dr. Launhardt im schwarzen Talar mit weißer Stola, neben ihm Malgorzata Czabanska-Rosada als Übersetzerin und hinter ihnen Thea Schmidt und ich.
Wir beide hatten im Verlauf der Messe jeweils einen Bibeltext auf Deutsch zu verlesen. Dr. Launhardt stellte seine Predigt unter Lukas 23, 34: „Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“ und sprach zu Beginn die Zerstörung des Corpus am Kreuz auf dem ev. Friedhof offen an und stellte dann das Vergeben in den Mittelpunkt seiner weiteren Ausführungen. Viele Menschen meinten, um Vergebung zu bitten sei ein Zeichen von Schwäche. Das Gegenteil sei der Fall. Wer um Verzeihung bittet, zeige damit eine große innere Kraft, und wer anderen verzeiht, zeige wahre Größe. Gott selbst sei mit gutem Beispiel voran gegangen: Anstatt den Ungehorsam der Menschen zu bestrafen, böte er in seinem Sohn Versöhnung an. Vergebung sei ein großartiges Angebot, sagte der Altbischof und forderte dazu auf, es anzunehmen, Männer und Frauen, Katholiken und Protestanten, Polen und Deutsche. Gott liebe alle und sei zur Vergebung bereit. Dafür sollten ihm alle Menschen danken. Am Ende des Gottesdienstes spendeten die beiden Geistlichen der anwesenden Gemeinde den Segen.
Nach dem Gottesdienst fuhren die Schar der anwesenden Heimatfreunde und unsere polnischen Freunde zum ehemaligen Friedhof. Fam. Gladisch hatte mit einem sehr schönen Blumengesteck den Gedenkstein geschmückt und von mehreren Teilnehmern wurden brennende Kerzen aufgestellt. Auch Bürgermeister Kaczmarek traf ein und am Ende Pfarrer Bednarek in Begleitung von Altbischof Dr. Launhardt. Bei brütender Mittagshitze traten die beiden Geistlichen an das frisch lackierte und nunmehr einen weißen Corpus tragende Holzkreuz und weihten es. Die feierliche Zeremonie endete mit einem gemeinsamen Vaterunser aller ca. 20 Anwesenden. Anschließend ergriff Bürgermeister Kaczmarek das Wort und drückte sein Bedauern über das Geschehen aus und betonte, die ehemaligen Bewohner seiner Stadt seien jederzeit willkommene Gäste. Am Ende sprach ich Pfarrer Bednarek und Bürgermeister Kaczmarek als Vorsitzender unseres Heimatkreises direkt an und dankte ihnen, daß sie ihr Versprechen eingelöst und nach der Zerstörung des Kruzifixes die Wiederherstellung der Gedenkstätte veranlaßt haben. Ebenso übermittelte ich unseren Freunden aus Posen, Malgorzata und Tomasz, den Dank des HKr Meseritz für Ihre Unterstützung und Hilfe, für Planung und Umsetzung der Neuweihe der Gedenkstätte.
Nach der Feier hatte ich noch Gelegenheit, mit dem Bürgermeister zu sprechen und regte an, sich einmal gemeinsam Gedanken über die Zukunft des gesamten Geländes des ehemaligen Friedhofs zu entwickeln. Er habe bereits gewisse Vorstellungen und sprach dabei von Visionen: ein Park für alle erholungssuchende Bürger Tirschtiegels. Er wies auf den alten Baumbestand hin und meinte, dieser müsse unbedingt erhalten bleiben und lachend fügte er hinzu: „Aber erst einmal muss die nächste Kommunalwahl gewonnen werden und außerdem hat die Stadt keine finanziellen Mittel für ein solches Projekt!“ Immerhin ist eine solche Idee so unkonkret und utopisch sie auch sein mag beim wichtigsten, Verantwortung tragenden Kommunalpolitiker der Stadt vorhanden. Diese Tatsache wird alle Heimatfreunde, die sich mit Tirschtiegel verbundenen fühlen, zuversichtlich stimmen: Möglicherweise wird der seit über 70 Jahren verwahrloste, geschleifte und verwilderte ehemalige Gottesacker irgendwann ein würdiges Aussehen erhalten. Für ein solches Projekt bedarf es sicherlich Mut, Kreativität und vor allem finanzielle Stärke, die die Kommune allein nicht wird aufbringen können.
Angeblich soll die EU für derartige Vorhaben unter bestimmten Bedingungen Fördermittel zur Verfügung stellen, so daß die Realisierung der Vision von Bürgermeister Kaczmarek vielleicht doch eines Tages tatsächlich Wirklichkeit werden könnte. Wir wünschen es ihm, der Stadt Tirschtiegel und auch uns von ganzem Herzen. Die kurze Feierstunde auf dem ehemaligen Friedhof meiner Heimatstadt war ein sehr würdiges und von gegenseitiger Achtung geprägtes Zusammensein und Miteinander, das mir noch lange in positiver Erinnerung bleiben wird. Nach einem gemeinsamen Mittagessen mit unseren polnischen Freunden trennten sich unsere Wege wieder mit dem Versprechen auf ein Wiedersehen. Abschließend sei von dieser Stelle aus noch einmal allen Beteiligten gedankt, die sich für die Neuweihe des Kruzifixes in Tirschtiegel oder auch für die Enthüllung des Gedenksteins in Politzig eingesetzt haben.

Ansprache auf dem ev. Friedhof in Tirschtiegel
Albrecht Fischer von Mollard
Sehr geehrter Herr Pfarrer, sehr geehrter Herr Bürgermeister,
verehrte Anwesende!
Wir haben uns heute an einem Ort versammelt,
der seit mehr als 200 Jahren ein Ort der Trauer,
des Schmerzes und der Tränen ist.
Um 1780 wurde in Tirschtiegel die erste
evangelische Kirche errichtet damals noch aus
Holz. Bei Umbauarbeiten stürzte jedoch ihr Turm
zusammen, so dass man 1800 an gleicher Stelle
ein Gotteshaus aus Ziegeln erbaute.
Seit der Gründung der evangelischen Kirchengemeinde
in der damaligen Neustadt haben
die evangelischen Christen ihre Verstorbenen hier
auf diesem Friedhof beigesetzt. 150 Jahre lang, bis
zum Jahre 1945, bis das verbrecherische Hitler-
Regime am Ende und schließlich untergegangen
war. 6 Jahre zuvor hatte es ohne zwingenden
Grund seinen östlichen Nachbarn trotz eines bestehenden
Nichtangriffspakts am 1. September
1939 überfallen.
Die weitere Entwicklung der Geschichte
haben die hier Versammelten großenteils selbst
miterlebt: Der deutsche Aggressionskrieg wurde
verloren und Deutschland war am Ende
mindestens genau so zerstört wie sein erstes
Kriegsopfer Polen. Über 7 Mio. Bewohner aus den
Landesteilen östlich von Oder und Neiße mußten
1945 /46 ihre Heimat Richtung Westen verlassen
und etwa 1,2 Mio. Polen aus den Regionen östlich
von Bug und San wurden zwangsweise in den
wie es damals offiziell hieß „unter polnischer
Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten“
angesiedelt.
Der Eiserne Vorhang fiel, dem 2. Weltkrieg
folgte nahtlos der Kalte Krieg, Deutschland verlor
ein Viertel seines Territoriums von 1937 und wurde
geteilt, und zwischen Polen und Deutschen -
zumindest denen in Westdeutschland - trat eine 2
Jahrzehnte andauernde Sprachlosigkeit ein, ein
eisiges Schweigen.
Ein langer, komplizierter und bis heute noch
nicht abgeschlossener Prozess der Verständigung
und der Versöhnung mit dem Ziel einer Völker verbindenden
Freundschaft begann 1965 mit dem Hirtenbrief
der polnischen Bischöfe an ihre deutschen
Amtsbrüder, in dem der berühmt gewordene Satz
steht „Wir vergeben und bitten um Vergebung!“.
Es folgte der Kniefall von Bundeskanzler
Willy Brandt in Warschau am Ehrenmal für die Toten
des Warschauer Ghettos im Dezember 1970.
Auch der mutige Streik der Werftarbeiter in
Danzig 1980 und die Gründung der Gewerkschaft
Solidarnosc müssen hier genannt werden, denn
nicht zuletzt die Ereignisse in Danzig waren Ausgangspunkt
für die Revolution in Polen 1989, für
den Fall der Berliner Mauer und schließlich für die
anschließende Vereinigung der beiden deutschen
Staaten.
Mit der offiziellen Gründung des deutsch-polnischen
Jugendwerkes 1991 durch die Regierungen
beider Länder wurde der Versöhnungsprozess
schließlich institutionalisiert, aber eben bei weitem
noch nicht abgeschlossen.
Daß bei diesem Prozess auch die Begriffe
Glasnost und Perestroika, d.h. Michail Gorbatschow,
eine bedeutende Rolle gespielt haben, gehört
natürlich auch zur geschichtlichen Wahrheit.
Zu ihr, zur geschichtlichen Wahrheit, der wir
im Ringen um Verständigung und Aussöhnung
nicht ausweichen können bzw. dürfen, gehört auch
der Zustand dieses Friedhofes. Er ist ja keine Ausnahme,
sondern nahezu alle evangelischen
Gottesäcker in den ehemaligen deutschen Ostgebieten
sehen so oder ähnlich aus wie hier in
Trzciel.
Was Ihnen, liebe polnischen Freunde, und
Ihrem Land in deutschem Namen während des
Krieges zugemutet und angetan wurde, nimmt mir
jedes Recht, auch nur ansatzweise einen Vorwurf
zu erheben. Wir Deutsche haben zwischen 1939
und 1945 die Maßstäbe gesetzt, wie wir als Nachbarn
miteinander umgehen - Punkt.
Daß sich viele Polen nach dem Krieg im Zorn
und aus dem Wunsch nach Vergeltung, nach Zerstörung
jener Dinge, die an die grausamen Peiniger
während der Schreckensherrschaft erinnern, an ihren verlassenen Friedhöfen und den Kirchen
vergriffen haben, ist, so meine ich, verständlich,
zumindest nachvollziehbar. An den verhaßten Menschen
konnte man sich nicht mehr rächen, denn
sie waren schon geflohen oder vertrieben, und die
Zerstörung der verlassenen Häuser wäre kontraproduktiv,
denn wer würde schon das Dach über
dem eigenen Kopf abreißen.
1976, also 31 Jahre nach Kriegsende, war
ich zum ersten Mal seit 1945 in Trzciel. Es wäre
übertrieben zu behaupten, der Friedhof wäre
damals gepflegt gewesen. Wer hätte sich auch
darum kümmern sollen? Aber es standen damals
noch viele Grabsteine, auch die Gruft meiner eigenen
Familie hatte noch Ähnlichkeit mit einer
Grabstätte. Aber auch noch 40 Jahre nach Ende
des Krieges wurde die Zerstörung deutscher Friedhöfe
fortgesetzt. Und das verursacht bei den ehemaligen
Bewohnern Trzciels zwar nicht mehr unbedingt
Tränen, jedoch Schmerz und Trauer.
Ich möchte noch einmal betonen, daß ich keinerlei
Vorwürfe erhebe, denn Deutsche haben den
Krieg sinnlos vom Zaun gebrochen, nicht Polen,
und Deutsche haben mit den grausamen Verbrechen
an der polnischen Bevölkerung begonnen,
Polen haben sie später lediglich fortgesetzt.
Auch stelle ich als Angehöriger eines mit
großer Schuld beladenen Volkes nicht die Frage,
wie sich die Verwahrlosung und Zerstörung von
Kirchen und Friedhöfen in den ehemals von Deutschen
bewohnten Regionen Polens mit den Wertevorstellungen
eines christlichen, tief religiösen und
tief gläubigen Volkes vereinbaren läßt.
Diese Frage haben sich Polen selbst gestellt.
30 Jahre nach dem Hirtenbrief der polnischen Bischöfe
und ihrer Aussage „Wir vergeben und bitten
um Vergebung“ waren es wieder Polen, die sich
mit starken Gesten für Versöhnung, für Ausgleich
und Aussöhnung, für Freundschaft zwischen unseren
Völkern einsetzen.
Der Verein POMOST mit seinem Vorsitzenden Tomasz Czabanski hatte sich Anfang dieses Jahrhunderts intensiv bemüht, daß gemeinsam mit dem Heimatkreis Meseritz e.V. unter Leonhardt von Kalckreuth in Meseritz, hier in Trzciel und in einer ganzen Reihe weiterer Orte Gedenksteine auf ehemaligen Friedhöfen enthüllt werden konnten, die an die früheren deutschen Bewohner erinnern: Das Holzkreuz mit dem Gekreuzigten wurde im Jahre 2003 vom damaligen Pfarrer Wierzcholowski geweiht und soll an das Leiden Christi ebenso erinnern wie an den Schmerz und die Trauer, die Krieg, Zerstörung und Menschenhass in der Vergangenheit brachten. Zugleich aber ruft das Kruzifix uns, Polen wie Deutsche, dazu auf, uns für die Versöhnung zwischen unseren Ländern und Völkern einzusetzen.
Irgendwann im Sommer vergangenen Jahres ist nun ein Entschuldigung - Vollidiot eine andere Bezeichnung in diesem Zusammenhang wäre zu harmlos gekommen und hat die Gedenkstätte geschändet und den Korpus des Gekreuzigten zerschlagen. Es wäre sinnlos, nach einem Motiv zu suchen, es war ein Anschlag auf unsere gemeinsame christliche Weltanschauung.
In einem Brief an Bürgermeister Kaczmarek und Pfarrer Bednarek hatte ich darum gebeten, ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens zu setzen und dafür Sorge zu tragen, daß die Gedenkstätte wieder ein Ort des Erinnerns wird, den ehemalige Bewohner Trzciels aus Deutschland ebenso gern aufsuchen können wie die vom Bug vertriebenen oder zwangsweise umgesiedelten Bürger der Stadt, um ihrer verstorbenen Vorfahren zu gedenken.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrter Herr Pfarrer, in Gesprächen mit Tomasz Czabanski haben Sie zugesagt, die Spuren der Schändung zu beseitigen und die Gedenkstätte am heutigen Tag wieder neu zu weihen. Sie haben Ihr Wort gehalten, wofür ich mich als Vorsitzender des HKr Meseritz und der HKG Birnbaum im Namen aller ehemaligen Bewohner Ihrer Stadt sehr herzlich bedanken möchte. Angesichts des noch immer komplizierten Verhältnisses unserer Länder ist diese Entscheidung sicherlich keine Selbstverständlichkeit.
Ausdrücklich danken möchte ich auch dem Verein POMOST für seine unermüdliche, vorbildliche Friedensarbeit in ganz Westpolen, deren Bedeutung für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Lassen Sie uns gemeinsam weiter an der
Aussöhnung unserer Völker arbeiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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